Auslaufmodell Großer Lauschangriff abwickeln
10.08.2005: Presseerklärung von Hans-Christian Ströbele zur heutigen Befassung des Kabinetts mit der Wohnraumüberwachungs-Bilanz
Zur heutigen Befassung des Kabinetts mit der Wohnraumüberwachungs-Bilanz 2004 sowie des Bundesgerichtshofs mit einem konkreten Fall erklärt Hans-Christian Ströbele, stellvertretender Fraktionsvorsitzender:
Wir lehnen die akustische Wohnraumüberwachung weiterhin ab. Der große Lauschangriff wird kaum noch angewendet, ist ein Auslaufmodell und gehört "abgewickelt". Bis dies politisch durchgesetzt werden kann und im Parlament mehrheitsfähig ist, darf der Große Lauschangriff nur noch ganz restriktiv und eng begrenzt lediglich zur Aufklärung schwerster Straftaten stattfinden. Erst unter Rot-Grün wurde die Maßnahme verfassungsfest eng ausgestaltet. Gespräche über den Kernbereich der Privatsphäre bleiben vollständig tabu. Die Bürgerinnen und Bürger haben ein Grundrecht, in ihrer Wohnung in Ruhe gelassen zu werden.
Die Bilanz 2004 zeigt: Im letzten Jahr haben nur sechs Bundesländer die Maßnahme überhaupt noch in lediglich zehn Verfahren (2003: 37 Verfahren) angewendet, zu 50 Prozent erfolglos. Bedenklich stimmt, dass über 60 Prozent der Wohnraumüberwachungen keinen Bezug zu einem Fall organisierter Kriminalität hatten. Dies war aber die Begründung für die Einführung der Befugnis 1998. Dieser zahlenmäßige Rückgang ist auch Folge der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom März 2004, dass die 1998 von Schwarz-Rot-Gelb weitgehend verfassungswidrig ausgestaltete Maßnahme nur noch unter strengeren Voraussetzungen angewendet werden dürfe.
Im Juni 2005 haben wir noch über die Verfassungsgerichts-Anforderungen hinaus gesetzliche Einschränkungen durchgesetzt:
- Kein Lauschangriff auf private Gespräche unter Angehörigen (z.B. keine Wanze unter dem Ehebett)
- Lauschangriff muss sofort abgebrochen werden, wenn sich herausstellt, dass Angehörige Privatangelegenheiten besprechen
- Prinzipiell kein Lauschangriff auf Berufsgeheimnisträger (wie Pfarrer, Ärzte, Anwälte) im Beratungsgespräch mit Patienten, Mandanten o. ä.
Die heutige Kritik vor allem der FDP an der Wohnraumüberwachung ist verlogen. Die damalige Regierungspartei FDP hat 1998 den großen Lauschangriff mit beschlossen und deshalb die Grundgesetzänderung bis heute zu verantworten. Nur wenige ihrer Abgeordneten stimmten damals gegen ein Detail.
Das Bundesverfassungsgericht hat dieses schwarz-gelbe Machwerk im März 2004 als überwiegend verfassungswidrig gegeißelt und für eine Neuregelung strenge Vorgaben gemacht. Rot-Grün hat diese durch einen sehr eingegrenzten Novellierungsentwurf umgesetzt und so die akustische Wohnraumüberwachung überhaupt erst verfassungskonform gemacht.
Schon während des ersten Beratungsgangs im Bundestag war es wiederum auch die FDP, die Verschärfungen des Regierungsentwurfs forderte (etwa, dass Kommunikation unter engen Angehörigen nur dann abhörgeschützt sein dürfe, wenn die Beteiligten beweisbar feststünden, statt schon bei entsprechender Annahme, wie der Rot-Grün durchsetzte). Im Bundesrat hat außer der Union auch die FDP durch die von ihr mitregierten Länder wiederum auf Verschärfungen gedrungen und mit dahingehenden Forderungen den Vermittlungsausschuss angerufen. Daran mögen sich die gelben Wahlkämpfer heute nicht mehr erinnern lassen.