Wahlkampf 2013

Millionärssteuer oder Wiedererhebung der Vermögensteuer

07.11.2003: Vorschlag von Hans-Christian Ströbele zur Wiedererhebung der Vermögensteuer

Millionärssteuer oder Wiedererhebung der Vermögensteuer

Vorschlag von Hans-Christian Ströbele

Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen legt den "Entwurf eines Gesetzes zur Wiedererhebung und Neuregelung einer Steuer auf Vermögen" im Wert von über 500 000 Euro (1 Mio. DM) pro Familie mit einem Steuersatz von 1 Prozent jährlich vor. Ergänzend ist das Bewertungsgesetz zu ändern. Zur Vorbereitung der Einbringung in den Bundestag leitet die Fraktion Verhandlungen mit dem Koalitionspartner SPD ein (Parteitagsbeschluss siehe Anhang 2).

Der Gesetzentwurf dient dem Ziel der Herstellung von mehr sozialer Gerechtigkeit bei der Verteilung der Steuerlasten und dem Abbau von Wettbewerbsverzerrungen, unter denen kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland leiden.

Vermögensteuer mit dem Grundgesetz vereinbar Das Vermögensteuergesetz vom April 1974 ist nach wie vor in Kraft. Lediglich die Erhebung der Vermögensteuer wurde durch die frühere Bundesregierung im Jahr 1997 nach den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 22.6. 1995 ausgesetzt.

Das Gericht hatte keineswegs das Vermögensteuergesetz oder gar eine Erhebung von Vermögensteuer für verfassungswidrig erklärt, sondern lediglich festgestellt, die Besteuerung von Grundbesitzvermögen nach dem etwas erhöhten Einheitswert, der weit unter dem tatsächlichen Verkehrswert liegt, sei mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren, weil beim Barvermögen der volle Wert der Besteuerung zugrundgelegt wird. "Die Bemessungsgrundlage muss deshalb auf die Ertragsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheiten sachgerecht bezogen sein und deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden" (Bundesverfassungsgericht 2 BvL 37/91, Beschluss vom 22.06.1995). Das Grundgesetz sieht in Artikel 106 Absatz 2 die Erhebung von Vermögensteuer ausdrücklich vor und weist das Aufkommen den Ländern zu. Das Bundesverfassungsgericht hat bestätigt, dass die Vermögensteuer zulässig ist und Grenzen für eine zukünftige Erbebung der Vermögensteuer aufgezeigt.

Private Vermögen um Billionen vergrößert In den letzten sieben Jahren hat das Vermögen der privaten Haushalte um fast 1,3 Billionen Euro zugenommen. Pro Jahr kommen ca. 200 Milliarden hinzu. "Diese Größen belegen, dass in Deutschland ein beträchtlicher Wohlstand erreicht ist," schreibt das DIW im Oktober 2002 in seinem Bericht zur Vermögensbesteuerung und stellt zugleich "eine erhebliche Konzentration" dieses Vermögens in Deutschland fest. Schon 1996 ging die grüne Bundestagsfraktion davon aus, dass ein Drittel des Privatvermögens sich in den Händen von nur 5,5 Prozent aller Haushalte konzentriert. Dieser private Wohlstand kommt dem Staatshaushalt nicht zugute.

Große Vermögen und Spitzeneinkommen entlastet Kapitalgesellschaften und Spitzeneinkommen wurden seit 1999 erheblich entlastet. So fielen die von den Kapitalgesellschaften tatsächlich bezahlten Steuern von 42 Milliarden Euro von 1999 bis 2001 auf Null. Die wirtschaftlich Leistungsfähigen konnten sich der steuerlichen Belastung weitgehend entziehen. Die kleinen und mittleren Betriebe der Personengesellschaften hatten diese Möglichkeit nicht. Dadurch entsteht ein Wettbewerbsnachteil für den Mittelstand.

Die Spitzensteuersätze werden mit dem Vorziehen der Steuerreform von 1999 bis 2004 um 11 Prozent gesenkt.

Arbeitslose, Rentner, Beitragszahler belastet Der Staat ist nicht mehr in der Lage, die steigenden Transferleistungen in die sozialen Sicherheitssysteme, also die ernormen Zuschüsse in die Arbeitslosen- und Rentenversicherung, zu finanzieren. Die Folgen sind drastische Einsparungen bei den Leistungen. Zahlungen an Millionen von Arbeitslosen müssen erheblich gekürzt und Nullrunden bei den Rentenanpassungen verordnet werden. Arbeitslose haben Einkommenseinbußen bis zu 100 Prozent hinzunehmen, etwa wenn die Anrechnung des Partnereinkommens zum Verlust des Anspruchs auf Arbeitslosengeld II führen wird.

