Wahlkampf 2013

"Sicherheitspolitik nach dem 11. September" - Artikel in der Fachzeitschrift Sicherheit und Frieden

01.04.2005: Der Artikel wurde vom Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg (IFSH) in der gleichnamigen Fchzeitschrift veröffentlicht. Neben Christian Ströbele ist Hans Erlenmeyer Autor des Essays.

Seit dem 11. 9. 2001, dem Tag der Anschläge in New York und Washington, ist vieles anders. Die USA waren einem Angriff in ihrem Land ausgesetzt, bei dem mehr Menschen starben, als bei den Angriffen in Pearl Harbor. Sie sahen sich im Krieg mit Al-Qaida. Der Weltsicherheitsrat der UN wertete diese Handlungen als Bedrohung des Weltfriedens. Die NATO beschloss den Bündnisfall und zog in den Krieg gegen AL-Quaida und Taliban in Afghanistan und der Deutsche Bundestag stimmte mit großer Mehrheit der Beteiligung der Bundeswehr an diesem Krieg zu.

Nach wenigen Wochen waren die Lager von Al-Qaida zerstört, die Taliban-Regierung besiegt und die Kämpfer auf der Flucht aus Afghanistan. Es schien nur noch eine Frage von ein paar Monaten bis auch die letzten Führer und Kämpfer dieser Organisationen ausgeschaltet waren: tot, gefangen oder vertrieben. Inzwischen wissen wir, das war eine Illusion, das Ende der Organisation eine fromme Hoffnung. Ursprünglich hatte Al-Qaida viel von einer militärisch organisierten Guerilla-Armee. Sie war entstanden im Kampf gegen die sowjetische Besatzung Afghanistans mit massiver Hilfe des Westens, vor allem der USA und Saudi-Arabiens. Sie rekrutierte weltweit Kämpfer, bis zum 11. 9. auch in den USA, sie unterhielt militärische Ausbildungslager und kämpfte erfolgreich in Afghanistan. Nach der Invasion der Nato in Afghanistan wurde Al-Qaida zum Mythos, zu einer Idee, zur Sammelbezeichnung für weltweit existierende Gruppen von terroristischen Vereinigungen, denen gemeinsam eine islamistische, fundamentalistische Weltsicht und eine Schulungs- und Handlungsbereitschaft nach dieser religiösen Überzeugung ist. Die militanten Gruppen entstehen in der Regel weniger aus Armut, mangelnder Bildung und sozialem Elend. Vielmehr treibt die kollektive Erfahrung von Demütigung, Erniedrigung und Missachtung der Würde Menschen in solche Gruppen, in denen sie Achtung und Selbstachtung durch Hingabe an den höheren, heiligen Auftrag gewinnen. Deshalb lösen sich die Menschen aus den normalen Gesellschaften, schließen sich zusammen und lassen sich rekrutieren und formen für den terroristischen Kampf. Aus der Erfahrung der Ohnmacht gegenüber der haushoch überlegenen Sicherheits- und Kriegstechnik der westlichen Welt entstehen Kampfformen, die in Skrupellosigkeit und Missachtung, auch des eigenen Lebens, ihren Höhepunkt in Selbstmordanschlägen haben. Für die Auseinandersetzung mit dem "internationalen Terrorismus" sowie auch dem islamistischen ist von entscheidender Bedeutung: Al-Qaida oder Nachfolgegruppen sind keine straff durchorganisierten hierarchischen, militärischen Organisationen. Osama bin Laden ist nicht, jedenfalls nicht mehr, der Oberbefehlshaber, sondern eher geistiger "spiritus rektor". Der islamistische, fundamentalistische Terrorismus ist nicht das Böse schlechthin und besteht nicht aus Gruppen von Menschen, deren Lebensziel es ist, Böses zu tun und menschenverachtende Verbrechen zu begehen. Es sind auch nicht Verrückte oder Wahnsinnige. Der internationale islamistische Terrorismus ist ein Netzwerk von untereinander abgeschirmten Gruppen von Menschen, die zielgerichtet planen und handeln. Sie sind durch mehr oder weniger intensive Kontakte miteinander verbunden. Sie unterstützen sich von Mal zu Mal gegenseitig mit Geld, Waffen und Informationen oder schließen sich zu Aktionen zusammen. Ihr Handeln und ihre terroristischen Anschläge und Aktionen sind ausgerichtet an politischen und religiösen Zielen, Grundsätzen und Vorgaben und folgen einer eigenen weltanschaulichen und politischen Logik.

