Wahlkampf 2013

Das neue G-10-Gesetz

05.06.2001: Eine Bewertung des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses (G-10-Gesetz) aus grüner Sicht

Das neue G-10-Gesetz - eine Bewertung aus grüner Sicht

Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses (BT-Drucksache 14/5655, 14/5981)

I. Einleitung

Das neue G-10-Gesetz zur Fernmeldeüberwachung ist besser als sein Ruf. Es korrigiert die verfassungswidrigen Teile des bisher geltenden G-10-Gesetzes und zieht die Schranken der Fernmeldeüberwachung wesentlich enger, als der Bundesrat (einstimmig) und die CDU/CSU verlangen. Es enthält auch wesentliche Verbesserungen im Vergleich zu dem vom Bundesinnenministerium im Sommer 2000 vorgelegten Entwurf. Die Novelle erweitert keineswegs die Substanz der Überwachungsbefugnisse, verbessert aber die Wirkungsmöglichkeiten der Kontrollgremien entscheidend.

Das stellen wir fest, ohne zu beschönigen und zu übersehen, daß die auch nach dem neuen G-10-Gesetz mögliche Überwachung von Post und Telefon, von Fax und Internet der Bürgerinnen und Bürger gerade durch die Geheimdienste mit demokratischen, bürgerrechtlichen grünen Vorstellungen nicht zu vereinbaren bleibt. Da beißt keine Maus den Faden ab.

Wir haben das neue G-10-Gesetz mitgetragen, weil wir einen verfassungswidrigen Zu-stand beseitigen mußten und weil wir uns von der Neuregelung einen relativ besseren Schutz der Bürgerrechte versprechen. Einen Teil der öffentlich geäußerten Kritik an dem Gesetz- etwa, daß bei Verdacht der Volksverhetzung künftig leichter abgehört werden kann als schon bisher - teilen wir. Unser Bemühen, in Verhandlungen noch weitere Verbesserungen als schon erzielt zu erreichen, waren leider nicht erfolgreich.

Ein anderer Teil der Annahmen und Befürchtungen - etwa, das Grundrecht auf Fernmelde-freiheit werde geändert, nun könnten erstmals E-Mails oder Telefonate einzelner StraftäterInnen überwacht werden oder der Umfang des überwachten Fernmeldeverkehrs werde beträchtlich erhöht - ist nicht berechtigt.

Die Wahrheit in den Tatsachen suchen: Dazu sollen diese Erläuterungen helfen. Die komplizierte Materie und der nur schwer verständliche Gesetzestext machen die Suche nicht einfach.

II. Wer eigentlich darf mithören und überwachen ?

Das neue (wie schon das bisher geltende) G-10-Gesetz regelt die Überwachung des Brief- und Fernmeldeverkehrs, also u.a. von Telefon, Fax, E-Mail durch die deutschen Geheimdienste. Davon zu unterscheiden ist das Abhören durch die Strafverfolger (Polizei). Das geschieht unabhängig von diesem Gesetz. Sie überwachen in steigendem Umfang, wenn telefoniert oder gefaxt wird sowie selten auch E-Mails. Das Recht dazu gibt ihnen ein anderes Gesetz, der umstrittene § 100 a der Strafprozessordnung.

Die Polizei überwacht danach den Fernmeldeverkehr von Einzelpersonen und Gruppen, wenn bestimmte Tatsachen einen Verdacht begründen, daß eine der im Gesetz aufgezählten Straftaten begangen wurde bzw. noch wird. Der Katalog der Straftaten, welcher der Polizei das Abhören erlaubt, umfaßt über 70 Einzeldelikte, ist also um ein Vielfaches umfangreicher als der im G-10-Gesetz. Es geht nicht nur um Mord, Raub und Erpressung, sondern auch um Volksverhetzung oder Bildung einer kriminellen Vereinigung (wegen des weiten Anwendungsbereichs von der Polizei als "Sesam-öffne-dich"-Delikt bezeichnet).