Steuerrealität und Fiktion Wir haben eine Steuerrealität und eine Fiktion in Deutschland. Fiktion ist, dass alle Wettbewerber in der Wirtschaft vom Staat gleich behandelt und steuerlich gleich belastet sind. Steuerrealität ist, dass große internationale Konzerne sich in Deutschland arm rechnen und de facto wenig oder gar keine Steuern zahlen konnten, während kleine und mittlere Unternehmen diese Möglichkeiten nicht haben und Steuerlasten tragen. Die Folge der Ungleichbehandlung ist u.a. eine systematische Wettbewerbsverzerrung, die sich für kleine und mittlere Unternehmen negativ auswirkt. Durch eine Vermögensteuer, die im Gesamtgefüge der Steuern die Funktion einer Mindestbesteuerung sicherstellt, können diese Wettbewerbsverzerrungen gemindert werden.

Lösung Die vorgeschlagene Änderung des Vermögensteuer-, des Bewertungsgesetzes und die Wiedererhebung einer Steuer auf Millionärsvermögen können beitragen, das Gerechtigkeitsdefizit und den Wettbewerbsmangel zu beseitigen.

Steuersatz, Freibeträge Der Steuersatz wird einheitlich auf 1 Prozent festgesetzt. Erhoben wird diese Steuer auf den realen Wert von Vermögen über 500 000 Euro (1 Mio. DM) pro Haushalt. Zugrundegelegt wird der Verkehrswert der einzelnen Vermögensgegenstände zu Beginn des Kalenderjahres.

Die Freibeträge werden angehoben auf 200 000 Euro pro natürliche steuerpflichtige Person. Pro Kind sind zusätzlich 50 000 Euro vermögensteuerfrei. Damit beträgt der Freibetrag für private Haushalte mit Eltern und mit zwei Kindern 500 000 Euro (1 Mio. DM).

Nach Berechnungen des DIW könnte eine laufende Vermögensteuer in Höhe von 1 Prozent mit Freibeträgen von 500 000 Euro pro Haushalt ein Aufkommen von ca. 15,9 Milliarden Euro im Jahr erzielen. Zur Frage, in welcher Höhe das Aufkommen tatsächlich sein wird, wenn die Vermögensteuer, wie hier vorgeschlagen, als Mindeststeuer gestaltet wird, gibt es noch keine zuverlässigen Schätzungen.

Die Steuern aus der Vermögensteuer fließen in die Kassen der Bundesländer. Eine Berücksichtigung dieser Mehreinnahmen der Länder bei der Verteilung etwa des Einkommensteueraufkommens ist anzustreben.

Vermögensteuer zu nachhaltigen Förderung von Bildung und Forschung Die Vermögensteuer würde die Länder besser als bisher in die Lage versetzen, nachhaltig ihren Zukunftsaufgaben nachzukommen und erheblich mehr Geld in Bildung und Forschung zu investieren.

Die Vermögensteuer soll auch die Funktion einer Mindeststeuer erfüllen. Dies wird dadurch erreicht, dass in Höhe der tatsächlich gezahlten Vermögensteuer für jeden Vermögensgegenstand die Vermögensteuer mit der Einkommensteuer verrechnet werden kann, die für die Erträge dieses Vermögensgegenstandes geschuldet wird. Oder anders ausgedrückt: Die tatsächlich gezahlte Vermögensteuer kann von der geschuldeten Einkommensteuer abgezogen werden, aber nur beschränkt auf die Einkommensteuer für Erträge aus den jeweiligen Vermögensgegenständen. Sollten die amtlichen Schätzungen über das Aufkommen wegen der Anrechnung auf die Einkommensteuer von dem Betrag in Höhe von 15,9 Milliarden Euro erheblich abweichen, ist die Anrechnungsmöglichkeit der gezahlten Vermögensteuer zu begrenzen.

