Rede von Hans-Christian Ströbele zum Einzelplan 07 (Justiz) des Bundeshaushaltes
04.12.2002: Erste Beratung des von der Bundesre-gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haus-haltsjahr 2003 (Haushaltsgesetz 2003) (Drucksache 15/150), Einzelplan 07 (Justiz)
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Kollege Götzer hat mal wieder in die Kiste gegriffen und all die Gesetzentwürfe aus der vorletzten, aus der letzten und zum Teil auch aus dieser Legislaturperiode hervor-geholt, die er hier verabschiedet haben möchte.
(Silke Stokar von Neuforn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wiederkäuer!)
Ich will einen theoretischen Gedanken anführen, um einmal etwas Neues zu sagen. Das Schlimme ist nicht, dass Sie dies immer wieder hervorholen. Das Schlimme liegt meiner Meinung nach ganz woanders: Ich habe einmal gelernt, dass die parlamentarische Demokratie, also die vermittelte Demokratie, die bessere Staatsform ist im Vergleich zur direkten Demokratie, in der das Volk alle Angelegenheiten direkt regelt; das könnte man heute vielleicht schon über Computer möglich machen. Die parlamentarische Demokratie ist deshalb besser, weil sie unabhängiger von den Emotionen des Augenblicks in der Bevölkerung ist, weil in ihr sachlicher mit den Problemen umgegangen werden kann und die Gesetze und die Rechtsordnung sachlicher gestaltet werden können.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Haben Sie das nur gelernt oder ist das auch Ihre Meinung?)
- Das habe ich gelernt. Jetzt erlebe ich aber, dass Sie von der CDU/CSU diesen richtigen Gedanken und damit den Vorteil der parlamentarischen Demokratie immer wieder unterlaufen, indem Sie auf Emotionen in der Bevölkerung setzen, diese Emotionen in das Parlament hineintragen und immer wieder Gesetze fordern, die überhaupt nichts von dem bringen, was Sie behaupten.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Norbert Röttgen [CDU/ CSU]: Das hat nur der Bundeskanzler gemacht!)
Ich will Ihnen das an zwei Beispielen deutlich machen. Fahren Sie hier in Berlin mit der U-Bahn oder der S-Bahn, dann sehen Sie verkratzte Scheiben, vollgemalte Türen usw.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es!)
Sie wissen genauso gut wie ich, dass das Zerkratzen einer Scheibe in Berlin bzw. in der Bundesrepublik Deutschland eine Straftat ist. Wenn Sie diejenigen, die das ge-macht haben, erwischen, dann werden sie, wenn man ihnen das nachweisen kann, vor Gericht gestellt und verurteilt,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
weil das Zerkratzen von Scheiben ganz unzweifelhaft den heutigen Tatbestand der Sachbeschädigung erfüllt. Da gibt es keinen Irrtum. Kein Richter wird das anders sehen.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das Problem ist die bemalte Scheibe!)
Genauso ist es mit dem anderen Bereich. Sie setzen auf die berechtigten Ängste und Emotionen in der Bevölkerung, wenn solche schlimmen Straftaten wie Kindesmiss-brauch mit anschließender Ermordung geschehen.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das sind rationale Vorschläge!)
Sie wissen genau, dass die Fälle, die Sie hier genannt haben, genauso passiert wären, wenn all die Gesetze, die Sie fordern, in Kraft gesetzt würden.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Nein! - Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Wollen Sie die Justiz abschaffen?)
Auf diese Straftat steht schon heute lebenslänglich. Der Täter, von dem Sie re-den, ist nicht aus der Haftanstalt entlassen worden, obwohl man wusste oder es Anhaltspunkte gegeben hat, dass er ge-fährlich gewesen ist.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)
Das heißt, Sie spielen mit diesen Emotionen, weil Sie meinen, damit in der Bevölkerung Pluspunkte zu machen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/ CSU]: Es hätten Morde verhindert werden können!)
Das ist schlimm und gefährlich, weil Sie damit die Illusion schüren, dass man in der Gesellschaft insgesamt solche Straftaten auf Dauer verhindern kann. Das ist leider nicht wahr.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Das hat er ausdrücklich ausgeschlossen!)