1. Kampf gegen islamistischen Terrorismus weltweit

Der Weltsicherheitsrat der UN hatte in seiner entscheidenden Resolution vom 28. September 2001 (1373) nicht beschlossen, dass die USA oder die NATO einen Krieg gegen Afghanistan und die Taliban-Regierung führen sollen. Zentraler Auftrag dieser Resolution war vielmehr, alle Personen, die an den terroristischen Handlungen mitgewirkt haben, "vor Gericht zu stellen" (wie das amerikanische "bring to justice" amtlich ins Deutsche übersetzt wurde). Nach Verabschiedung dieser Resolution ist viel geschehen und dieser Auftrag wurde dabei ziemlich aus den Augen verloren. Die USA haben mit Personen, die der Mitwirkung verdächtigt und daraufhin gefangen genommen wurden, alles mögliche angestellt, in Guantanamo und überall auf der Welt, nur vor Gericht gestellt haben sie diese bis heute nicht und es scheint, als hätten sie dies auch nicht vor. Schon der Krieg war das unverhältnismäßige und falsche Mittel zur Terrorbekämpfung, weil vom Bombenkrieg überwiegend die Zivilbevölkerung und die Infrastruktur Afghanistans betroffen waren und damit neuer Hass in der Bevölkerung gesät wurde. Die grausame und unmenschliche Behandlung der Gefangenen, die Verbringung in Foltergefängnisse weltweit, die Anwendung der Folter und die andauernde Gefangenschaft ohne Gerichtsverfahren wirken sich aus wie ein Förderprogramm für neue terroristische Gruppen. Die genannte UN-Resolution fordert von allen Staaten auch, die Finanzierung terroristischer Handlungen zu verhüten und zu bekämpfen. Daraufhin wurden Gelder, verwahrtes Eigentum und andere Vermögenswerte von Personen und Organisationen eingefroren. Finanzdienstleistungen sowie die Vergabe von Krediten an diesen Kreis wurden untersagt. 26 Personen und 25 Organisationen sind bis jetzt davon betroffen. Darunter befinden sich auch solche, die des islamistischen Terrorismus nicht verdächtig sind, etwa palästinensische Organisationen, aber auch die kurdische Arbeiterpartei PKK, die japanische Shinrikyo sowie eine Reihe südamerikanischer Guerillagruppen, wie der Leuchtende Pfad oder die kolumbianische FARC. Auch international wird demnach versucht, unter der Fahne des Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus, andere Probleme gleich mit zu lösen. Sehr erfolgreich war der Versuch, die Finanzquellen versiegen zu lassen, nicht, obwohl 200 Millionen Dollar eingefroren worden sein sollen. Noch immer werden 2.500 Firmen und Personen verdächtigt, Terroristen zu fi nanzieren, darunter Banken, ägyptische und jemenitische Organisationen. Dem Netzwerk soll noch ein Kapital in Höhe von mehren Milliarden US-Dollar zur Verfügung stehen. Noch dramatischer sieht es hinsichtlich der Zahl der islamistischen Kämpfer aus. Nach Schätzungen sollen etwa 70.000 von ihnen in Lagern in Afghanistan ausgebildet worden sein. Nur ein geringer Teil davon ist bekannt und identifiziert oder bereits ausgeschaltet. Amerikanische Nachrichtendienste gehen mittlerweile von sechs bis sieben Millionen radikalen Muslimen aus, die mit Al-Qaida und ihrer Idee sympathisieren. Weltweit seien 120.000 Kämpfer bereit, Gewalt anzuwenden. Hauptursache dafür ist inzwischen der Irakkrieg der USA und ihrer Verbündeten. Dieser Krieg ist bis heute Rekrutierungsfeld und Schule für Zehntausende von Kämpfern sowie Rekrutierungsgrund weltweit über den Irak hinaus. Er stellt, nach Umfang und Effektivität, die Anfänge von Al-Qaida sowie den seinerzeitigen Kampf gegen die Sowjetunion in Afghanistan weit in den Schatten. Der andauernde Irakkrieg war von Beginn an nicht nur völlig ungeeignet für die Bekämpfung des islamistischen Terrorismus. Dieser Krieg ist vielmehr zum Motor und zur entscheidenden Förderung dieses Terrorismus geworden. Das war allen, die es wissen wollten, auch innerhalb der USA, bekannt. Seine Bedeutung könnte nur noch übertroffen werden durch einen Krieg gegen den Iran. Zu den Folgeanschlägen, nach Ausbruch des Irakkriegs, gehören die Attentate von London und Madrid. Sie wurden von selbständigen Gruppen durchgeführt, die unabhängig von der ursprünglichen Al-Qaida-Organisation entstanden und operierten. Der islamistische Terrorismus existiert also nach wie vor. Eine Bedrohung für Deutschland ist nicht auszuschließen, wenngleich sie auch geringer ist, als für die Länder, die sich am Irakkrieg beteiligen. Folterbilder, Verschleppungen oder die Missachtung fundamentaler, rechtsstaatlichen Prinzipien im Umgang mit terroristischer Bedrohung tragen dazu bei, die terroristische Gewalt als gerechtfertigt erscheinen zu lassen. Beteuerungen der westlichen Werte des Rechtsstaats klingen hohl und verlogen. Die Menschen haben mehr zu verlieren als ihre Ketten, nämlich ihre Selbstachtung und ihre Würde. Nicht mit mehr und noch grausamerer Gewalt, Unterdrückung und Krieg kann die Auseinandersetzung mit dem internationalen islamistischen Terrorismus erfolgreich geführt werden, sondern mit einer anderen Politik nach innen und nach außen.

2.Terrorprävention und Sicherheit im Inneren

Was für die internationale Sicherheit richtig ist, gilt auch für die innere Sicherheit. Einen absoluten Schutz gibt es nicht und 80 bis 90 Prozent der Prävention vor Gewalttaten muss die Politik leisten und kann nicht durch Gesetze und Sicherheitsbehörden erreicht werden. So hat Deutschland seine Nichtbeteiligung am Irakkrieg sicher sehr viel mehr vor Anschlägen terroristischer Islamisten geschützt, als es noch so umfangreiche Pakete von Sicherheitsgesetzen sowie eine noch umfangreichere Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten vermocht hätten. Untersuchungen des Centre for Defence Studies in London (u.a. von Prof. Neumann) zeigen, dass Deutschland weniger bedroht war und ist als andere Staaten, die sich am Krieg gegen den Irak beteiligen. Es gab Meldungen aus dem islamistischen Netzwerk, dass Kriegsgegner Deutschland und Frankreich ausdrücklich als Anschlagziele ausgenommen bleiben sollten. Kämpfer im Irak sollen sich sogar dafür entschuldigt haben, dass zwei deutsche Beamte bei einem Überfall getötet wurden. Sie sollen erklärt haben, die Deutschen wären unbehelligt geblieben, wenn sie als deutscher Konvoi gekennzeichnet gewesen wären. Nur um diese restlichen zehn bis 20 Prozent Prävention vor Terrorgefahren kann es also gehen, wenn Gesetze und Behörden Sicherheit im Inneren schaffen sollen.