Eine horizontale Verrechnung der Vermögensteuer mit allen Einkommensteuern soll nicht stattfinden. Die Vermögensteuer wird erhoben unabhängig davon, ob aus den jeweiligen Vermögensgegenständen tatsächlich Erträge erwirtschaftet oder vereinnahmt werden (sog. Sollertragssteuer). Damit würde (so Lorenz Jarass in "Wer soll das bezahlen", 2002) sichergestellt, dass einerseits auf den typischerweise erzielbaren Vermögensertrag mindestens die festgesetzte Vermögensteuer bezahlt wird, andererseits bei höheren versteuerten Erträgen - wegen der Anrechnung der bezahlten Vermögensteuer auf die Einkommensteuerschuld - maximal der Spitzensteuersatz der Einkommensteuer bezahlt werden muss.

Damit wird dem Hinweis in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Rechnung getragen, wonach die steuerliche Gesamtbelastung in der Nähe der hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand bleiben soll.

Die übrigen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes für die Gestaltung einer Vermögensteuer (Abschirmung der persönlichen Lebensführung und Schutz der Familie) werden ebenfalls beachtet (siehe Anhang 1).

Bewertung des Vermögens - Neubewertung der Immobilien Die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Neubewertung der Immobilien und die im Vergleich etwa zum Barvermögen gerechtere Bewertung ist keineswegs mit unverhältnismäßig hohem Kosten- und Personalaufwand verbunden, noch ist sie organisatorisch besonders schwierig. Grundsätzlich ist der Verkehrswert der Immobilie abzüglich der im Grundbuch eingetragenen tatsächlich valutierten Belastungen zugrunde zu legen.

Diese Neubewertung muss ohnehin in den nächsten Jahren durchgeführt werden, es sei denn, auch die Erhebung der Erbschaftssteuer soll ausgesetzt werden, was bisher niemand fordert. Denn für das nächste Jahr ist auf den Vorlagebeschluss des Bundesfinanzgerichts ohnehin mit einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu rechnen, die die heutige Bewertung des Immobilienvermögens als Grundlage für die Berechnung der Erbschaftssteuer aus denselben Gründen für mit dem Grundgesetz nicht vereinbar erklärt, wie 1995 die Grundstücksbewertungen als Grundlage für die Vermögensteuer. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Bewertungsanpassung mindestens alle sechs Jahre.

Eine realistische Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken, von Häusern und Wohnungen nach ihrem tatsächlichen Wert, also dem Wert, von dem auch bei Verkäufen und Versicherungen ausgegangen wird, ist vorzunehmen. Zur Erreichung von realitätsnahen, somit verfassungskonformen Bewertungen ist nicht zwingend eine umfangreiche Neubewertung durch die Finanzämter erforderlich. Bereits jetzt werden realitätsnahe Veranlagungen vorgenommen: Bei der Festlegung der gesetzlich vorgeschriebenen Feuerversicherungen, bei der Festsetzung durch die Kommission zur Festlegung der Bodenrichtwerte oder auch bei der Erhebung der Grunderwerbssteuer. Hier lässt sich schnell unter Heranziehung solcher Richtgrößen eine realitätsnahe Bewertung vornehmen. In einer Übergangsphase kann diese Bewertung als Schätzung der Behörden erfolgen, die von den Steuerpflichtigen angefochten werden kann. Oder die Steuerpflichtigen nehmen eine pauschalierte Selbstveranlagung vor, die von den Finanzämtern in Stichproben überprüft wird.

Aber auch der Verwaltungsaufwand für eine gesonderte neue amtliche Neubewertung der Immobilien ist nicht unverhältnismäßig hoch. In fast allen Schätzungen wird er nicht über 5,5 Prozent des Ertrages angesetzt.

  • Das Bundesfinanzministerium ging 1996 von einen Betrag in Höhe von 295 Mio. DM aus.
  • Die Bund-Länder-Arbeitsgruppe der Finanzministerkonferenz bezifferte 1995 die Verwaltungskosten auf 825,8 Mio. DM, davon 600 Mio. DM für die Einheitswertbewertung, deren Kosten auf Erbschaftssteuer, Grundsteuer und Vermögensteuer aufgeteilt werden müssen.
  • Baden-Württemberg gab zu Protokoll, die Verwaltungskosten für die Vermögensteuer seien auf 4 bis 4,5 Prozent der Einnahmen zu schätzen.
  • Nach dem Beschluss zur Nicht-Erhebung der Vermögensteuer ab 1997 erklärte das Finanzministerium, dass die Zuschüsse an die Bundesländer wegen der nun eingesparten Erhebungskosten um 0,15 Milliarden Euro gekürzt würden.
  • Aber selbst wenn die Kosten der Neubewertung bei einem Prozentsatz von 10 Prozent des Aufkommens liegen würden, so würden diese Kosten nur am Anfang anfallen, weil später die Werte nur fortgeschrieben werden müssten.

