Wahlkampf 2013

Gebt das Hanf frei!

15.03.2003: Interview des Hanf-Magazins "grow" mit Hans-Christian Ströbele (Ausgabe März/April 2003)

grow: Wie sind Sie zum Thema Hanf gekommen?

STRÖBELE: Als Verteidiger in Strafsachen hatte ich von Anfang an mit Leuten zu tun, die im Zusammenhang mit Drogen vor Gericht und ins Gefängnis gekommen sind. Ich habe die Urteilssprüche gehört und habe es überhaupt nicht eingesehen. Außerdem habe ich das vom Anfang der Legalisierungsbewegung, von den "Smoke Ins" im Tiergarten bis heute aus nächster Nähe verfolgt. Ich bin selbst ein Nicht-User seit vielleicht 15 oder 20 Jahren...

grow: ... also vorher schon?

STRÖBELE: Ich habe noch nie einen Joint geraucht. Allerdings habe ich als Student auch Bier und Wein und Schnaps getrunken - sehr wenig immer - ich habe auch wenig geraucht. Und irgendwann habe ich es dann gelassen, weil ich gemerkt habe, dass es mir gesundheitlich nicht gut getan hat. Ich rauche nicht, trinke nicht, trinke keinen Kaffee, eher Tee und am liebsten Milch. Deshalb tue ich das nicht für mich, wenn ich mich für die Legalisierung von Hanf engagiere, sondern aus anderen Gründen.

grow: die wären...?

STRÖBELE Wegen der gesellschaftlichen Gerechtigkeit. Ich nehme um mich herum viele Menschen wahr, die völlig selbstverständlich das Recht auf Rausch für sich in Anspruch nehmen, indem sie trinken und Zigaretten rauchen, die aber überhaupt nicht einsehen wollen, dass ein Joint nicht so problematisch ist wie der Missbrauch alkoholischer Getränke oder auch übermäßiger Nikotingenuss. Ich habe festgestellt, dass für die Gesellschaft die Marihuanakonsumenten viel eher hinzunehmen sind als etwa Alkoholabhängige, sie sind in aller Regel nicht aggressiv. Deshalb sage ich, lasst möglichst alle die Finger von allen Drogen, aber diese extrem unterschiedliche Behandlung ist eine der schlimmsten Lebenslügen unserer Gesellschaft. Und - das ist auch eine ganz wichtige Erfahrung - ich weiß, dass die Gefängnisse voll sind, dass die Gerichte, die Staatsanwaltschaft, die Polizei überlastet sind, weil diese Droge Hanf/Marihuna illegal und mit hohen Kriminalstrafen bedroht ist. Wegen der Strafbarkeit sind die Profite hoch und gedeiht das Verbrechen bis zu Mord und Totschlag. Das Elend dieser kriminellen Szene wäre von einem Tag auf den anderen weg, wir zu einer kontrollierten Legalisierung kämen. Wie im Chicago der zwanziger Jahre nach der Aufhebung der Strafbarkeit von Alkohol.

grow: Gestern in der Diskussion über Drogen, wo Sie auch vertreten waren, hat Herr Rüttgers immer gesagt, dass wir schon die legale Droge Alkohol haben, und dass man da keine weitere legale Droge dazunehmen soll, was halten Sie davon?

STRÖBELE: Die Erfahrung lehrt, dass Verbote und selbst höchste Strafen nichts bringen. Seit nun 50 Jahre wird der Krieg gegen die Drogen weltweit geführt. Er ist verloren! Der Drogenmissbrauch nimmt nicht ab, sondern zu. Bei der jährlichen schrecklichen Statistik der Drogentoten fehlt die Droge Cannabis. Trotzdem wird weiter bestraft mit hohen Freiheitsstrafen. Darüber hinaus bin ich, seit ich vor einigen Jahren das Buch von Matthias Bröckers gelesen habe, ein absoluter Fan von Hanf in der nichtrauchbaren Form...

grow: ...Nutzhanf...

STRÖBELE: Ich habe mir Jacken, Hosen, Jeans, Schuhe, Socken, Haarwaschmittel, alles mögliche, sogar Schokolade mit Hanfzusätzen oder aus Hanf besorgt. Das ist eine alte, wichtige Kulturpflanze Europas mit vielen Verbrauchsvorteilen, die wir wiederbeleben sollten.

grow: Wobei das recht schwierig ist, weil das technische Know-How für die Hanfernte durch das Verbot völlig veraltet ist...

STRÖBELE: Mit solchen Einzelheiten habe ich mich nicht beschäftigt. Aber ich lese seither mit neuer Aufmerksamkeit alte Märchen, in denen vom Hanfhemd oder Hanfsack oder vom Hanfseil die Rede ist. Die Märchen spielen im Odenwald oder Schwarzwald, also mitten in Deutschland. Wie konnte es passieren, diese Kulturpflanze so in Misskredit zu bringen, dass sie fast völlig in Vergessenheit geraten ist oder heute mit Angst und Schrecken verbunden wird?