2.1 Erste Maßnahmen - Rasterfahndung

Die Anschläge vom 11.9. sollen von Personen, von sog. "Schläfern ", also Menschen, die ein unauffälliges Leben in Deutschland geführt haben und erst zu den Anschlägen aus dieser Unauffälligkeit auftauchten, vorbereitetet, geplant und durchgeführt worden sein. Deshalb wurde gleich nach dem 11. 9. versucht, diesen durch bundesweite Rasterfahndungen auf die Spur zu kommen. Unter Rasterfahndung ist ein Abgleich verschiedener Datensätze mit dem Ziel, ein zuvor defi niertes Profil zu ermitteln, zu verstehen. Auch auf nicht-polizeiliche Datensätze wird zugegriffen. Rechtsgrundlage sind entweder die §§ 98 a, 98 b StPO oder Polizei- und ordnungsrechtliche Landesgesetze. So wurde im September 2001 in Berlin, nach § 47 ASOG, ein Datensatz von 58 032 Einzelpersonen erstellt. Die Auswertung endete im Sommer 2002. Das Raster entsprach dem Täterbild, das amerikanische Sicherheitsbehörden gleich nach dem 11. 9. in die Welt übermittelten und enthielt Merkmale wie Alter 18 bis 41 Jahre, männlich, islamische Religionszugehörigkeit, unbegrenzter legaler Aufenthalt, Herkunft aus Ländern mit muslimischen Bevölkerungsanteil. Von einem Tag auf den anderen wurden muslimische Männer in der genannten Altersgruppe als Terroristen stigmatisiert, ohne konkrete Verdachtsmomente und ohne dass es tatsächliche Anhaltspunkte für weitere Anschläge gab. So wurden Datensätze z.B. von den Berliner Wasser- und Stromwerken sowie von Universitäten angefordert. Die Berliner Rasterfahndung führte zu keinem Erfolg. Der Berliner Polizeipräsident sah die Rasterfahndung am 12. 07. 2002 dennoch als erfolgreich an, "der generalpräventive Effekt" sei nicht zu unterschätzen. Auch bundesweit wurde kein Terrorist durch die Rasterfahndung ermittelt. 8,3 Millionen Menschen waren von ihr betroffen. Das BKA führte eine Datei, "Schläfer" genannt, die fast 32.000 Datensätze enthielt, die weiter überprüft wurden. Inzwischen hat das Bundesverfassungsgericht eine solche Rasterfahndung für verfassungswidrig erklärt, weil keine konkrete Gefahr für hochrangige Rechtsgüter, wie den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person gegeben war. Eine bloße Vorfeldmaßnahme wie nach dem 11. 9. entspricht den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht. Eine allgemeine Bedrohungslage, wie sie im Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11. 09. 2001 durchgehend bestanden hat, oder auch außenpolitische Spannungslagen reichen für die Anordnung der Rasterfahndung nicht aus. Es müssen vielmehr Tatsachen vorliegen, aus denen sich eine konkrete Gefahr ergibt, etwa die Vorbereitung oder Durchführung terroristischer Anschläge.

2.2 Aufrüstung der Dienste

Der 11.9. war Grund und Anlass, die Sicherheitsbehörden in Deutschland personell erheblich zu verstärken, ebenso die Finanzetats. Gab es in den 1990er Jahren, nach dem Wegfall der Ost-West-Konfrontation, noch einen kontinuierlichen Personalabbau bei den Bundesgeheimdiensten, wurde diese Entwicklung jetzt umgekehrt, ohne dass sich dagegen Widerstand regte. In den Jahren nach dem Anschlag in New York, als überall eingespart werden und alle Ressorts Abschläge bei ihren Finanzmitteln hinnehmen mussten, bewilligte das Parlament für die Geheimdienste jährlich erhebliche Zuwächse an Finanzmitteln, ohne dass dies auch nur problematisiert wurde. So wurden etwa im Jahr 2001 die Finanzmittel für Entwicklungszusammenarbeit allen Ankündigungen der Regierung und des Kanzlers zum Trotz auf unter 0,27 % des Bruttosozialproduktes gekürzt, der Etat für die Geheimdienste BND aber um 3,9 % und BFV gar um 9,5 % aufgestockt.

2.3 Bundespolizei

Den stärksten Personalzuwachs erhielt die Polizei dadurch, dass Deutschland, erstmals nach dem Krieg, eine Bundespolizei bekam, die auch so heißt. Aus dem Bundesgrenzschutz wurde die Bundespolizei. An der vom Grundgesetz garantierten Polizeihoheit der Länder sollte nichts geändert werden. Zwar gab es seit 1949 die "Bundespolizeibehörde zur Überwachung des Personen- und Güterverkehrs bei der Überschreitung der Bundesgrenze", aber nach dem Willen der Alliierten und des Grundgesetzgebers sollte die Polizei dezentral organisiert sein. Die Aufgaben der Bundespolizei sind zahlreich. Der Schutz der Bahn und des Luftverkehrs gegen Gefahren von außen wie von innen gehört dazu. Als mitreisende, bewaffnete Sky-Marshalls haben Bundespolizisten die Aufgabe, gegebenenfalls die Sicherheit und Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge wieder herzustellen. Selbst exterritoriale Aufgaben hat die Bundespolizei: Sie kann an polizeilichen Aufgaben im Ausland, im Rahmen von internationalen Maßnahmen auf Ersuchen und unter Verantwortung der Vereinten Nationen, der Europäischen oder Westeuropäischen Union oder anderer internationaler Organisationen mitwirken. Militärische Aufgaben sind ausdrücklich ausgenommen. Im Rahmen ihrer räumlichen und sachlichen Zuständigkeit kann die Bundespolizei nicht nur Personen anhalten und befragen, sondern auch die mitgeführten Ausweispapiere überprüfen. Als wirklich neu wurde nach dem 11. 9. der Name "Bundespolizei " eingeführt. Viele der genannten Befugnisse hatte der Bundesgrenzschutz schon vorher, nach und nach ohne viel Aufsehen, erhalten.

3. Sicherheitspakete

Gleich nach dem 11. 9. wurden in Deutschland neue Gesetzespakete verabschiedet mit dem Ziel, der neuen Bedrohungslage in Deutschland Herr zu werden: Die sog. Anti-Terrorgesetze, darunter die sog. "Otto-Kataloge". Die nach dem Bundesinnenminister Otto Schily benannten Otto-Kataloge enthielten Maßnahmen und Gesetze, die direkt die Lehren aus den Anschlägen in den USA ziehen sollten, wie bessere Sicherheitsüberprüfungen des Personals von sicherheitsrelevanten Einrichtungen, sog. Sky-Marshalls, also bewaffnete Flugbegleiter, und Verbotsmöglichkeiten u.a. für religiöse Vereine. Dagegen war grundsätzlich wenig zu sagen, soweit sich die Neuerungen in Grenzen hielten und nicht Teil der globalen Sicherheitspolitischen Hysterie waren.