Es stimmt also nicht, wenn behauptet wird, erst das neue G-10-Gesetz ermögliche, Rechtsextremisten abzuhören und jetzt werde die Überwachung des Fernmeldeverkehrs von Einzelpersonen neu eröffnet. 99,9 Prozent der Fälle, in denen für Strafverfahren die Fernmeldeanschlüsse von Einzelpersonen - auch rechten gewaltverdächtigen Personen - abgehört werden, haben mit dem alten oder neuen G-10-Gesetz gar nichts zu tun. Die berechtigte Kritik an der ausufernden Praxis des Abhörens von Telefonen muss deshalb vor allem auch bei den Befugnissen und der Praxis von Polizei und Justiz ansetzen.

III. Nicht vergessen: Das G-10-Gesetz von CDU/CSU/FDP war verfassungswidrig.

Das G-10 Gesetz ist nicht neu. Es existiert seit 1968. Unter der CDU/CSU/FDP-Regierung wurden 1994 die Abhörbefugnisse entscheidend erweitert und dem Bundesnachrichtendienst (BND) erlaubt, wie mit einem "Staubsauger" Fernmelde-verkehre ins und im Ausland aus der Satellitenübertragung aufzusaugen, auszufiltern und zu verwerten. Also nicht Rot-Grün hat die Einschränkungen des Bürgerrechts auf unüberwachtes Telefonieren, Faxen und Mailen (Art. 10 GG) eingeführt, sondern die große Koalition 1968; die alte schwarz-gelbe Koalition und Regierung weitete die Abhörbefugnis aus. Die FDP hat das mit eingebrockt und uns dieses ungeliebte Erbe hinterlassen.

Bündnisgrüne haben immer gegen dieses Gesetz und die Überwachung des Fernmeldeverkehrs gekämpft und tun dies auch weiter. In eine demokratische Gesellschaft passen solche Eingriffe in Bürgerrechte nicht. Daran ändern auch noch so weitreichende Kontrollbefugnisse grundsätzlich nichts. Aber in den rot-grünen Koalitionsvereinbarungen konnten Grüne eine Änderung oder Aufhebung des G-10-Gesetzes leider nicht verankern.

Gegen das G-10-Gesetz von 1994 hatten Einzelpersonen und die taz geklagt. Im Juli 1999 hatte das Bundesverfassungsgericht das CDU/CSU/FDP-Gesetz in einigen Punkten für verfassungswidrig erklärt und dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, bis zum 30. Juni 2001 die Fehler zu korrigieren. Rot-Grün war daher im Zugzwang, wollten wir uns nicht dem Vorwurf aussetzen, ein verfassungswidriges Gesetz entgegen der konkreten Karlsruher Vorgabe weiter gelten zu lassen.

IV. Das G-10-Gesetz wird verfassungskonform.

Diese "Pflichtaufgabe" erfüllt die Novelle. Sie macht aus dem verfassungswidrigen Gesetz von CDU/CSU/FDP das eigentlich Selbstverständliche, nämlich ein Gesetz, das mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Schon aus diesem Grund ist das neue Gesetz wesentlich bürgerrechtsfreundlicher als das alte.

Schon die vom Bundesverfassungsgericht verlangten und jetzt vorgenommenen Än-derungen sind gravierend :

Die Geheimdienste müssen nun alle aus der Überwachung erlangten personenbezogenen Daten kennzeichnen, deren Übermittlungen protokollieren, eine strengere Zweckbindung wahren sowie die Erforderlichkeit weiterer Datenspeicherung längstens alle sechs Monate prüfen und die Daten andernfalls löschen (§§ 4, 6).

2. Die Voraussetzungen, unter denen solche Informationen weitergeben werden dürfen, wer-den verschärft, nach Verdachtsgrad differenziert sowie transparent ausformuliert (§§ 4, 7).

3. Der Bundesnachrichtendienst muss Betroffene von der Erhebung ihrer Daten grundsätzlich spätestens binnen fünf Jahren benachrichtigen; er kann hiervon nur absehen, wenn die Daten unverzüglich (bisher: drei Monate) nach ihrer Erhebung gelöscht wurden. Wie bisher kann die Benachrichtigung nur aufgeschoben werden, wenn und solange sie den Erhebungszweck gefährden würde. Gilt dies absehbar dauerhaft, braucht nicht benachrichtigt zu werden. Das vom Bundestag eingesetzte Kontrollorgan unabhängiger Sachverständiger, die G 10-Kommission, muß dem aber einstimmig zustimmen. Stattdessen müssen die Daten sofort gelöscht werden (§ 12).

