Wahlkampf 2013

Rede von Hans-Christian Ströbele im Bundestag zum Thema "Whistleblowerschutzgesetz"

19.06.2015: 18.06.2015 / Zur Zweite und dritte Beratung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz)

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Diese Diskussion leidet unter einem grundlegenden Mangel: Sie ziehen sich immer auf die Rechtsprechung zurück. Sie haben kein Wort dazu gesagt, wie lange es braucht, bis man recht bekommt. Bei dem Beispiel, das Sie genannt haben, hat die Frau jahrelang gewartet und gelitten. Ihre Existenz wurde völlig kaputt gemacht, bis sie vor dem Europäischen Gerichtshof letztendlich recht bekommen hat. Wir sind der Gesetzgeber und dürfen uns nicht hinter der Rechtsprechung verstecken. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, solche Fälle zu regeln. Sie drücken sich, weil Sie sich nicht trauen und sich mit bestimmten Teilen der Industrie und der Unternehmen nicht anlegen wollen. Deshalb verweigern Sie sich. Diese Verweigerung ist nicht in Ordnung. Sie sollten Ihren Standpunkt ändern.

Der SPD sage ich: Man muss offenbar warten, bis Sie wieder in der Opposition sind. In der letzten Legislaturperiode waren Sie nämlich durchaus auch für eine solche Gesetzgebung. Jetzt können Sie nicht. Sie trauen sich nicht oder wollen nicht. Wenn Sie sagen, dass Ihnen das, was wir vorgelegt haben, nicht reicht: Wir sind zu jedem Gespräch bereit. Es hat aber keinen einzigen Ansatz eines Änderungsantrages oder Ähnliches gegeben, sondern Sie verweigern sich aus Koalitionsräson und kommen Ihren eigenen Vorstellungen, die Sie hier vorhin ja auch angesprochen haben, nicht nach, sondern verraten diese damit. So kann man mit dem Problem nicht umgehen.

Ich will jetzt gar nicht über die Paragrafen reden, die im Bürgerlichen Gesetzbuch und im Bundesbeamtengesetz geändert werden sollten darüber ist immer wieder einmal, auch in der Anhörung, gesprochen worden, sondern ich rede jetzt über einen Teil, zu dem Sie jede Diskussion verweigern. Ich habe versucht, im Rechtsausschuss darüber zu diskutieren. Ich habe die Kolleginnen und Kollegen der Koalition gebeten, sich doch wenigstens kurz dazu zu äußern, was sie dagegen haben. Da kam leider null und nichts. Sie verweigern die Debatte über ein Gesetzesvorhaben zu einem Thema, das in der Öffentlichkeit breit diskutiert wird.

Nicht nur Transparency International, sondern auch die Mitglieder des Rechtsausschusses und des Menschenrechtsausschusses des Europarates fordern von den Mitgliedsländern, eine gesetzliche Regelung zu schaffen; Sie aber hören überhaupt nicht zu. Sie sitzen hier im Bundestag, in dem Sie alles Mögliche regeln. Aber über das, was auch die Netzcommunity immer wieder anmahnt: "Wann kommt ein Whistleblower-Schutzgesetz?" reden Sie nicht einmal, geschweige denn, dass Sie etwas vorlegen oder uns helfen, einen vernünftigen Entwurf vorzulegen.

Deshalb haben wir jetzt einen Gesetzentwurf zu einem Whistleblower-Schutzgesetz vorgelegt. Dieses Gesetz ist dringend erforderlich, und zwar auch in Bezug auf das Strafrecht. Auf der Grundlage des Strafrechts wird auch Edward Snowden wegen des Verrats von Staats- und Dienstgeheimnissen verfolgt. Es muss eine Möglichkeit geben, bei der Abwägung höhere Interessen zu berücksichtigen, nämlich die Schutzgüter des Grundgesetzes, die Interessen der Gesamtgesellschaft, schwere Verbrechen und Straftaten zu verhindern, sodass sich Menschen, die aus solchen Gründen handeln und ihnen das zugerechnet werden muss, nicht strafbar machen.

Wir schlagen vor, dass in diesen Fällen ein Rechtfertigungsgrund vorliegt bzw. dass sie befugt handeln. Wir können über jede Einzelheit reden. Aber dringend erforderlich ist die Diskussion in Deutschland und im Bundestag dazu. Der Gesetzgeber muss hier handeln.

Als kleines Aperçu am Rande weise ich Sie auf den § 97 d StGB hin. Der Inhalt dieses Paragrafen stand nach Verabschiedung durch den Deutschen Bundestag im Jahr 1951 schon einmal im Gesetz, also unmittelbar nach dem Erlass des Grundgesetzes. Dieser Paragraf im Strafgesetzbuch erlaubte es Abgeordneten, im Plenum oder in Ausschüssen Geheimnisse, die die freiheitliche demokratische Ordnung infrage stellten, benennen zu dürfen. Dieser Paragraf wurde 1968 wieder aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Wir sind dafür, dass dieser Paragraf wieder eingeführt wird. Er könnte gerade in den Zeiten der NSA-Affäre und des Whistleblowers Edward Snowden heilsam sein.

Die ganze Debatte (so wie auch die Rede von Hans-Christian Ströbele) können Sie hier anschauen:

Hintergrundinformationen:

Hier finden Sie den Gesetzentwurfe Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zur Förderung von Transparenz und zum Diskriminierungsschutz von Hinweisgeberinnen und Hinweisgebern (Whistleblower-Schutzgesetz)

Deutsche Anwaltauskunft: Domscheit-Berg: "Wir brauchen in Deutschland ein Whistleblower-Gesetz"

In Bezug auf den Whistleblowerschutz lohnt auch ein Blick nach Straßburg. Die aktuell vorliegende Resolution des Ausschuss für Recht und Menschenrechte des Europarates, sieht vor, dass die Mitgliedstaaten den Whistleblowerschutz verbessern sollen. Der parlamentarische Versammlung des Europarats liegt diese Resolution am 23.06.2015 zur Verabschiedung vor. Auch wenn diese Resolution nicht rechtlich binden ist, setzt sie die Regierungen der Mitgliedsländer, wie auch Deutschland, unter Rechtfertigungsdruck. Die Bundesregierung hatte bisher immer behauptet, es gebe keinen Regelungsbedarf.

Auch der Deutschlandfunk berichtete über den Gesetzentwurf und zitierte Hans-Christian Ströbele: "Wir sehen grundsätzlich ein Stufen-Verfahren vor: Dass ein Informant, der Missstände entdeckt - Rechtsverletzungen, Grundrechtsverletzungen, möglicherweise sogar strafbares Verhalten - dass der zunächst natürlich versucht, das intern anzuzeigen. Aber wir sehen auch eine Möglichkeit vor, wenn das von Anfang an aussichtslos erscheint, dass er sich dann direkt nach außen wenden kann, es möglichweise sogar veröffentlichen kann."