3.1 Streichung des Religionsprivilegs im Vereinsgesetz

Als erstes wurde das Religionsprivileg im Vereinsrecht aufgehoben. Bis dahin waren Religionsgemeinschaften und Vereinigungen, die sich die gemeinschaftliche Pfl ege einer Weltanschauung zur Aufgabe gemacht haben, vom Vereinsgesetz ausgenommen und konnten demnach nicht verboten werden. § 2 II Nr. 3 VereinsG wurde nun gestrichen. Jetzt konnten auch religiöse Vereine verboten werden und Vereinsverbote ergingen schon bald. Zuerst traf es den sog. "Kalifatsstaat" des Metin Kaplan, bestehend aus 36 örtlichen Vereinen, der offen Antisemitismus vertritt. Er strebte unter der Führung seines selbsternannten "Emir der Gläubigen und Kalif der Muslime" die Abschaffung des Laizismus in der Türkei und die Einführung einer islamischen Ordnung auf der Grundlage der Scharia an. Dann folgte der Spendensammelverein "Al-Aqsa" und auch der "Hizb ut-Tahrir" wurde jede Betätigung in Deutschland untersagt. Auch die islamistische Tageszeitung "Anadoluda Vakit", der Verlag der Zeitung, Yeni Akit GmbH und die türkischsprachige PKK-Zeitung "Özgür Politika" wurden verboten.

3.2 Ausländer als Sicherheitsrisiko

Aber schnell schien das eigentliche Sicherheitsrisiko ausgemacht. An den Anschlägen in den USA waren Ausländer beteiligt, die in Deutschland gelebt hatten. Also wurden Ausländer in Deutschland generell zum Sicherheitsrisiko erklärt und dem entsprechend richteten sich nicht nur die Rasterfahndungen, sondern auch die ersten Gesetzesverschärfungen gegen sie.

3.3 Ausufernde Sicherheitsüberprüfung

Sog. "Innentäter" - integrierte Ausländer, die in sicherheitsrelevanten Bereichen tätig sind - wurden nach Gesetzesänderungen in sicherheitsempfindlichen Stellen und Einrichtungen besonderen Sicherheitsüberprüfungen unterworfen. Das ging bis zu Überprüfungen etwa bei der Bundesagentur für Arbeit. Als sicherheitsrelevant wurde hier die Bearbeitung und Auszahlung der unterhaltssichernden Leistungen angesehen, da eine Störung des IT-Systems für zahlreiche Familien und Einzelpersonen die Existenzgrundlage gefährdet hätte.

3.4 Umfassender Datenverbund

Die Zusammenarbeit der Ausländerbehörden mit den Sicherheitsdiensten wurde intensiviert. Das BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge) übermittelt in großem Umfang Informationen nach § 18 Abs. 1a BVerfSchG an das BfV. Das Informationsaufkommen wird mehr als verdoppelt. Asylbewerber sind besonders betroffen. Mit Sprachaufzeichnungen soll bei Zweifel die "wahre" Herkunftsregion ermittelt werden. Zehn Jahre lang werden Fingerabdrücke und andere im Zusammenhang mit Asylverfahren gewonnene, identitätssichernde Unterlagen aufbewahrt, um den Sicherheitsbehörden langfristig Erkenntnismöglichkeiten zu verschaffen. Fingerabdrücke von Asylbewerbern können automatisch mit dem polizeilichen Tatortspurenbestand des BKA abgeglichen werden. Polizei und Sicherheitsdienste können den gesamten Datenbestand über Ausländer im automatisierten Verfahren abrufen. Asylbehörden geben ihre Erkenntnisse aus den Asylanträgen personenbezogen an den Inlandsgeheimdienst weiter - ohne jede rechtsstaatliche Sicherung, insbesondere ohne ein Verbot der Weitergabe an ausländische Geheimdienste. Nicht einmal das Verbot der Weitergabe an Verfolgerstaaten ist festgeschrieben worden.

3.5 Minderer Grundrechtsstatus

Schon die einfache politische Tätigkeit eines Ausländers konnte beschränkt oder ganz untersagt werden. Nach § 47 I Nr. 1 Aufenthaltsgesetz reicht dafür aus, dass die politische Willensbildung in Deutschland beeinträchtigt wird. Ausländern, die die freiheitlichen-demokratische Grundordnung oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gefährden, politische Ziele mit Gewalt verfolgen oder einer Vereinigung angehören, die den internationalen Terrorismus unterstützt, können die Aufenthaltsgenehmigungen entzogen oder Einreise- und Aufenthaltsverbote erteilt werden. Ausländische sog. Hassprediger oder andere Extremisten können abgeschoben werden, auch wenn ihnen im Abschiebeland Folter oder die Todesstrafe droht. Tatsächliche oder vermeintliche Sicherheitsprobleme werden an das Ausland abgegeben und den Aufnahmeländern bleibt überlassen, wie sie mit den Gefährdern fertig werden. Personen, die in Deutschland als gefährlich eingestuft sind, werden andererseits nun den Aufnahmeländern "zugemutet". Auch wurden Forderungen lauter, gegen besonders gefährliche Ausländer präventiv Sicherungshaft verhängen zu können, auch wenn sie keiner strafbaren Handlung verdächtig sind. Gefängnis ohne eine Straftat für Monate, ja für Jahre, soll gegen Ausländer und Personen mit offensichtlich minderem Grundrechtsstatus möglich werden. Die Aufnahme solcher Auswüchse gnadenlosen Sicherheitsdenkens ins Gesetz konnte vorerst verhindert werden, mit dem Hinweis auf Grundgesetz und Bundesverfassungsgericht. Aber die Forderungen sind nicht vom Tisch. Sie werden alle Jahre wieder erhoben, obwohl die Überwachung solcher Personen in Deutschland mittels Meldeaufl agen und anderer geeigneter Maßnahmen weitgehend erfolgreich war. Zuletzt kamen sie aus dem neu besetzten Innenministerium der neuen Bundesregierung.