4. Überhaupt werden die Kontrollbefugnisse des parlamentarischen G 10-Gremiums, aber insbesondere auch dieser G 10-Kommission erheblich erweitert: Jedes Mitglied sowie Beauftragte der Kommission dürfen nicht nur die ministerielle Anordnung der Beschränkungsmaßnahme kontrollieren, sondern den gesamten Prozeß der Er-hebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten einschließlich der fachlichen Erwägungen bei Festlegung der der strategischen Erhebung zugrunde liegenden Suchworte. Die Kommissionsmitglieder können Auskunft und Einsicht in alle relevanten Unterlagen sowie Zutritt in alle Diensträume der beteiligten Behörden verlangen, die Löschungs- und Übermittlungsprotokolle einsehen, Kennzeichnung der Daten prüfen. Die Kommission erhält einen Anspruch auf die notwendige Personal- und Sachausstattung (§ 16).

5. Die Voraussetzungen der strategischen Fernmeldekontrolle bzgl. der Geldfälschung wurden verschärft. Es genügt nicht mehr der bloße Verdacht der Geldfälschung, sondern es muß der Verdacht einer Geldfälschung mit der Gefahr für die Geldwertstabilität in der Euro-Region gegeben sein (§ 5 Abs. 1 S. 3 Nr. 6).

V. Der ursprüngliche Ministeriumsentwurf wurde wesentlich verbessert.

1. Der von Bundesinnenministerium in Abstimmung mit dem Kanzleramt im letzten Sommer vorgelegte Entwurf enthielt den gesamten Katalog der in § 129 a StGB genannten Einzeldelikte. Immer wenn der Verdacht bestand, daß eine solche Tat begangen wird oder wurde, sollte eine Überwachung des Fernmeldeverkehrs durch die Geheimdienste zulässig sein. Ohne jede Einschränkung. Die Streichung etwa der Hälfte der Straftatbestände, die im Entwurf standen, konnte von uns erreicht werden.

2. Außerdem konnte die Einschränkung im Gesetz verankert werden, dass für eine Überwachung beim Vorliegen des Verdachts einer schweren Straftat noch hinzukommen muß, daß diese sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung oder den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richtet. Damit ist auch in Zukunft untersagt, jeden Verdacht gegen einen Einzeltäter zum Anlaß für die Fernmeldeüberwachung durch die Geheimdienste genügen zu lassen. Das ist enger als die bisher geltende Rechtslage, die z.T. einen Verdacht jeglicher Delikte ohne die genannte Einschränkung genügen ließ (§ 2 Abs. 1 Satz 2).

3. In dem o.g. Entwurf des BMI war die gesetzliche Festschreibung der Personal- und Sachausstattung der G 10-Kommission nicht vorgesehen. Zum ersten Mal steht nun in einem Gesetz, daß für die Erfüllung der Kontrollaufgaben die notwendigen Personal- und Sachmittel, insbesondere MitarbeiterInnen mit technischem Sachverstand, zur Verfügung gestellt werden müssen und daß diese im Einzelplan des Bundestages gesondert auszuweisen sind. Erst dadurch und daß auch diesen MitarbeiterInnen der ständige Zutritt in alle Diensträume und Einsicht in alle Unterlagen und Datenträger gewährt werden muß, wird eine halbwegs wirksame Kontrolle möglich.

4. Im Entwurf war vorgesehen, daß die heikle Frage, ob ausnahmsweise der Betroffene nicht von einer Überwachungsmaßnahme unterrichtet werden muß, allein der Bundesminister entscheidet (§ 5 Abs. 5 S. 3 des 11. Entwurfs). Im Gesetz wird diese Entscheidung nun der G-10-Kommission zugewiesen. Nur wenn diese einstimmig entscheidet, dass die strengen Voraussetzungen für eine Wegfall der Mitteilungspflicht (Gefährdung des Überwachungszweckes für alle Zukunft) vorliegen, darf auf eine Mitteilung verzichtet werden. Dann müssen die über den Betroffenen gewonnenen Erkenntnisse stattdessen sofort gelöscht werden.

