Wahlkampf 2013

"Ich sage voraus, es wird Veränderungen geben"

25.08.2004: taz-Interview mit Hans-Christian Ströbele zu Hartz IV

"Ich sage voraus, es wird Veränderungen geben" Auch Christian Ströbele, der Fraktionsvize der Grünen, demonstriert gegen Hartz IV - und will es weiter tun. Die Härten der Regelungen "hat uns die CDU eingebrockt", sagt er

taz: Herr Ströbele, Sie wurden in Berlin auf der Montagsdemonstration gesehen. Marschieren Sie wieder einmal gegen den Kurs ihrer Partei, damals gegen den Balkankrieg und jetzt gegen Hartz IV?

Christian Ströbele: Ich war auch schon auf der letzten Montags-Demo. Diese Demonstrationen sind legitim und viele der Forderungen, die erhoben werden, sind auch seit einem Jahr meine Forderungen.

Weg mit Hartz IV?

Nein. Ich unterstütze nicht die Forderung, Hartz IV insgesamt zu kippen. Aber ich will, dass soziale Härten, die in diesen Regelungen enthalten sind, verändert werden.

Was muss verändert werden?

Den Leuten muss genug für ihr Alter bleiben, das Schonvermögen angemessen sein. Genauso ist es mit der Anrechnung des Partnereinkommens. In meiner Umgebung sind viele dabei, ihre Wohngemeinschaften aufzulösen, nur damit sie diese Bestimmungen umgehen. Das ist unsinnig. Und der wichtigste Punkt, für den ich demonstriere und weswegen ich im Bundestag gegen Hartz IV gestimmt habe, sind die Zumutbarkeitsregeln. Es führt zu Lohndumping, wenn jeder jeden Job annehmen muss. Die Pläne für die 1- und 2-Euro-Jobs zeigen, dass unsere Befürchtungen berechtigt waren.

Im Gegensatz zur SPD profitieren die Grünen in Umfragen sogar von den Protesten. Das ist doch ungerecht, Sie sind doch als Koalitionspartner genauso verantwortlich für Hartz IV?

Da ist vieles sehr ungerecht. Das Ungerechteste ist eigentlich, dass die Demonstrationszüge sich bisher nur zur SPD- und jetzt zur Grünen-Parteizentrale bewegen. Sie sollten mindestens genauso zur CDU-Zentrale gehen. Die CDU hat uns das eingebrockt, sie hat im Bundesrat dafür gesorgt, dass die schlimmsten sozialen Härten in das Gesetz reinkamen.

Die Grünen halten sich zum Thema Hartz IV sehr bedeckt und lassen die Sozialdemokraten bei ihren Erklärungsbemühungen allein. Erwarten die Menschen nicht eine klare Position von den Grünen?

Deshalb gehe ich ja auf die Demonstrationen, um mich der Diskussion mit den Menschen zu stellen. Ich denke, wir werden wieder Initiativen ergreifen. Ich setze mich im Bundestag für dieselben Forderungen ein wie auf der Straße. Ich handle ja nicht schizophren.

Ihr Kollege Werner Schulz hat ein umfassendes Konzept für eine soziale Grundsicherung gefordert.

Das ist völlig richtig. Wenn man eine einigermaßen bedarfsdeckende Grundsicherung hätte, müsste man nicht mehr über Mindestlöhne diskutieren.

Wird das auch in ihrer Partei so einhellig befürwortet? Immerhin haben sich die Grünen zu einer Partei der Gutgebildeten und -verdienenden entwickelt.

Wenn in Kreuzberg 53 Prozent Grüne wählen, sind das doch nicht alles Besserverdienende, so viele gibt es dort gar nicht. Auch Sozialhilfeempfänger und künftige Arbeitslosengeld-II-Bezieher wählen grün und erwarten, dass wir soziale Härten beseitigen.

Wie groß ist die Chance, dass bei Hartz IV noch nachgebessert wird?

Ich stelle fest, dass meine Parteifreunde und auch die Kollegen in der Koalition sehr aufmerksam beobachten, was auf der Straße artikuliert wird. Und ich sage voraus, es wird Veränderungen geben.

Werden Sie so lange weiter demonstrieren?

Soweit ich Zeit habe, zumal die Demonstrationen mitten durch meinen Wahlkreis gehen.

INTERVIEW: ANNA LEHMANN taz Nr. 7444 vom 25.8.2004, Seite 3, 97 Interview ANNA LEHMANN