4. Terroristische Vereinigung im Ausland

Das Strafrecht scheint das geeignetste Mittel zur Bekämpfung des Terrorismus zu sein. Politiker versuchten schon immer, terroristische Gewaltaktionen als ganz gewöhnliche Schwerstkriminalität abzutun. In den 1970er Jahren wurde zum Kampf gegen den Terrorismus in Deutschland ein neuer Straftatbestand ins Strafgesetzbuch eingefügt, der der terroristischen Vereinigung, § 129 a StGB. Nicht nur Mitglieder und Gründer einer Vereinigung, deren Zwecke oder Tätigkeit auf die Begehung schwerster Straftaten wie Mord, Totschlag oder Verschleppung gerichtet war, können danach mit Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren bestraft werden, ohne dass sie selbst an irgendeiner Tat konkret beteiligt sind, sondern auch wer eine solche Vereinigung unterstützt oder für sie wirbt. Ihre große Bedeutung hatte diese Vorschrift nicht für die Terroristenprozesse und die Strafurteile, sondern für die Vorverfahren und die Anwendung von Folgevorschriften. So wurden Personen, die unter einen solchen Verdacht gerieten, ohne weiteres in U-Haft genommen, Telefone abgehört, Wohnungen akustisch überwacht, Durchsuchungen vorgenommen und Kontrollstellen eingerichtet. Vor allem deshalb wurde von Bürgerrechtlern die Abschaffung der Norm verlangt oder doch wenigstens die Streichung des Tatbestandes der Werbung für eine terroristische Vereinigung. Im Kampf gegen den internationalen Terrorismus wurde im Sommer 2002 der neue Straftatbestand §129 b StGB hinzugefügt. Damit gelten die Strafbestimmungen zur kriminellen Vereinigung und zur terroristischen Vereinigung nun auch für solche Personen, die nur im Ausland tätig sind, wenn ein Bezug zu Deutschland gegeben ist. Dies schien erforderlich, weil nach der Rechtsprechung die §§ 129 und 129 a StGB nur auf Vereinigungen Anwendung fi nden, die im Inland existieren. Eine festgenommene Person, die in dringendem Verdacht stand, Mitglied einer ausländischen Terrorgruppe zu sein, musste aus der Haft entlassen werden, weil eine Strafbarkeit nach § 129 a StGB nicht gegeben war. Die öffentliche Diskussion nach dem 11. 9. hätte niemand bestehen können, der die Anwendung der Vorschriften über terroristische Vereinigungen, etwa auf Al-Qaida oder eine andere islamistische Organisation, verneint hätte, nur weil diese in Deutschland nicht tätig waren. Aber in langen Verhandlungen konnte eine politische Einschränkung ins Gesetz aufgenommen werden: Die Tat darf nur mit Ermächtigung des Bundesministeriums der Justiz verfolgt werden und bei der Entscheidung des Ministeriums soll in Betracht gezogen werden, ob die Bestrebungen der Vereinigung gegen eine staatliche Ordnung gerichtet sind, die die Würde des Menschen nicht achtet oder die gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind und als verwerflich erscheinen. Damit sollte verhindert werden, dass Befreiungsbewegungen gegen Terrorregime oder eine Willkürherrschaft unter diese Strafvorschrift fallen. Sicherlich ist und war problematisch, diese Entscheidung einem Bundesministerium zu übertragen. Aber die Ermächtigung des Ministeriums ist gerichtlich überprüfbar und die Nennung der Kriterien für einen legitimen, auch gewaltsamen Widerstand ist ein fortschrittlicher Anfang. Damit wären etwa der junge Kämpfer des ANC, Nelson Mandela, oder ein Guerillero gegen das Militärregime in Argentinien in Deutschland strafrechtlich unbehelligt geblieben. Im Zuge der notwendigen Anpassung des deutschen an europäisches Recht zur Terrorismusbekämpfung wurde ein Jahr später auch der alte § 129 a StGB durch den erstmaligen Versuch einer Defi nition des "Terrorismus" im Gesetzestext eingeschränkt. Jahrzehntelang hatten sich Rechtsgelehrte der UNO und der EU vergeblich bemüht, eine solche Definition zu finden. Nunmehr muss eine Straftat bestimmt sein, die Bevölkerung einzuschüchtern, eine Behörde oder internationale Organisation mit Gewalt zu nötigen oder Grundstrukturen des Staates zu beseitigen, um als terroristisch qualifi ziert zu werden. Allerdings knüpft diese Definition allein an äußeren Merkmalen wie "beseitigen der politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen" an, ohne dass es darauf ankommt, wie gerecht oder ungerecht diese Grundstrukturen des jeweiligen Staates sind. Die Neuformulierung bleibt unbefriedigend, weil legitimer Widerstand gegen Unrechtsregime weiter mittels der genannten Strafvorschriften kriminalisiert werden kann, wenn er gewaltsam ist.