DHV: Die Argumente, die du eben genannt hast zu den Schwarzmarktauswirkungen, z.B. der Vergleich mit der Alkoholprohibition in Amerika, gelten ja eigentlich für alle Drogen...

STRÖBELE …alle Illegalen...

DHV: Genau, alle illegalen, das würde doch in der Konsequenz auch bedeuten, man müsste nicht nur Hanf legalisieren, sondern letztendlich alle illegalen Drogen...

STRÖBELE: Bei den "harten" illegalen Drogen bin ich vorsichtiger, weil deren gesundheitlichen Auswirkungen dramatisch schlimmer sind, sowohl was die Sucht und Abhängigkeit anbetrifft als auch die schweren körperlichen und psychischen Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen. Hier muss die Hilfe für die Süchtigen im Vordergrund stehen. Durch legale Abgabe von Methadon oder sogar von Heroin muß das Elend der Abhängigen vermindert und der Tod der Menschen verhindert werden.

DHV: Wie sieht es denn bei den Grünen aus mit der Forderung nach Legalisierung von Hanf ?

STRÖBELE: Die Grünen waren schon immer dafür - bis heute. In der vielgescholtenen Bundestagsfraktion, in der um Positionen gestritten wird und ich manchmal in der Minderheit bin, ist es in diesem Punkt ganz anders. Dass Haschisch und Marihuana legalisiert werden müssen, darüber gibt es keinen Streit, da sind wir uns einig. Zumal vermutlich einige so was auch schon mal probiert haben, vielleicht auch noch rauchen. Seit die Grünen `98 in der Bundesregierung sind, werden wir von machen als Verräter an der Idee der Legalisierung von Hanf gesehen. Das ist nicht richtig. Es ist einfach so, dass diese Forderung einer Partei von zunächst 6,7 % und jetzt 8,6 % in der Koalition nicht durchsetzbar war. Wir haben auch in diesen letzten Koalitionsverhandlungen versucht, den Einstieg in die Legalisierung zu erreichen. Leider vergeblich. Der Koalitionspartner ist nicht bereit, darüber auch nur ernsthaft zu reden. Das heißt, ohne ein Umdenken bei der SPD kommen wir nicht weiter. Die Koalition aufkündigen, weil Hanf nicht legalisiert wird, das will doch auch niemand. Dazu sind Die Grünen nicht bereit.

grow: Das verstehe ich. Noch ein paar Worte zu den aktuellen Vorgängen, "Gebt das Hanf frei!..." Erzähl doch mal, wie das alles entstanden ist...

STRÖBELE: Bei der Hanfparade 2002 habe ich vor der Zentrale der CDU eine Rede gehalten, die dann zum Teil im Fernsehen übertragen wurde. In dieser Rede kommt eine Satz vor, der sich gar nicht auf die Legalisierung von Hanf bezieht, sondern auf einen Vorgang am Rande der Hanfparade: Am Wagen der Grünen Jugend waren größere Büschel von grünen Hanfpflanzen angebracht gewesen, die hatte die Polizei, bevor ich kam, sichergestellt. Das war legales THC-armes Hanf, das am Morgen bei einem Bauern in Brandenburg geerntet worden war. Darüber gab es sogar eine schriftliche Bescheinigung. Dann bin ich zur Polizei hin und habe mit denen lange verhandelt. Die Polizei weigerte sich rechtswidrig, dieses Hanf rauszugeben. Ich habe mich sehr darüber aufgeregt. In dieser Rede habe ich den Vorgang berichtet und dazu den Satz gesagt, "Gebt das Hanf frei! Und zwar sofort!" Den Ausschnitt hat der Talkmaster Raab im Fernsehbericht gesehen. Ich kannte ihn bis dahin nicht. Er hat die Passage mehrfach in seiner Show gesendet und hat dann einen Song daraus gemacht. Als ich davon Erfuhr, dachte ich zunächst: Das darf der doch nicht. Er verletzt mein Urheberrecht und macht damit Geld. Ich wollte es ihm schon verbieten. Dann habe ich den Song gehört und fand ihn nicht schlecht, gerade richtig für mein politisches Anliegen. Das gibt der Forderung nach Legalisierung von Hanf einen Schub. Ich bin dann sogar zu ihm in die Show gegangen...

grow: Und das war auch super. Ich habe das zufällig gesehen und war begeistert!

STRÖBELE: Der Song ging dann in den Charts hoch und ich habe dann verlangt, von den Einnahmen einen Teil zu bekommen. Grundsätzlich war Stefan Raab damit einverstanden. Die Summe wird noch geklärt.

grow: und was soll dann mit dem Geld passieren?

