Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele zur Novellierung der Strafprozessordnung

21.10.2004: Rede zur zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verlängerung der Geltungsdauer der §§ 100 g, 100 h StPO (Drucksachen 15/3349, 15/3971)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Es sind jetzt viele neue Fragen aufgetaucht. Deshalb ist es gut, dass wir jetzt darüber debattieren und nicht, wie ursprünglich geplant, die Reden zu Protokoll gegeben haben. Herr Kollege Kauder, ich kann Sie versichern

(Otto Fricke [FDP]: Ihnen!)

  • nee, Sie versichern -, dass wir uns schon hingesetzt haben, allerdings nicht auf die bequemen Bänke der Opposition, sondern auf die harten Bänke der Regierung,

(Jörg van Essen [FDP]: Das ist doch arrogant wie nur etwas!)

und seit längerer Zeit dabei sind, die Novellierung der §§ 100 a ff. und damit auch der hier infrage stehenden Paragraphen vorzunehmen. Das ist schwierige handwerkliche Arbeit, weil das Bundesverfassungsgericht, wie Sie wissen, nicht nur in seiner Entscheidung über den großen Lauschangriff, sondern auch in anderen Entscheidungen immer wieder neue Kriterien zu bedenken gegeben hat. Ich hoffe, wir können dieses Vorhaben bald abschließen und Ihnen das Ergebnis vorlegen. In der Tat ist es so, dass wir die §§ 100 h und 100 g im Jahre 2001 novelliert haben, aber zugleich haben wir die Geltungsdauer der Novelle befristet, weil wir eine Novellierung des gesamten Komplexes planten. Damals mussten wir ja auch deswegen etwas tun, weil eine Frist ablief. Deshalb haben wir das getan, was wir bis zu diesem Zeitpunkt einigermaßen schnell hinbekommen konnten. Sie haben übrigens vergessen, zu erwähnen, dass Sie über zehn Jahre lang mit der Anwendung des § 12 FAG eine Vorschrift angewendet haben, die, um das einmal ganz milde zu formulieren, viele datenschutz- und verfassungsrechtliche Bedenken aufgewiesen hat.

(Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: 1992! - Zurufe von der FDP)

Wir haben im Jahre 2001 dafür gesorgt, dass in die Strafprozessordnung eine Vorschrift aufgenommen wurde - dort gehört dieser Komplex ja auch hin -, die einigermaßen verfassungs- und datenschutzrechtlichen Erfordernissen entsprach.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: 1992!)

Schon damals wollten wir die Rechte von Berufsgeheimnisträgern - Rechtsanwälte, Geistliche, Abgeordnete, aber auch Journalisten - respektieren und ihr Vertrauensverhältnis zu ihren Klienten unter einen besonderen Schutz stellen. So haben wir in einer Art Zwischenlösung einige dieser Berufsgeheimnisträger, auf die wir uns einigen konnten, im Gesetz in der Form geschützt, dass keine Auskünfte über ihre Telekommunikationsverbindungen gegeben werden dürfen. Wir haben aber zugleich die Geltungsdauer dieser Vorschriften befristet, weil wir eine Angleichung an die Regelungen des § 100 a StPO vorhatten, in dem es um die inhaltliche Telefonüberwachung geht, aber noch nicht wussten, wie die konkreten Regelungen aussehen sollten. Damit wollten wir den Gesetzgeber, also uns alle, zwingen, rechtzeitig wieder tätig zu werden und den im Augenblick herrschenden Zustand zu beenden, dass zwar die äußeren Kommunikationsdaten von einigen der Berufsgeheimnisträger geschützt sind - also wer mit wem wie lange telefoniert hat -, aber nicht die Inhalte. In dem Bereich, in dem es um die Inhalte geht, um den Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Bürgerinnen und Bürger, haben wir keinen solchen Schutz. Das ist ein Ungleichgewicht, das beseitigt werden muss und das im Rahmen der Novellierung auch beseitigt werden wird. Da können Sie ganz sicher sein; daran arbeiten wir. Das ist der Grund für die Befristung.

Da wir aber bis zum Ende des Jahres mit der Gesamtregelung nicht zurande kommen, müssen wir nun eine Verlängerung der Befristung herbeiführen. Ich mache überhaupt kein Hehl daraus, dass mir eine kürzere Frist lieber gewesen wäre, dass ich eine Frist von einem oder höchstens zwei Jahren für angemessen gehalten hätte. Aber ich habe mich damit nicht durchgesetzt; das nehme ich zur Kenntnis. Es gibt aber Gründe, die Auseinandersetzung über die Regelung dieser Materie nicht in Wahlkampfzeiten hineinzutragen.

(Jörg van Essen [FDP]: Wir haben doch immer Wahlkampf, Herr Kollege!)

Denn Wahlkampfzeiten sind erfahrungsgemäß keine besonders guten Zeiten, um mehr Bürgerrechte ins Gesetz aufzunehmen. Wahlkampfzeiten sind leider - das bedaure ich selber außerordentlich - Zeiten, in denen sehr viel mit Polemik gearbeitet wird.

(Otto Fricke [FDP]: Was Sie ja nie tun! - Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/ CSU]: Dieses Thema wird die Wahl sicher nicht entscheiden!)

Deshalb ist die Befristung jetzt so geregelt worden, dass bis zum Ende des Jahres 2007 erstens nachgedacht werden kann und zweitens Daten erhoben werden können. Die Daten sollen bis Mitte des Jahres 2007 vorliegen.

Um zu dem Petitum der Abgeordneten der PDS zu kommen: Das ist ja von der Humanistischen Union übernommen worden. Es ist eine gute Idee, zu sagen, wir verpflichten die Länder, endlich die Daten zu liefern, um eine vernünftige Datenbasis zu erhalten. Nur, Frau Kollegin Pau, wenn wir das ins Gesetz schreiben, dann wird dieses Gesetz zustimmungspflichtig, und so, wie die Länder im Augenblick gestrickt sind und die Mehrheiten im Bundesrat aussehen, wird das Gesetz dann im Bundesrat sicher angehalten werden, sodass es nicht zur Sammlung der Daten kommt. Deshalb haben wir den richtigeren Weg gewählt - denn unser Weg ist realisierbar -, indem heute wir einen Entschließungsantrag mit verabschieden, bei dem die Bundesregierung aufgefordert - nicht gebeten, sondern aufgefordert - wird, die Daten für die Novellierung rechtzeitig vorzulegen. Die Bundesregierung wird diesem Auftrag nachkommen müssen, vor allem wenn alle Fraktionen des Deutschen Bundestages hinter diesem Auftrag stehen. So sieht es ja im Augenblick aus. Deshalb bin ich guten Mutes, dass wir am Ende eine verlässliche Datengrundlage haben werden. Ich versichere allen, dass wir im Rahmen der gesamten Novellierung auch diese Paragraphen novellieren und noch weiter an verfassungsrechtliche und datenschutzrechtliche Erfordernisse angleichen werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)