5. Luftsicherheitsgesetz

Als unmittelbare Konsequenz aus den Anschlägen in Washington und New York sollte eine gesetzliche Regelung geschaffen werden, um Passagierfl ugzeuge, die - wie am 11. 9. 2001 in den USA - im Inland starten und als Bomben in ein Ziel in Deutschland gelenkt werden, abschießen zu können. Zusätzlicher Anlass für diese Gesetzesinitiative war der Frankfurter Fall, als ein Sportflieger über der Stadt Frankfurt kreiste und drohte, sich in ein Hochhaus der Europäischen Zentralbank zu stürzen. Zuständig zur Abwehr eines Angriffs war die Polizei, die aber nicht über das notwendige Mittel verfügte. Fähig war die Bundeswehr, die aber nicht zuständig schien. Ungeklärt blieb auch, welche Instanz von Polizei und Bundeswehr welche Anweisungen oder Befehle geben durfte. Also sollte ein Gesetz her, dass die Zuständigkeiten klar regelt und die Verantwortung auf die Bundesregierung überträgt. Soweit bestand Konsens in der damaligen Koalition. Keine Übereinstimmung konnte darüber erzielt werden, ob die Bundesregierung auch die Befugnis erhalten sollte, im äußersten Fall ein Passagierflugzeug mit unbeteiligten Passagieren abzuschießen. Sollte es eine Abwägung Menschenleben gegen Menschenleben geben dürfen? Sollte als rechtmäßig erlaubt werden, um Tausende von Menschen vor dem Tod zu retten, Hunderte unbeteiligter Passagiere und Besatzungsmitglieder zu töten durch Abschuss des Passagierfl ugzeuges, das als Bombe gegen die Tausende eingesetzt wird? Aus dem Dissens entstand als Kompromiss die Formulierung des § 14 Absatz 3 LuftSiG, wonach gegen ein Flugzeug unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt zulässig sein sollte, wenn das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll und die Waffengewalt das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist. Regierung und der größere Koalitionspartner sahen darin auch ein Befugnis, ein Flugzeug mit Passagieren abzuschießen, der kleinere Koalitionspartner nicht. Die Streitfrage blieb durch das Gesetz unbeantwortet, weil die "unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt" nichts darüber aussagt, ob Unbeteiligte getötet werden dürfen. Die ethische, moralische und letztlich Frage des Artikel 1 Grundgesetz blieb der außergesetzlichen Abwägung überlassen wie beim strafrechtlichen übergesetzliche Notstand. Allerdings wurde die öffentliche Debatte schon bald dominiert von der Auffassung der Bundesregierung, die in § 14 III LuftSiG eine Erlaubnisnorm für den Abschuss einerbesetzten Passagiermaschine hineininterpretierte, weil die Passagiere ja ohnehin dem Tod geweiht seien. Die Argumentation, ein solch radikaler Eingriff in Grundrechte hätte viel expliziter und konkreter ins Gesetz geschrieben werden müssen und sei im Übrigen verfassungswidrig, kam dagegen nicht an. Genau so wenig wie Hinweise auf Polizeigesetze, die Schusswaffengebrauch und sogar den finalen Todesschuss erlauben, ohne dass jemand auf den Gedanken kommt, diese Erlaubnis lasse auch die Tötung unbeteiligter Dritter zu. Eine verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes verbietet die Tötung von Nichttatbeteiligten. Das Bundesverfassungsgericht sah dies anders. Die Norm ermächtige zu einer verfassungswidrigen Handlung. Jedenfalls bringe das Gesetz nicht klar genug zum Ausdruck, dass die Tötung von unbeteiligten Passagieren eines abzuschießenden Flugzeuges niemals rechtmäßig sein könnte. Die Regelung verstoße gegen das Grundrecht auf Leben und gegen die Menschenwürde und sei deshalb in vollem Umfang verfassungswidrig und nichtig. Trotz dieser Ohrfeige für den Gesetzgeber ist diese Entscheidung im Ergebnis folgerichtig und zu begrüßen, gerade auch von denen, die den § 14 Abs. III Luftsicherheitsgesetz zwar mit verabschiedet haben, aber den Abschuss von Flugzeugen mit an den geplanten Anschlägen unbeteiligten Menschen an Bord niemals als rechtmäßig gesetzlich zulassen wollten.

6. Otto-Katalog III

6.1 Bundeskriminalamt

Ermittlungskompetenzen des Bundeskriminalamtes im Bereich des internationalen Terrorismus bestehen umfassend. Noch am 11.9.2001 wurde eine Besondere Aufbauorganisation (BOA) USA im BKA auf Weisung der Amtsleitung eingerichtet. Am 7.10.2001 erreichte sie eine Größe von 613 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie wurde unterstützt durch Kräfte aus den Bundesländern und durch Verbindungsbeamte des FBI aus den USA. Die Zentralstellenkompetenz des BKA wurde gestärkt. Damit wurde die Arbeit des BKA erleichtert. In etwa 5.400 Fällen pro Jahr konnten Informationen schneller und mit weniger Aufwand beschafft werden. Weitergehende Befugnisse konnten in zähen Verhandlungen verhindert werden. Zur geplanten Ausweitung der Kompetenz des BKA auf die präventive Verbrechensbekämpfung kam es nicht - noch nicht! Diese blieb zunächst weiter bei den Länderpolizeien.

6.2 Erweiterte Befugnisse für die Geheimdienste

Aber in den Otto-Katalogen fanden sich vor allem neue Befugnisse für die drei deutschen Geheimdienste - BND, MAD und dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) - für das Bundeskriminalamt und für die neue Bundesspolizei, ehemals Bundesgrenzschutz. Die gesetzliche Aufgabenzuweisung des Bundesamtes für Verfassungsschutz und des Militärischen Abschirmdienstes sollte ausgeweitet werden. Es sollten jetzt auch Bestrebungen beobachtet werden, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Neue Auskunftsrechte sollten BfV und der BND zur Erforschung von Geldströmen und Kontobewegungen erhalten sowie Möglichkeiten der heimlichen Datensammlung. Da mussten die Alarmglocken klingeln. Waren dies doch erhebliche Eingriffe in die Bürgerrechte, die schon lange auf der Wunschliste der Sicherheitsdienste standen und offensichtlich jetzt, im Zeichen des Kampfes gegen den islamistischen Terrorismus, ins Gesetz aufgenommen werden sollten. In der Öffentlichkeit taten sich die Politiker hervor, die die härtesten Verschärfungen forderten. In anderen westlichen Ländern, wie den USA und England, wurde vorgeführt, wie weit der Abbau rechtsstaatlicher Garantien gehen konnte. Angesichts dieses Drucks fiel es schwer, rechtsstaatlich Stand zu halten. Wenn schon nicht alle Eingriffe in Bürgerrechte verhindert werden konnten, sollten die neuen Befugnisse wenigstens auf Fälle des Kampfes gegen den internationalen Terrorismus beschränkt, befristet und kontrolliert werden. So kam es, dass die verabschiedeten Otto-Kataloge zwar Einschränkungen der Bürgerrechte enthielten, aber rechtliche Hürden durchgesetzt wurden, die bei Anwendungen der neuen Befugnisse den Rechtsstaat garantieren sollen. Wie erhofft, blieb die Zahl der Eingriffe klein - jedenfalls bisher. Die Geheimdienste können nun in Einzelfällen der Terrorismusprävention auch bei privaten Stellen, wie Banken, Post, Fluggesellschaften und Telediensten, Daten über Kontenbewegungen und Kommunikationsverbindungen abfragen. Die Auskünfte dürfen allerdings nur eingeholt werden, wenn in jedem Einzelfall der Präsident des Dienstes dies beantragt, das zuständige Bundesministerium zustimmt und die unabhängige G-10-Kommission die Zulässigkeit der Maßnahme im Einzelfall geprüft hat. Außerdem muss das Parlamentarische Kontrollgremium von allen Maßnahmen unterrichtet werden. Die Auskunftserteilung bleibt freiwillig. Eine Pfl icht zur Beantwortung der Abfragen wurde nicht eingeführt. Eine gerichtliche Kontrolle der Maßnahmen der Geheimdienste gibt es also nicht. Aber anders als bei der gerichtlichen Kontrolle solcher Maßnahmen seitens der Polizei, die eine ausufernde Anwendung nicht verhindern konnte, führten die genannten Vorgaben für die Geheimdienste, insbesondere die Einzelprüfung durch die G-10-Kommission und die Befassung der Präsidenten mit solchen Abfragen, dazu, dass die Dienste von den Möglichkeiten wirklich nur Gebrauch gemacht haben, wenn es unumgänglich schien. Beispielsweise Kontenabfragen durch die Geheimdienste gab es im Zeitraum vom Inkrafttreten des Gesetzes 09. 01. 2002 bis zum Auswertungsstichtag der vorgeschriebenen Evaluierung 31. Dezember 2004 insgesamt in ganz Deutschland nur in 29 Einzelfällen. Bankenauskünfte trugen zur Aufklärung des Finanzierungsnetzwerks der Hamas in Europa bei. Auch in dem Verbotsverfahren gegen den Spendensammelverein "Al Aqusa e.V.", der im Jahr 2002 verboten wurde, waren Bankauskünfte wichtig. Durch Auskünfte der Telekommunikationsgesellschaften wurden Strukturen des islamistischen Terrorismus aufgedeckt. Die Auskünfte der Luftfahrtunternehmen dienten der Aufklärung von Reisebewegungen islamistischer Terroristen. Insgesamt gab es in dem oben genannten Zeitraum rund hundert Anordnungen der genannten Maßnahmen, von denen etwa 140 Personen betroffen waren. Der Überwachungsstaat war damit nicht in Sicht.

