Wahlkampf 2013

"Finger weg vom Redaktions- und Mandantengeheimnis!"

15.11.2007: Zur Überwachung von Journalisten und Rechtsanwälten anlässlich von Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen mutmaßliche Linksextremisten in Berlin und Schleswig-Holstein erklärt Hans-Christian Ströbele, stellvertretender Fraktionsvorsitzender:

"Die Bundesanwaltschaft bei der Anordnung sowie Bundeskriminalamt und LKA Kiel bei Ausführung der Überwachung ignorierten offenbar alle Regelungen zum Schutz von Presse- und Rundfunkfreiheit, von Informanten sowie des Vertrauensverhältnisses zwischen Beschuldigten und Verteidiger, um unbedingt (sogar mithilfe beigezogener Stasi-Unterlagen) belastende Erkenntnisse über die Verdächtigen zu erlangen.

Dies belegen jetzt immer weitere bekannt werdende Details dieser Ermittlungsverfahren nach Brandanschlägen bei Berlin und in Schleswig-Holstein. Nach bisherigem Stand protokollierten Polizisten von November 2006 bis März 2007 akribisch rund 30 abgehörte Telefonate Beschuldigter mit mindestens fünf Verteidigern und Rechtsanwälten sowie mindestens 19 Telefonate mit Journalisten (u.a. TAZ, NDR-info, tagesschau.de, spiegel-online) und überprüften zwischen 18. und 22. Mai 2007 im Postverteilzentrum Berlin-Mitte sämtliche an vier Berliner Zeitungen (BZ, Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Berliner Morgenpost) gerichteten Briefe auf Absender und möglichen Inhalt.

Wir erwarten, dass die Bundesregierung, Generalbundesanwältin und beteiligten Kriminalämter diese Vorgänge rückhaltlos auch gegenüber dem Parlament aufklären.

Es hebelt den für Pressefreiheit unverzichtbaren Informantenschutz aus, wenn Überwachung und Repressalien fürchten muss, wer sich - etwa mit vertraulichen Hinweisen - brieflich oder telefonisch an Zeitungen, Radio oder Fernsehen wendet. Wir teilen die Kritik der betroffenen Chefredakteure in ihrem Protestbrief an die Bundesjustizministerin, des NDR-Intendanten sowie der Journalistenverbände. Das Bundesverfassungsgericht hat am 27.02.2007 (Fall "Cicero") das Durchsuchungsverbot von Redaktionsräumen bekräftigt. Diese Entscheidung darf das BKA nicht ignorieren und tagelang quasi die Poststellen von gleich vier Redaktionen vollständig überwachen.

Die Bundesrechtsanwaltskammer hat sich am 7. November 2007 mit der Forderung an den Bundestag gewandt, für einen wirksameren gesetzlichen Schutz von Rechtsanwälten und Journalisten vor Telefonüberwachung zu sorgen. Leider erfolglos.

Denn selbst das schon heute in § 148 Strafprozessordnung geschützte Beratungsgeheimnis zwischen Beschuldigtem und Verteidiger wurde in diesem Fall durch übereifrige Ermittlungsbehörden einmal mehr missachtet und ist dort möglicherweise nicht einmal ausreichend bekannt. Anders lässt sich kaum erklären, dass die Telefonüberwachungsgeräte nicht nur nicht abgestellt wurden, als Journalisten und Verteidiger als Gesprächspartner erkennbar waren, sondern dass die vielen Bandaufnahmen danach noch akribisch für die Ermittlungsakten protokolliert wurden.

Der Bundesrat ist nun im 2. Beratungsgang aufgerufen, die von der Bundestagsmehrheit am 9.11.2007 beschlossene unzureichende Regelung § 160 a Abs. 1 und 2 StPO (BT-Drs. 16/5846, 6979) wirksam bezüglich aller Anwälte und Journalisten nachzubessern.

Der Bundestagspräsident ließ unsere dringlichen Fragen zu diesen Komplexen in der gestrigen Fragestunde des Bundestages kurzfristig nicht zu, weil seines Erachtens die Dringlichkeit fraglich und das öffentliche sowie mediale Interesse an dem Thema zu gering sei. Daher wird nun eine schriftliche Antwort der Bundesregierung erst am 27.11.2007 vorliegen."

Mehr Hintergrundinformationen finden Sie auf: Spiegel_Online-Artikel vom 14.November 2007

Zudem finden Sie hier eine Pressemitteilung von der Fraktionsvorsitzenden Renate Künast zu diesem Thema: PM zum BKA-Vorgehen gegen die "Militante Gruppe"