Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele zu Graffiti

02.07.2004: Rede zum Bericht des Rechtsausschusses gemäß § 62 Abs. 2 der Geschäftsordnung zu dem von den Abgeordneten Dr. Norbert Röttgen, Cajus Julius Caesar, Dr. Wolfgang Götzer, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches - Graffiti-Bekämpfungsgesetz (Drucksachen 15/302, 15/3473),
zu dem von den Abgeordneten Jörg van Essen, Rainer Funke, Otto Fricke, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der FDP eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zum verbesserten Schutz des Eigentums (Drucksachen 15/63, 15/3473),
zu dem vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes - Graffiti-Bekämpfungsgesetz (StrÄndG) (Drucksachen 15/404, 15/3473)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Das Wort hat der Kollege Christian Ströbele von Bündnis 90/Die Grünen.

(Beifall des Abg. Jerzy Montag [Bündnis 90/Die Grünen] - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ CSU]: Ex-Sprayer!)

Hans-Christian Ströbele (Bündnis 90/Die Grünen): Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Wieder einmal Graffiti.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Was, Sie sprayen immer noch?)

Sie behaupten, ich bekäme keine Briefe. Ich habe eine Sammlung, die einen ganzen Leitz-Ordner füllt. Wahrscheinlich stammen die Briefe von denselben Organisationen, die auch Ihnen schreiben. Vor ein paar Wochen bekam ich wieder einen Brief wie schon viele vorher. Darin wurde mir vorgehalten: Warum wollen die Grünen, dass Graffiti-Sprayer nicht zur Verantwortung gezogen werden? Warum wollen sie, dass die Millionenschäden ohne Konsequenz bleiben? Solche Fragen sind die Konsequenz Ihres ewigen Drängens auf eine neue Gesetzgebung;

(Lachen bei der CDU/CSU)

denn Sie sagen natürlich all den Leuten, die auch Ihnen schreiben, nicht, dass das Sprayen von Graffiti und das Zerkratzen von Scheiben in U- und S-Bahnen - auch das wird ja immer wieder angebracht -

(Zuruf von der CDU/CSU: Davon haben wir nicht gesprochen!)

nach geltendem Recht strafbar ist,

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

dass es nach geltendem Recht schadensersatzpflichtig ist,

(Daniela Raab [CDU/CSU]: Das hat keiner bestritten!),

dass alle, die erwischt werden und überführt werden können, zur Verantwortung gezogen werden können.

(Zuruf von der CDU/CSU: Zur Sache, Herr Ströbele!)

In Briefen von "Nofitti", von "Anti-Graffiti" und von der Bundesarbeitsgemeinschaft deutscher Immobilienwirtschaft wird mir vorgehalten: Heute kann jemand überhaupt nur dann bestraft und strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden, wenn am Tatort sechs oder sieben Feststellungen getroffen werden: Wie groß ist das Graffiti? Welcher Kostenaufwand entsteht durch die Beseitigung? Die Bestandteile der Farbe müssen analysiert werden und so weiter. Ich kann nur sagen: Das stimmt alles nicht.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Ich weiß nicht, ob jemand von Ihnen sich schon einmal vor Gericht mit einem solchen Fall auseinander gesetzt hat. Ich habe eine ganze Reihe von Graffiti-Sprayern verteidigt und weiß, wie das vor Gericht läuft.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sie haben einschlägige Erfahrung!)

Das Gericht interessiert die Frage: War es die Person oder war sie es nicht? Wenn jemandem die Tat nachgewiesen werden konnte, gab es in allen Fällen eine Verurteilung.

(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das lag nur an der schlechten Verteidigung! - Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Jeder, der von Ihnen verteidigt wird, wird von Haus aus erst mal bestraft!)

Deshalb habe ich an "Nofitti", an "Anti-Graffiti" und all die anderen Organisationen geschrieben - das sage ich besonders Ihnen, Frau Raab - und die Bitte geäußert: Nennen Sie mir Fälle. Sagen Sie mir, bei welchen Gerichten - nennen Sie das Aktenzeichen - Sprayer vor Gericht standen und zur Verantwortung gezogen werden sollten, aber nicht bestraft werden konnten, obwohl der Nachweis geführt werden konnte, dass sie dieses oder jenes Bild gemacht haben.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Die haben doch gar nicht angeklagt, weil es bisher gar nicht strafbar ist!)

Ich habe zwei oder drei Antworten bekommen, eine aus Bayern. Ich habe zurückgeschrieben und gefragt, ob Rechtsmittel eingelegt wurden, weil das Amtsgericht nicht verurteilt hatte. Die Antwort lautete: Ja. Dann habe ich wieder geschrieben und gefragt: Was ist beim Rechtsmittel herausgekommen? Die Antwort: Die Berufungsinstanz hat ihn verurteilt. Die Fälle, von denen Sie reden und die Sie den Haus- und Grundbesitzern, den Kommunen und all den anderen versuchen weis zu machen, gibt es nicht, jedenfalls nicht annähernd in der Zahl, die Sie hier versuchen darzustellen.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD)

Frau Raab, auch Sie haben hier wieder gesagt: Graffiti-Sprayer bleiben straffrei. Das ist nicht wahr. Nennen Sie mir ein, zwei, drei, vier oder fünf Fälle, dann reden wir im Berichterstattergespräch, im Ausschuss darüber.

(Daniela Raab [CDU/CSU]: Sie machen ja keines! Sie verweigern sich doch!)

Ich habe Ihnen beim letzten Mal schon gesagt: In meinem Wahlkreis gibt es eine ganze Reihe von Graffiti-Sprayern. Mit einigen von ihnen bin ich im Kontakt.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das habe ich mir schon gedacht!)

Wir laden sie zu den grünen Ständen auf Festen ein. Beim letzten Fest an der Oberbaumbrücke haben wir große Pappflächen aufgestellt, auf denen sie sprayen konnten. Dann bekommen wir wunderschöne Sprayerei-Gemälde. Beim vorletzten Mal war es so, dass zwei Polizeibeamte in Uniform vorbeigekommen sind, sich das angeschaut haben und so begeistert waren, dass der eine Polizeibeamte einen 5-Euro-Schein aus der Tasche gezogen, ihn uns gegeben und gesagt hat: Geben Sie das den Jungen. Das ist geschehen, damit sie sich Spraydosen kaufen können;

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen - Zurufe von der CDU/CSU)

denn es ist uns lieber, wenn sie sich so betätigen, als wenn sie zu Drogen greifen oder andere, schlimmere Sachen machen.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Deshalb schlage ich Ihnen vor, dass wir einige Graffiti-Sprayer in den Bundestag einladen und uns von ihnen informieren lassen, durch was sie zu beeindrucken sind und wie wir tatsächlich in der Diskussion, in der Auseinandersetzung dazu kommen können, dass der Vandalismus an S-Bahnen, an U-Bahnen und an öffentlichen Gebäuden aufhört. Dort kommt es zu echten Zerstörungen, die jeden Bürger zu Recht verärgern und die nur deshalb nicht aufhören bzw. deren Verursacher nur deshalb nicht zur Rechenschaft gezogen werden, weil man die Täter nicht erwischt. Das liegt nicht daran, dass es an Strafbarkeit fehlen würde. Wir brauchen mehr Wahrheit, Klarheit und Ehrlichkeit in der Debatte, dann kommen wir auch weiter.

(Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen sowie bei Abgeordneten der SPD)