Wahlkampf 2013

Griechenlands Wirtschaft ankurbeln, nicht kaputt sparen

01.03.2013: Hans-Christian Ströbele verlangt von der Bundesregierung, Griechenlands Wirtschaft ankurbeln zu helfen, nachdem selbst IWF-Gutachter gegen den bisherigen Kurs des Kaputtsparen votierten.

Video mit Frage und Antwort aus dem Parlamentsfernsehen: webtv.bundestag.de/player/macros/_v_f_46_de/od_player.html?singleton=true&content=2197803

Präsident Thierse: Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Hans-Christian Ströbele auf:

Frage 10 des Kollegen Hans-Christian Ströbele : Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus der Kritik an den Sparpaketen, die Griechenland als Bedingung für die Gewährung von Garantien (Rettungsschirmen) von der Troika auferlegt wurden, nachdem diese von den Ökonomen des Internationalen Währungsfonds, IWF, Oliver Blanchard und Daniel Leigh mit der Feststellung bestätigt wurde, der IWF habe die negativen Folgen für die Volkswirtschaft nicht vorhersehen können und man habe den Anstieg der Arbeitslosigkeit und den Rückgang der Binnennachfrage unterschätzt (taz.die tageszeitung, 16. Februar 2013), und ist die Bundesregierung nunmehr bereit, die Sparzwänge für Griechenland und andere EU-Länder aufzuheben und Sparauflagen zulasten der Armen und Geringverdienenden nicht mehr zuzulassen?

Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Präsident! Lieber Kollege Ströbele, im Kern zielt Ihre Frage auf die Debatte der Multiplikatoren von fiskalpolitischen Maßnahmen und ihre gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen ab. Herr Kollege Ströbele, ich will die Frage dahin gehend beantworten, dass die Bundesregierung davon ausgeht, dass die Troika die gesamtwirtschaftlichen Effekte der Konsolidierung selbstverständlich angemessen berücksichtigt. Was den wirtschaftspolitischen Kern Ihrer Frage angeht, will ich darauf verweisen, dass wir uns im Bundesfinanzministerium sehr intensiv mit der Debatte der Multiplikatoren auseinandergesetzt haben. Umgangssprachlich formuliert lautet die Frage: Kann man eine Volkswirtschaft kaputtsparen? Die von Ihnen vorgetragenen Äußerungen zweier Volkswirte des Internationalen Währungsfonds sind in der wissenschaftlichen Literatur höchst umstritten. Die Europäische Zentralbank, die Europäische Kommission, aber auch eine Reihe von Wirtschaftswissenschaftlern gehen insbesondere mittel- und langfristig von sehr viel positiveren Wirkungen der onsolidierung aus. Wir haben die Debatte in unserem aktuellen Monatsbericht zusammengefasst, den ich Ihnen im Nachtrag zu unserer Fragestunde gerne übersende. Also, in Kurzform: Die Formulierungen von Blanchard und anderen erweisen sich als sehr streitig. Die Bundesregierung geht perspektivisch von langfristig und mittelfristig positiven Auswirkungen der Konsolidierungsstrategien aus.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Nachfrage von Kollege Ströbele, bitte.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Staatssekretär, muss ich davon ausgehen, dass die Bundesregierung und auch die Europäische Gemeinschaft unbelehrbar sind, wenn im IWF, von dem in der Vergangenheit immer die schärfsten Sparauflagen vertreten wurden, zumindest Zweifel aufgekommen sind? Ich will diese Gutachten gar nicht überbewerten. Ist die Bundesregierung nicht langsam bereit, die konkreten Zahlen aus Griechenland zur Kenntnis zu nehmen? Es wird aus Griechenland berichtet, dass die Wirtschaft dort weiter schrumpft, die Arbeitslosigkeit jedes Jahr exorbitant steigt und Unruhe und Unzufriedenheit in der Bevölkerung - zu Recht - steigen. Das Wahlergebnis in Italien zeigt uns, dass solche Sparauflagen nicht nur zu erheblichen wirtschaftlichen Problemen führen, sondern auch zu politischen Turbulenzen, die niemand wollen kann.

Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung teilt Ihre dargelegten wirtschafts- und allgemeinpolitischen Analysen im Wesentlichen nicht. Im Einzelnen will ich auf zwei Punkte hinweisen: Erstens. Die Wettbewerbsfähigkeit Griechenlands hat sich in den vergangenen anderthalb bis zwei Jahren erheblich verbessert. Es findet eine Rebalancierung des griechischen Außenhandels statt. Die Lohnstückkosten sinken. Der Fortschritt, den die griechische Volkswirtschaft macht, deckt sich nicht mit Ihrer negativen Analyse. Im Gegenteil: Die griechische Volkswirtschaft hat durch die notwendigen Anpassungsmaßnahmen, durch die Reformen, die sich nicht nur auf den Fiskalbereich beziehen, sondern im Wesentlichen die Angebotsbedingungen und die Wettbewerbsfähigkeit dieser Volkswirtschaft adressieren, erst wieder die Möglichkeit bekommen, in weltwirtschaftliche Bereiche reintegriert zu werden. Das gilt im Übrigen auch für die anderen Programmländer, Herr Kollege. Zweitens. Ich darf daran erinnern, dass die irische Regierung, auch ein Programmland, angekündigt hat, möglicherweise noch in diesem Jahr aus dem Programm auszuscheiden. Auch andere Staaten bemühen sich redlich, ihre Wettbewerbsfähigkeit wiederzugewinnen. Ihrer Behauptung, dass diese Politik nicht erfolgreich sei, kann die Bundesregierung - bei allem Respekt vor Ihrer politischen Lebensleistung - nicht folgen.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Noch eine Nachfrage.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass die Zahlen zur wirtschaftlichen Entwicklung, also zur Entwicklung des Bruttosozialprodukts und der Arbeitslosigkeit, Ihrer Aussage von soeben eklatant widersprechen?

Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Finanzen: Herr Kollege Ströbele, zunächst einmal bin ich verwundert, dass Sie das Bruttosozialprodukt als Indikator für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wählen, wo doch gerade die Grünen fundamentale Kritik daran geäußert haben, das BSP als Indikator zu wählen. Etwas seriöser darauf geantwortet: Die Schrumpfung des Bruttoinlandsprodukts wurde in den Prognosen der Kommission bzw. der Troika vorausgesagt. Wir halten es für notwendig, dass die nicht wettbewerbsfähigen Teile der griechischen Volkswirtschaft schrumpfen. Jetzt findet eine Konzentration der wirtschaftlichen Aktivitäten auf die wettbewerbsfähigen Teile der Volkswirtschaft statt. Das führt dazu, dass die Exporterfolge steigen und die Haushaltskonsolidierung zum Erfolg führt. Manchmal bedarf es einer bitteren Medizin, bevor es dem Patienten gut geht.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder bevor er tot ist!)

Wie gesagt, die Medizin war für Griechenland sehr bitter; aber der Patient befindet sich eindeutig auf dem Weg der Besserung.