6.3 IMSI-Catcher

Die Geheimdienste haben auch die Befugnis erhalten, den sog. IMSI-Catcher einzusetzen. Dieser dient dazu, Standort, Geräte- und Kartennummern von Mobiltelefon-Anschlüssen zu ermitteln. Der Einsatz dieser neuen Technologie war zuvor gesetzlich nicht geregelt. Unbekannte Mobilfunk-Nummern von Zielpersonen können damit ermittelt werden. Über diese Nummern ist zwar kein Mithören der Gespräche möglich, aber eine Überwachung, wann sich der Handybesitzer wo befindet und mit wem er Gespräche führt. So kann ein Bewegungsbild der Person entstehen. Technisch funktioniert der IMSI-Catcher wie ein Netz. Dies führt auch dazu, dass eine Anzahl Dritter, die im Messbereich ein Mobiltelefon aktiviert haben, zwangsläufi g mit eingefangen wird. Problematisch ist der Umgang mit diesen Daten. Zur Feststellung der sog. IMSI-Nummer der Zielperson erfolgen mehrere Messungen, die miteinander verglichen werden. Erst wenn die Schnittmenge einen eindeutigen Treffer ergibt, erfolgt - und nur hierzu - die Anfrage zur Mobilfunknummer beim Netzbetreiber. Gerade die Erlangung der Daten Dritter stellen ein datenschutzrechtliches Problem dar. Wichtig war, dass der Einsatz dieser IMSI-Catcher durch Geheimdienste erstmals überhaupt gesetzlichen Voraussetzungen unterworfen wurde und die Daten anonym bleiben. Hinzu kam, dass die anderweitige Verwendung dieser Daten gesetzlich verboten wurde und diese unverzüglich nach der Maßnahme gelöscht werden müssen.

6.4 Befristung gegen eine Normalität des Ausnahmezustandes

Die Regelungen zum Bundesverfassungsschutzgesetz, dem BND-Gesetz, dem MAD-Gesetz, dem Sicherheitsüberprüfungsgesetz sowie die des BKA-Gesetzes wurden auf fünf Jahre befristet. Damit sollten die Sonderbefugnisse für die Geheimdienste sowie für das Bundeskriminalamt auch wirklich auf die Zeit der vorübergehenden neuen Gefährdungslage begrenzt bleiben. Danach sollten sie auslaufen, ohne dass es eines weiteren Gesetzgebungsaktes bedurft hätte. Auch der Blick über die Grenzen zeigt, dass die Befürchtung der Normalität des Ausnahmezustandes berechtigt ist. In den USA wurde eine Reihe von Gesetzen des Patriot Act - dem US-amerikanischen Sicherheitspaket - befristet, aber die Befristung wurde nicht beibehalten. Die Befristung in Deutschland war auch eine Schlussfolgerung aus der Erfahrung mit den Sondergesetzen zur Terrorismusbekämpfung der 1970er und 1980er Jahre. Auch damals wurden Bürger- und Prozessrechte eingeschränkt, Strafgesetze verschärft und die Befugnisse der Sicherheitsdienste erweitert sowie deren Aufrüstung drastisch vorangetrieben, mit der Begründung, die terroristische Gefahr mache dies zwingend notwendig. Als von der terroristischen Bedrohung längst keine Rede mehr war, blieben die Gesetze unverändert bestehen. Noch heute sind sie in Kraft, mit einer Ausnahme, der Kronzeugenregelung. Diese ist ausgelaufen, weil sie befristet war.

