ESM und Fiskalpakt sind die falschen Mittel gegen die Finanz- und Bankenkrise
29.06.2012: Persönliche Erklärung Hans-Christian Ströbeles zur namentlichen Abstimmung über den Fiskalpakt/ESM.
ESM und Fiskalpakt stimme ich nicht zu.
ESM und Fiskalpakt sind die falschen Mittel. Mit ihnen ist die europäischen Finanz- und Bankenkrise nicht zu bewältigen. Sie sind die Fortsetzung der rigiden Sparpolitik, vielleicht sogar ihr Höhepunkt. Aber dieses Sanierungsrezept ist gescheitert. Die Krise wurde nicht bewältigt, sondern verschärft. Alle Befürchtungen, denen mit der Einrichtung neuer Rettungsschirme und größerer Milliardenhilfen entgegengewirkt werden sollte, haben sich bewahrheitet. Immer mehr und immer größere Staaten geraten in den Strudel der Krise und drohen darin unterzugehen. Der bisherige Weg war der falsche. Der gnadenlose Sparkurs führt wie in Griechenland zur Verarmung großer Teile der Bevölkerung und schadet der Entwicklung der Wirtschaft und der Erholung der Staatsfinanzen. Er ändert nichts daran, dass Finanzmärkte und Ratingagenturen weiter die Richtlinien der Politik bestimmen. Kredite und Garantien des ESM an die Staaten, die die Krise nicht mehr bewältigen können, dienen ganz überwiegend nur der Bedienung der Geldinstitute und der Sicherung ihrer Gewinne. Von europäischen Insolvenzregelungen, auch für zu große Banken, ist keine Rede mehr. Diese gescheiterte Politik darf nicht fortgesetzt und nicht durch Fiskalpakt und ESM unwiderruflich festgeklopft werden.
ESM und Fiskalpakt sind nur schwer mit dem Grundgesetz zu vereinbaren. Beide Verträge sind vielfach miteinander verzahnt. So ist ab 2013 der ESM nur noch anwendbar für Länder, die den Fiskalpakt auch ratifiziert haben. Die Regelungen beider Vertragswerke sind in Teilen unklar und unbestimmt. Das Verhältnis zu EU-Einrichtungen bleibt offen. Die internationalen Finanzinstitutionen, die mit diesen Verträgen geschaffen werden, stärken die EU nicht. Sie stehen neben den EU-Einrichtungen. Gleichwohl werden EU-Institutionen wie der Europäische Kommission Aufgaben durch ESM- und Fiskalvertrag zugewiesen. Art und Umfang sind unklar und strittig. Der EU-Kommission gehören aber auch Staaten an, die den ESM ablehnen. Vor allem das Europäische Parlament bleibt außen vor und hat keine Kontrollrechte. ESM und Fiskalpakt haben außerdem schwerwiegende Folgen für die Wirtschafts- und Währungsunion. Gleichwohl wird nicht der Weg über eine Änderung der EU-Verträge gegangen, nur weil der Konsens dafür nicht erreicht wurde.
ESM und Fiskalpakt schränken die Souveränität der Vertragsstaaten und die konstitutiven Entscheidungsrechte ihrer Parlamente über den Haushalt, also über Steuern und Abgaben, substantiell und auf Dauer unwiderruflich ein.
Im ESM und im Gesetz zum ESM-Vertrag ist die parlamentarische Beteiligung und Kontrolle von Entscheidungen über Erhöhungen des Stammkapitals und Stabilitätshilfen durch den Bundestag nicht lückenlos gesichert. Gouverneursrat und Direktorium sind bei allen Beschlüssen beschlussfähig, wenn zwei Drittel der Stimmberechtigten anwesend sind. Auch wenn der deutsche Vertreter abwesend ist, können sie also weittragende Beschlüsse fassen. Dass Deutschland über 27,1 Prozent der Stimmanteile verfügt, hilft dann wenig.
Die Verpflichtungen, welche die Mitglieder des ESM eingehen, sind nicht ausreichend bestimmt. Die Regelungen über den Haftungsumfang sind unvollständig. Die Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, ihren Beitrag zu leisten. Zwar bleibt grundsätzlich die Haftung eines jeden auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital begrenzt. Aber was ist, wenn ein Mitglied selbst Finanzhilfe benötigt? Dann bleibt dessen Verpflichtung zur Leistung erhalten. Das gilt beispielsweise auch für Griechenland. Wenn ein Mitglied trotzdem nicht einzahlt, so ergeht ein revidierter erhöhter Kapitalabruf, um sicherzustellen, dass der ESM die Kapitalzahlung in voller Höhe erhält. Dann kommen doch weitere Verpflichtungen auf die Mitglieder zu. Und offen bleibt die Haftung für Defizitsünder, und wer eigentlich haftet, wenn ein oder mehrere Vertragspartner Beiträge nicht zahlen wollen oder nicht können.
Auch der Fiskalpakt beschränkt die Haushaltsrechte der Vertragsstaaten und ihrer Parlamente. Die willkürlich festgesetzte Schuldengrenze wird zum unveränderbaren Recht, möglichst sogar mit Verfassungsrang. Sie geht weit über die Regelung im Grundgesetz hinaus, die eine Übergangsphase für den Bund bis 2016 und für die Länder bis 2020 vorsieht. Die Möglichkeiten der Staaten zur Kreditaufnahme werden auf Dauer begrenzt. Der Pakt ist in seiner Substanz nicht veränderbar. Daran ändert sich auch dadurch nichts, dass binnen fünf Jahren die notwendigen Schritte unternommen werden, um den Inhalt des Pakts in den Rechtsrahmen der EU zu überführen. Es geht nur darum, den jetzigen Inhalt in EU-Recht zu überführen. Wird dieses Ziel aber nicht erreicht, gilt der Fiskalpakt weiter. ESM und Fiskalpakt sind verfassungsrechtlich zweifelhaft und auch politisch nicht verantwortbar, weil sie für die Bewältigung der Krise nicht zweckmäßig sind und große Teile der Bevölkerung vor allem in ökonomisch schwachen Ländern Europas der Gefahr von Armut und Elend aussetzen. Deshalb stimme ich mit NEIN.