Wir haben häufig darauf hingewiesen, dass die Straftaten in diesem Bereich weitgehend eingedämmt worden sind. Leider passiert immer noch die eine oder andere ganz schlimme Straftat. Jede, die passiert, ist zu viel. Aber Sie drücken sich um das Phänomen, dass die große Mehrzahl dieser Straftaten, also Kindesmissbrauch, in den Familien passiert. Ihre Rezepte für die Verhinderung dieser Straftaten sind kontraproduktiv.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)
Dabei geht es nämlich darum, die Opfer zu ermutigen, sich gegen den Täter zu wehren. Den Opfern muss Hilfestellung gegeben werden, damit sie den Täter anzeigen. Von dieser Seite muss dagegen angegangen werden, weil dann der Täter in der Familie oder in der nahen Bekanntschaft damit rechnen muss, dass er vor Gericht gestellt wird. Straftaten wie Kindesmissbrauch sind heute mit einem ganz geringen Risiko verbunden. Das wollen wir ändern. Deshalb wollen wir die Rechte der Opfer stärken.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sie tun es aber nicht! - Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Sie tun zu wenig für die Opfer! Was tun Sie denn?)
Wir wollen die Behandlung der Opfer vor Gericht oder bei der Polizei so schonend ablaufen lassen, wie es irgendwie geht, um die Opfer zu ermutigen, zur Polizei, zum Staatsanwalt oder zum Gericht zu gehen. Möglicherweise müssen sie dann vor Gericht selber gar nicht mehr aussagen. Das ist der andere, der bessere Weg, den wir gehen wollen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Jetzt lasse ich das einmal beiseite, weil dazu fast alles gesagt worden ist. Wir haben in der letzten Legislaturperiode in vielen Bereichen erst einmal unsere Pflichtaufgaben erledigt. Wir haben die ZPO überarbeitet.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Aber wie!)
Wir haben die gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaften endlich gesetzlich geregelt. Darauf haben viele gewartet.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Klar, das war ganz wichtig!)
Wir haben mit der Verlängerung der Fristen im Rahmen des Verwaltungsrechts die Möglichkeit von Rechtsmitteln verbessert. Darüber hinaus haben wir eine Reihe von Gesetzen gemacht, über die wenig gesprochen wird. Wir haben zum Beispiel das Untersuchungsausschussgesetz eingebracht, das es in der Bundesrepublik Deutschland bisher leider nicht gab. Sie als Opposition profitieren jetzt davon, weil wir auch den kleineren Parteien wie der CDU/CSU
(Lachen bei der CDU/CSU - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sie haben vielleicht Humor!)
und der FDP damit bessere Möglichkeiten zur Mitarbeit in Untersuchungsausschüssen eröffnet haben. Dafür sollten Sie uns loben. Sie haben damals schließlich mitgemacht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben das Parteiengesetz geändert. Die FDP verheddert sich jetzt gerade in den Stricken, die durch dieses Gesetz gelegt worden sind, obwohl sie seinerzeit zugestimmt hat.
Vizepräsidentin Dr. Antje Vollmer: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kauder?
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Damit haben wir unsere Pflichtaufgaben gemacht. Aber wir wollen nun in der kommenden Legislaturperiode die Kür erledigen.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das merkt man aber nicht! - Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Sie drehen gerade Pirouetten!)
Zu den Pflichtaufgaben rechne ich die Verbesserung bzw. die Angleichung der Rechtsanwaltsgebühr. Zur Kür komme ich gleich. Davor kann der Kollege gerne eine Frage stellen. - Bitte.
Siegfried Kauder (Bad Dürrheim) (CDU/CSU): Herr Kollege Ströbele, ist Ihnen bekannt, dass Vorschläge zum Bereich des Op-ferschutzes in der Schublade der Frau Bundesjustizministerin liegen, die in der letzten Legislaturperiode nicht abgearbeitet worden sind, beispielsweise zur Frage des Adhäsionsverfahrens? Ist Ihnen bekannt, dass auf europäischer Ebene Opferschutz-vorschriften bestehen, die in Deutschland noch nicht umgesetzt worden sind, obwohl die Frist dafür am 22. März dieses Jahres abgelaufen ist, sodass das Bundes-jus-tizministerium Gefahr läuft, auch in diesem Bereich einen blauen Brief zu be- kommen?