VI. Umstrittenes und Befürchtungen bezüglich der G-10-Novelle

1. Besonders umstritten und missverstanden ist die Bestimmung des neuen G-10-Gesetzes, wonach der BND Überwachungen des internationalen Fernmeldeverkehrs für die "gebündelte Übertragung" vornehmen darf, während das alte Gesetz dies für "nicht-leitungsgebunde Telekommunikationsbeziehungen" vorsah. Daraus wird geschlossen, nun seien unendlich viel mehr Fernmeldeverbindungen den Begierden des Geheimdienstes freigegeben. Nicht nur die Funkübertragungen, sondern auch die Leitungen ins und im Ausland würden nun angezapft. Das ist richtig und falsch.

Mehr Überwachung soll es nicht geben, aber Überwachung für andere, die moderneren Übertragungswege. Zur Zeit der Verabschiedung des früheren G-10- Gesetzes lief der Fernmeldeverkehr ins und im Ausland überwiegend über Funk und Satellit. Inzwischen hat sich die Telekommunikationsübertragungstechnik grundlegend gewandelt. Richtfunkverkehre spielen in Mitteleuropa fast keine Rolle mehr. In einigen Regionen fiel der Anteil der Funkübertragung nach Angabe der Bundes-regierung schon unter 10 Prozent. Lichtwellenkabel sind kostengünstiger und haben erheblich mehr Übertragungskapazität. Sie werden deshalb bevorzugt. Als Folge dieser Veränderung erstreckt die G-10-Novelle die stra-tegische Fernmeldekontrolle von satellitengestützter internationaler Telekommunika-tion auf glasfasergeleiteten Bündelfunk (§ 5).

Die gleichen Fernmeldeverbindungen können auch in Zukunft - lediglich auf den neuen Übertragungswegen - überwacht werden, und zwar nur dann, wenn sie gebündelt übertragen werden. Strategische Fernmeldebeschränkung darf keine individuellen Telekommunikationsanschlüsse erfassen und deren Nummer als Suchbegriff verwenden (§ 5 Abs. 2 S. 2). Aus technischen Gründen soll die Wahr-scheinlichkeit, daß Kommunikation im Lichtwellenleiter vom BND erfasst werden, eher geringer sein als bei der früheren Übertragung per Satellit.

Das Bundesverfassungsgericht hat festgelegt, daß der BND höchstens je 10 Prozent aller über einen Satelliten vermittelten Fernmeldebeziehungen erfassen dürfe. Es bleibt Aufgabe der Datenschutzbeauftragten, der G-10-Kommission und der parlamentarischen Kontrolle sicherzustellen, daß diese Grenze nicht erreicht wird. Ein Mehr an Überwachung soll und darf es nach dem neuen G-10-Gesetz keinesfalls geben, wie darin auch ausdrücklich festgeschrieben wurde (Begründung zu § 5 Abs. 1 S. 1).

2. Eine andere Befürchtung ist, nach der Novellierung könnten anders als bisher auch Telefon-, Fax- und E-Mail-Verkehr von allein handelnden Einzeltätern kontrolliert werden. Auch das ist so nicht richtig.

Individualkontrollen dürfen zwar künftig auch ausdrücklich beim Verdacht der Volksver-het-zung (§ 130 StGB) und weiterer (in § 129 a StGB genannter) schwerer De-likte wie Mord, Brandstiftung oder Menschenraub (§§ 211, 212, 239a, 239b, 306-306c, 308 I-3, 315 III, 316b III, 316 c I-III StGB) angeordnet werden. Aber eine solche Kontrolle ist nur zulässig, wenn die freiheitlich-demokratische Grundordnung konkret gefährdet wird bzw. sich die Tat gegen die "fdGO", den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richtet (§ 3 Abs. 1 Nr. 6). Das aber wird bei der Tat eines Einzeltäters kaum je der Fall sein. Die Voraussetzung einer solchen Gefahrenintensität kann vielmehr in aller Regel nur bei einem Gruppendelikt mehrerer Täter erfüllt sein.