STRÖBELE: Das soll erstens zur Unterstützung der Legalisierungsforderung, also beispielsweise für die Hanfparade, ausgegeben werden und die andere Hälfte für Suchtpräventionsprojekte.

grow: Was kann man unseren engagierten Lesern empfehlen, damit wir eine Legalisierung bekommen? Wie kann man die Politiker beeinflussen, letztendlich müssen Sie das ja entscheiden...

STRÖBELE Die These, dass diese Droge kulturell nicht akzeptiert sei in Deutschland, die stimmt ja schon längst nicht mehr. Ein erheblicher Teil der Bevölkerung konsumiert das Zeug und weiß auch vernünftig damit umzugehen. Gerade bei den jungen Leuten sind es Millionen, ob uns das gefällt oder nicht. Alle, die was tun wollen, sollen zu den Abgeordneten ihres Wahlkreises gehen, ob SPD, CDU oder FDP und denen klarmachen, dass sie nicht die Wählerinnen und Wähler vergraulen, wenn sie der Legalisierung von Hanf zustimmen - ganz im Gegenteil. Für viele in der CDU ist das noch eine Horrorvorstellung, so als würde ich die Kinderpornographie zulassen wollen. Ich habe aber in allen Parteien auch welche getroffen, die nichts gegen eine Legalisierung haben, aber den Proteststurm in der eigenen Wählerschaft fürchten. In einem nächsten Bundestag müssten sich genügend Abgeordnete zusammenfinden, die einen Legalisierungsantrag mittragen, vielleicht einen überfraktionellen Antrag wie bei anderen brisanten gesellschaftlichen Tabu-Themen in der Vergangenheit.

grow: Gibt es schon konkrete Vorstellungen, wenn man legalisiert, wie das geregelt werden soll?

STRÖBELE Das wird diskutiert. Soll die Droge über Apotheken abgegeben werden oder über Coffeeshops wie in Holland oder über Drogerien? Apotheken würden sich vielleicht weigern. Ein erster Schritt könnte die kontrollierte, erleichterte Abgabe als wirksame Medizin bei schweren Erkrankungen wie Aids oder Krebs sein. Ich bin auch dafür, dass man Schranken und Erschwernisse einbaut, die etwa bei Tabak immer gefordert, aber nicht eingehalten werden: die Abschaffung der leicht auch für Kinder zugänglichen Automaten. Es müsste ein System geschaffen werden, in dem das Zeug kontrolliert und besteuert wird. Das soll auch nicht billiger sein als Alkohol. Und der Staat sollte die Cannabissteuer nicht für Militär und Krieg ausgeben, wie bei der Tabaksteuer, sondern zweckgebunden für Suchtprävention, zur Aufklärung über die Gefahren des Drogengebrauch oder -missbrauch und für Hilfe.

DHV: ...und der Eigenanbau von Hanf sollte ja dann wohl auch legal sein...

STRÖBELE: Jaja, richtig, natürlich... genau. Heute kann ich Alkohol herstellen und Tabak anbauen, da kriege ich sogar noch EU-Subventionen. Man kann sogar jemanden überfallen und berauben, da gibt es manchmal weniger Gefängnis, als wenn man zum Eigenverbrauch zu Hause Hanf in der Badewanne wachsen läßt. Eine verrückte Welt.

DHV: Mittlerweile ist es ja so, durch den Song, dass du die Galionsfigur der Legalisierungsbewegung bist, zumindest was die Politiker angeht. Was für ein Gefühl ist das denn für dich?

STRÖBELE: Ich wehre mich ein bisschen dagegen, gegen die absurde Behauptung, ich würde die Droge selber nicht nehmen, aber andere vergiften wollen. Wenn ich mich gegen eine Kriminalisierung von alkoholischen Getränken oder Tabak ausspreche, heißt das doch auch noch lange nicht, dass ich will, dass andere sich betrinken oder rauchen. Deshalb betone ich immer im zweiten Satz, dass ich selber die Drogen nicht nehme und ich auch allen Leuten abrate, dies zu tun. Vielleicht bin ich als Befürworter der Legalisierung sogar geeigneter, als wenn ich selbst kiffen und die Forderung zur Befriedigung meiner eigenen Sucht aufstellen würde.

Ich hoffe, wir kommen mit der Legalisierung in den nächsten Jahren weiter. Es ist bitter notwendig. Dazu muß ausgewertet werden, welche Folgen die legale Abgabe von Cannabis in den Niederlanden und der Schweiz hatte. Es gibt sehr unterschiedliche, häufig interessengeleitete Darstellungen und Bewertungen. Manche behaupten, die Holländer hätten nur schlechte Erfahrungen gemacht. Das ist wohl falsch. Da bin ich nicht so auf dem Laufenden...