Die vom Bundesfinanzministerium im Jahr 2001 eingesetzte Sachverständigenkommission "Vermögensbesteuerung" hat überzeugende Empfehlungen für die Neubewertung von Immobilien gemacht, die in das Bewertungsgesetz einzuarbeiten sind:

  • Bewertung unbebauter Grundstücke nach dem Bodenrichtwert mit einem allgemeinen Abschlag von 10 Prozent.
  • Bewertung bebauter Grundstücke im Sachwertverfahren als Regelverfahren nach Normalherstellungskosten mit einem Abschlag von 10 Prozent vom Sachwert und der Anwendung von Marktanpassungsfaktoren der Länder.
  • Bewertung von Mietwohngrundstücken im Ertragswertverfahren nach der sogenannten "WertV" (Wertermittelungsverordnung) unter Berücksichtigung einer bundesdurchschnittlichen Liegenschaftsverzinsung von 4,5 bis 5,5 Prozent.
  • Bewertung der land- und forstwirtschaftlichen Flächen primär nach Bodenrichtwerten mit angemessenem Sicherheitsabschlag.
  • Bewertung von Wohn- und Wirtschaftsgebäuden einschließlich dazugehörigen Grund und Bodens als Grundvermögen.

Die Bewertung von Betriebsvermögen ist nach einer an der Realität orientierten Bilanz vorzunehmen, wie sie nach internationalen Bilanzierungsregeln üblich ist oder entsprechend dem Bewertungsgesetz. Die Bewertung von Bar- und sonstigen Finanzvermögen wirft keine besonderen Probleme auf. Unternehmen bezahlen auf das in Deutschland gebundene Unternehmenskapital die Vermögensteuer, die auf sonstige Unternehmenssteuerschulden anrechenbar ist.

Diese Vorgaben werden in die in der 13. Legislaturperiode bereits eingebrachten Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Vermögensteuer der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen vom 11.6.1996 (Bundestagsdrucksache 13/4838) und der SPD vom 9.9.1996 (Bundestagsdrucksache 13/5504) eingearbeitet.

Anhang 1:

Bundesverfassungsgericht 2 BvL 37/91, Beschluss vom 22.06.1995

L e i t s ä t z e zum Beschluss des Zweiten Senats vom 22. Juni 1995 - 2 BvL 37/91 -

1. Bestimmt der Gesetzgeber für das gesamte steuerpflichtige Vermögen einen einheitlichen Steuersatz, so kann eine gleichmäßige Besteuerung nur in den Bemessungsgrundlagen der je für sich zu bewertenden wirtschaftlichen Einheiten gesichert werden. Die Bemessungsgrundlage muss deshalb auf die Ertragsfähigkeit der wirtschaftlichen Einheiten sachgerecht bezogen sein und deren Werte in ihrer Relation realitätsgerecht abbilden.

2. Die verfassungsrechtlichen Schranken der Besteuerung des Vermögens durch Einkommens- und Vermögensteuer begrenzen den steuerlichen Zugriff auf die Ertragsfähigkeit des Vermögens. An dieser Grenze der Gesamtbelastung des Vermögens haben sich die gleichheitsrechtlich gebotenen Differenzierungen auszurichten.

3. Die Vermögensteuer darf zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt.

4. Unter Berücksichtigung der steuerlichen Vorbelastung des Vermögens muss der Steuergesetzgeber jedenfalls die wirtschaftliche Grundlage persönlicher Lebensführung gegen eine Sollertragssteuer abschirmen.

5. Soweit Vermögensteuerpflichtige sich innerhalb ihrer Ehe oder Familie auf eine gemeinsame - erhöhte - ökonomische Grundlage individueller Lebensgestaltung einrichten durften, gebietet der Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 Abs. 1 GG, daß der Vermögensteuergesetzgeber die Kontinuität dieses Ehe- und Familiengutes achtet.

Anhang 2:

Aus dem Beschluss "Sozialstaat reformieren - Gerechtigkeit erneuern - Zukunft gestalten" der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen vom 15. Juni 2003 in Cottbus:

"Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen soll eine Initiative zur Wiedereinführung der Vermögensteuer ergreifen und nachhaltig betreiben. Wir wissen, dass die Vermögensteuer als Ländersteuer der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Wir setzen darauf, dass in den Bundesländern angesichts auch deren Finanznöte die Bereitschaft wächst, der Wiedereinführung einer Vermögensteuer zuzustimmen."