Damit geht diese Neuerung lange nicht so weit wie die schon geltende Befugnis des Verfassungsschutzes, gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 G 10 bisheriger Fassung überwachen zu dürfen, wer der bloßen Mitgliedschaft in einer Vereinigung (schon ab drei Personen; BGHSt 31, 240) verdächtigt wird, welche die oben beschriebenen staatsgefährdenden Delikte bezwecken. Das heißt: Bisher konnte ein Person bereits ohne den Verdacht überwacht werden, daß sie oder die Vereinigung, der sie angeblich angehörte, bereits irgendeine Straftat begangen oder vorbereitet hätten!

Außerdem ist die Neuerung auch enger im Vergleich zu der geltenden polizeilichen Befugnis gemäß § 100 a StPO, im Rahmen eines Strafermittlungsverfahrens den Fernmeldeverkehr angeblicher Mitglieder einer kriminellen Vereinigung abzuhören, schon wenn sich drei Personen zu gemeinsamem Plakatekleben, Parolensprayen, Verleumden oder Hausbesetzen nur zusammenschließen, auch ohne derlei schon begangen zu haben (vgl. BGHSt 41, 53; BGHSt 20, 87).

3. Befürchtet wurde ferner ein Sondergesetz zum Verbot der NPD, also eine Lex NPD, weil durch G-10-Maßnahmen gewonnene Erkenntnisse nun auch für Verbotsverfahren bei verfassungswidrigen Parteien und extremistischen Vereinen genutzt werden dürfen (§ 4 Abs. 3 Nr. 3).

Aber der Deutsche Bundestag hat gleichzeitig mit der G-10-Novelle beschlossen, daß für das laufende NPD-Verbotsverfahren solche Erkenntnisse keine Verwendung finden. Die Bundesregierung hat eine entsprechende förmliche Erklärung vor dem Bundestag abgegeben.

Hinzu kommt, daß die Rechtsprechung überwiegend die Verwertung solcher Über-wachungsergebnisse bereits nach der bisherigen Fassung des G-10 bejahte. Bei der neuen Regelung soll es sich deshalb auch nur um eine Klarstellung handeln.

4. Auch den Befürchtungen von Anwaltsverbänden, nach Übermittlung von Überwachungs-erkenntnissen könnten Beweisverwertungsverbote ausgehöhlt werden, wurden durch Klarstellung sowie förmliche Bestätigungen der Bundesregierung im Beratungsverlauf des Bundestages Rechnung getragen.

5. Der Bundesdatenschutzbeauftragte war von Anfang an in die Beratungen der G-10-Novelle eingebunden und hat sie in allen wesentlichen Punkten mitgetragen. Er hat sich vor der Verabschiedung des Gesetzes für eine Befristung der Neuregelungen ein-gesetzt. Dem folgend hat der Deutsche Bundestag mit der Verabschiedung der Novelle beschlossen, von der Bundesregierung nach zwei Jahren einen Bericht über die gemachten Erfahrungen unter besonderer Berücksichtigung des Datenschutzes anzufordern, um eventuell notwendige Korrekturen vorzunehmen.

Außerdem muß die Bundesregierung das parlamentarische Kontrollgremium (PKG) halbjährlich bezüglich der Durchführung des G-10-Gesetzes detailliert über Anlaß, Umfang, Dauer, Ergebnis, Kosten der Überwachungen sowie Benachrichtigungen der Betroffenen unterrichten. Das PKG hat dem Bundestagsplenum jährlich über Art und Umfang der durchgeführten, nicht nur strategischen, sondern auch individuellen Kommunikationsüberwachungen zu berichten (§ 14).

VII. Mit Bauchgrimmen zugestimmt.

1. Das Bundesverfassungsgericht hat grundsätzlich bestätigt, daß Überwachung des Fernmeldeverkehrs grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist, wenn be-stimmte Grenzen eingehalten und Sicherheiten im Gesetz eingebaut sind. Diesen Anforderungen entspricht jetzt das neue G-10-Gesetz. Damit sind zwar die verfas-sungsrechtlichen Bedenken behoben, nicht aber die politischen von Bündnis 90/Die Grünen.