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Wahrscheinlich ist es Ihnen nicht bekannt!)
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist mir natürlich bekannt, Herr Kollege. Ich habe selber an der Vorbereitung dieser Gesetze mitgewirkt und bin stolz darauf, weil wir eine ganze Reihe von fortschritt lichen Bestimmungen vorgesehen haben.
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Auf nicht
verabschiedete Gesetze kann man nicht stolz sein!) Wir haben sie leider in der vergangenen Legislaturperiode nicht mehr verabschieden können, weil wir sie am liebs-ten in eine grundsätzliche Reform der Strafprozessordnung einbetten würden, in der man das alles sehr gut regeln könnte. Wir werden das angehen und es in naher Zukunft mit Ihnen beraten und im Bundestag verabschieden.
(Beifall bei der SPD - Siegfried Kauder [Bad Dürrheim] [CDU/CSU]: Wollen wir hoffen, dass es in dieser Legislaturperiode etwas wird!)
Wie sieht unsere Kür aus?
(Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Das fragen wir uns auch!)
Erstens wollen wir die Wirkung von Gesetzen, die aus früherer Zeit stammen, überprüfen. Es geht darum, dass Deutschland im Abhören von Telefonaten Weltmeister ist. Wir wollen wissen, warum das so ist, wer davon betroffen ist, wofür das erforderlich war, ob es wirklich zwingend erforderlich ist oder ob gegebenenfalls Korrekturen notwendig sind. Wir warten das Gutachten ab; dann beginnen wir mit der Überprüfung. Zweitens wollen wir ein Antidiskriminierungsgesetz, das Sie angegriffen haben. Wir meinen, dass es richtig und notwendig ist, auch im Zivilrecht zu einer Antidiskrimi-nierungsgesetzgebung zu kommen, sodass es sich auch Arbeitgeber, Vermieter und Gastwirte aus finanziellen und rechtlichen Gründen nicht leisten können, andere etwa wegen ihrer Religion, ihrer Herkunft, ihrer Hautfarbe oder ihres Geschlechts zu diskriminieren. Ich meine, dass dies längst überfällig ist. Wir wollen beispielsweise auch verhindern, dass Akten, die in Deutschland von den Ermittlungsbehörden zusammengetragen worden sind, etwa an Länder herausgegeben werden, in denen sie dazu beitragen könnten, dass in einem gerichtlichen Verfahren die Todesstrafe verhängt und vollstreckt wird. Weil wir das nicht wollen, wollen wir Sicherungen einbauen. Lassen Sie mich abschließend eines bemerken: Zurzeit gibt es in den Charts einen Song, der etwas mit der Drogenpolitik zu tun hat und in dem ich mit dem Satz "Gebt das Hanf frei!" zitiert werde. (Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD) Dieser Satz ist zwar aus dem Zusammenhang gerissen, trotzdem stehe ich dazu. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) Diese Forderung wird zwar von der Koalition und wahrscheinlich - das ist mir nicht bekannt - auch von der Ministerin noch nicht mitgetragen.
(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das stimmt!)
Aber wir stehen dazu und wollen versuchen, diese Forderung in dieser Legislaturperiode umzusetzen.
(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)
Wenn das nicht möglich ist, wollen wir einer Verein-barung zufolge zumindest erreichen, dass Hanf und Cannabis vom Arzt als Medizin verschrieben (Lachen bei der CDU/CSU)
- es gibt viele Kranke, die darauf angewiesen sind - und von den Apotheken ausgegeben werden können.
(Dr. Jürgen Gehb [CDU/CSU]: Absinth!)
Wir wollen, dass die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vollzogen wird, derzufolge der einfache Besitz von Hanf nicht zum Verlust des Führerscheins führen kann. Wir wollen, dass der Besitz bundesweit einheitlich so geregelt wird, dass man nicht wegen ein paar Gramm Haschisch in der Tasche verhaftet, vor Gericht gezerrt und möglicherweise zu einer Strafe verurteilt werden kann. Das sind unsere Ziele für eine freiheitlichere Gesellschaft.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Dr. Norbert Röttgen [CDU/CSU]: Da klatscht bei der SPD niemand!)