6.5 Internationaler Terrorismus im Grundgesetz

Was viele befürchtet haben, ist inzwischen eingetroffen. Die Tür wurde einen Spalt geöffnet, der raue Wind der Terrorprävention kann nun eindringen und die fl ackernden Lichter weiterer Bürgerrechte löschen. Kaum war die neue Große Koalition geschlossen und die neue Regierung im Amt, hat sie im Zuge der Föderalismusreform ihre Zuständigkeit auf den Bereich der Terrorprävention erweitert. Der Begriff "interna tionaler Terrorismus" hält Einzug ins Grundgesetz. Keiner weiß genau, was darunter zu verstehen ist. Staaten defi nieren schon den Begriff völlig unterschiedlich und wenden ihn häufig völlig gegensätzlich an. Was für die einen legitime Befreiungsbewegungen sind, sind für andere terroristische Gruppen. Und es kommt schon mal vor, dass der Anführer einer terroristischen Vereinigung einige Zeit später würdiger Empfänger des Friedensnobelpreises ist. Dennoch, in der deutschen Verfassung steht jetzt, dass der Bund in Fällen der Prävention gegen den "internationalen Terrorismus" die Gesetzgebungskompetenz hat. Damit kann die Axt gegen die Polizeihoheit der Länder angesetzt werden. War das BKA zwar für Ermittlungen nach Straftaten wie den Anschlägen vom 11. 9. zuständig, die Prävention von Straftaten aber noch konsequent den Länderpolizeien zugeordnet, so wird dieser Grundsatz nun durchbrochen. Eine Lehre aus den Erfahrungen mit der übermächtigen zentralen Polizei im nationalsozialistischen Staat wird ignoriert. Damit ist der Weg frei für eine sehr weite, neue Zuständigkeit des BKA und einer Flut neuer Aufgaben im Präventionsbereich. Denn nicht nur die Prävention vor dem "internationalem Terrorismus" im engeren Sinn, was auch immer darunter zu verstehen ist, wird dem BKA überantwortet. Die meisten Bereiche der organisierten Kriminalität im internationalen Bereich, wie Drogengeschäfte, Verschleppung, Waffen- und Menschenhandel, sind eng mit internationalem Terrorismus verbunden. Eine Trennung der polizeilichen Prävention ist nicht möglich. Damit wird mit der neuen Zuweisung der Gesetzgebungskompetenz im Grundgesetz eine fast unbegrenzte Aufgabenzuweisung für nahezu alle Bereiche schwerster Kriminalität an das Bundeskriminalamt möglich. Daraus folgt über kurz oder lang: Das BKA wird für die Erfüllung von immer mehr Aufgaben, immer mehr Geld und Personal brauchen und es wird in den Bundesländern ein Netz von Außenstellen aufbauen. Dies wird nicht nur teuer und wegen der Übermacht gefährlich. Probleme durch Doppelstrukturen und Konkurrenzen der Polizei vor Ort sind schon vorbestimmt. Keine gute Entwicklung für eine wirksame Verbrechensbekämpfung.

7. Otto-Katalog IV

Die Befristung der neuen Sonderbefugnisse für die Geheimdienste sollte ein möglichst baldiges Auslaufen sicherstellen, ohne dass der Gesetzgeber dies noch einmal ausdrücklich beschließen muss. Nach vier Jahren sollte eine gründliche, möglichst unabhängige, Evaluation stattfi nden, damit dann die Befugnisse wegfallen, die nicht zwingend notwendig waren. Eine Evaluation hat es auch gegeben, aber evaluiert haben sich die Geheimdienste selbst, d. h. sie haben aufgeschrieben, wie häufig, wann und in welchen Fällen sie von den neuen Befugnissen Gebrauch gemacht haben. Das Ergebnis einer solchen Selbstevaluierung war vorauszusehen: Die Befugnisse möchte die Regierung behalten, nur in ganz wenigen Bereichen wurden sie laut Evaluierungsbericht nicht genutzt und können deshalb entfallen. Die neue Bundesregierung hat jetzt einen Gesetzentwurf vorgelegt. Danach läuft keine der Regelungen aus. Die Geltung des ganzen Gesetzespaketes wird verlängert, auch die Befugnisse, deren Streichung der Evaluierungsbericht der Bundesregierung selbst vorgeschlagen hatte. Und es wird mächtig aufgesattelt. Die Bundesregierung missbraucht die Besorgnis der Bevölkerung vor terroristischen Aktivitäten, um wichtige Kontrollmechanismen gegen eine ausufernde Anwendung der Sonderbefugnisse aus dem Gesetz zu streichen. In Zukunft können die Geheimdienste die Befugnisse, wie die der Abfrage von Konten von Bürgerinnen und Bürgern bei Banken und Kreditinstituten oder von Buchungsdaten, ohne großen Aufwand einfacher und rascher anwenden. Die unabhängige G-10-Kommssion wird nicht mehr unterrichtet und prüft nicht mehr. Damit fällt der Ersatz der richterlichen Kontrolle weg. Und der Antrag auf Anordnung der Abfrage soll jetzt nicht mehr vom Präsidenten oder seinem Stellvertreter gestellt werden müssen, sondern jeder Jurist im Amt soll zukünftig dazu befähigt sein. Wird dieser Entwurf Gesetz, dann wird in Zukunft die Anzahl dieser Abfragen vermutlich erheblich ansteigen. Das Justizministerium bleibt mit seinen Vorschlägen hinter denen der Kollegen vom Innenministerium. Es hat ein Gesetz vorgelegt, das eine neue Kronzeugenregelung vorsieht. Zwar hatten nach dem Auslaufen der befristeten Kronzeugenregelung, in einer vom Ministerium selbst durchgeführten Anhörung, alle bis auf einen Sachverständigen bestätigt, dass es für die Wiedereinführung der Kronzeugenregelung keine Notwendigkeit gäbe, trotzdem soll sie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus wieder Gesetz werden. Es ist immer wieder dasselbe: Bürgerrechte werden unter dem Eindruck von Gewalttaten eingeschränkt. Die Öffentlichkeit wird mit dem Hinweis beruhigt, das Ganze sei zeitlich befristet und streng kontrolliert. Anschließend wird die Frist verlängert und schließlich zur Dauereinschränkung oder die Kontrolle wird beseitigt. Deutschland hat den Rechtsstaat nach den Anschlägen vom 11. 9. nicht generell zur Disposition gestellt, sondern - anders als andere Länder wie die USA oder England - weitgehend Maß gehalten bei der Einschränkung von Bürgerrechten und Gesetzesverschärfungen. Allerdings gilt dies nicht für ausländische Bürgerinnen und Bürger, die besonders unter Repressiven Maßnahmen zu leiden haben und die eine erhebliche Verschlechterung ihres Rechtsstatus hinnehmen mussten. Sondermaßnahmen, Sonderbefugnisse und Sondergesetze dürfen nicht die Regel werden. Unabhängige Überprüfung tut Not. Nicht neue Befugnisse und die Verminderung von rechtsstaatlichen Kontrollen müssen auf die Tagesordnung, sondern das Auslaufen und der Abbau der Sonderregelungen. Das bedeutet ein konsequentes Nein zu den geforderten Änderungen des Grundgesetzes, um die Bundeswehr umfassend im Inneren einsetzen zu können, und zum Otto-Katalog IV sowie den immer neuen Forderungen zur Überwachung der Bevölkerung im Inneren und zur unbeschränkten Informations beschaffung weltweit. Die Auseinandersetzung mit dem internationalen Terrorismus, auch mit dem islamistischen, ist in erster Linie politisch zu führen, mit einer ehrlichen Politik nach innen und außen, die Rechtsstaat, Menschenrechte und Menschenwürde unterschiedslos und glaubhaft vertritt und durchzusetzen hilft.

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