2. Bündnis 90/Die Grünen haben der ausdrücklichen Erwähnung der Volksverhetzung und weiterer Delikte als Anlass einer Individualüberwachung erst nach Einfügung der obengenannten einengenden Voraussetzungen zugestimmt, die weitgehend sicherstellen, daß weniger gefährliche Einzelverdächtige nicht betroffen werden. Entgegen der öffentlichen Darstellung durch das Bundesministerium des Inneren und manche KommentatorInnen kann der Post- und Fernmeldeverkehr von EinzeltäterInnn in der Praxis somit künftig nicht häufiger oder intensiver überwacht werden als schon nach geltendem Recht.

3. Umfang, Auswirkungen und Ermittlungserfolge der strategischen Fernmeldeüberwachung durch den BND sind bei vorläufiger Bewertung der dazu veröffentlichten Zahlen weniger gewichtig als weithin angenommen.

Vor allem die Befugnis des BND zur Übermittlung seiner strategischer Überwachungserkenntnisse an Strafverfolgungsbehörden erscheint schon wegen ihres bisher sehr geringen Umfanges (rund. drei Dutzend Übermittlungen binnen fünf Jahren, lediglich an das Zollkriminalamt) weniger bedrohlich.

Im Bereich Internationaler Terrorismus erlangte der BND vom 1. März 1996 bis 30. April 1998 aus etwa 7.500 maschinell ausgefilterten Fernmeldeverkehren in etwa 80 Fällen relevante Erkenntnisse, übermittelte diese aber nicht an Dritte weiter und stellte die Maßnahme mangels Erfolges ein.

Gleiches gilt für die Überwachung des Internationalen Drogenhandels, nachdem der Bundesnachrichtendienst dort vom 1. September 1996 bis 30. Mai 1998 aus ca. 1.000 ausgefilterten Fernmeldeverkehren nur ca. relevante 70 Erkenntnisse erlangte, allerdings ohne Wert für andere Sicherheitsbehörden.

Im Bereich Internationaler Rüstungshandel und Proliferation filterte der Bundesnachrichtendienst zwischen dem 1. März 1996 und dem 30. April 1998 etwa 22.600 Verkehre maschinell aus. Hiervon waren etwa 4.800 und zwischen dem 1. Mai 1998 und dem 30. Juni 2000 ca. weitere 5.800 Erkenntnisse nachrichtendienstlich relevant. Dieser Überwachungsbereich wird fortgeführt.

Auf die o.a. Datenübermittlungen zwischen 1996 und 2000 an das Zollkriminalamt hin kam es in keinem einzigen Fall zu einer Anklage. Diese Übermittlungsmöglichkeit hatte bisher also keine durchgreifenden strafrechtlichen Folgen. Eigentlich ein Grund mehr, diese Regelung zu überprüfen und ganz zu streichen.

4. Positiv ist für Bündnis 90/Die Grünen vor allem, daß die Kontrollbefugnisse von G-10-Kommission und Parlamentarischem Kontrollgremium (mit Geltung auch für die entsprechenden Instanzen der Bundesländer) erheblich ausgeweitet wurden.

Der Empfehlung des Bundesbeauftragten für den Datenschutz folgend erscheint es daher als noch vertretbar, die Entwicklung der Fernmeldeüberwachung aufgrund der novellierten Bestimmungen einschließlich deren Flankierung durch ausgeweitete Kontrollbefugnisse zunächst zu erproben, um einer etwaigen problematischen Praxisentwicklung ggf. mit Korrekturen begegnen zu können. Spätestens nach Vorlage des hierzu verlangten und zugesagten Erfahrungsberichtes ist zu prüfen, ob weitere Einschränkungen der Neuregelung nötig sind. Eine anhaltende öffentliche Aufmerksamkeit für das Thema erscheint dafür hilfreich.

5. Insgesamt können Bündnis 90/Die Grünen ohne Preisgabe ihrer grundsätzlichen Positionen und angesichts der Kräfteverhältnisse in der Regierungskoalition das Verhandlungsergebnis zur G-10-Novelle mittragen. Es gilt, künftig wachsam die Auswirkungen der Überwachung durch die Geheimdienste zu beobachten und Fehlentwicklungen zu korrigieren. Darüber hinaus müssen weiterhin politische Mehrheiten gesucht werden, um das geheimdienstliche Mithören bzw. Mitlesen der Telekommunikation von Bürgerinnen sowie Bürgern generell zu beenden und zu Strafverfolgungszwecken jedenfalls erheblich einzuschränken.