Stellungnahme von Hans-Christian Ströbele vor der Bundespressekonferenz
01.11.2013: Hans-Christian Ströbele berichtete heute auf der Bundespressekonferenz von seinem Treffen mit Edward Snowden in Moskau. Hier die Mitschrift und der Mitschnitt seiner Stellungnahme.
Mitschnitt der Stellungnahme auf youtube: Phoenix: Bundespressekonferenz
Sie alle wissen, dass seit Juli alle Welt von Edward Snowden redet und sich fragt, was er weiß, was er sagen kann und was er zur Aufklärung der Spionage-Affäre beitragen kann - hier in Deutschland, in Europa, aber auch darüber hinaus. Von Anfang an habe ich mich gefragt, warum man ihn nicht selber fragt. Er ist doch schließlich nicht aus der Welt. Meinen Aufforderungen an Bundesregierung, Bundesanwaltschaft und Andere ist niemand nachgekommen. Deswegen habe ich Edward Snowden nun selber gefragt. Meine Mitarbeiter hatten es bereits im Juli fast ermöglicht, dass ich die Reise antreten konnte. Ich habe deshalb kaum Urlaub gehabt, weil ich auf der gepackten Tasche saß. Ich hatte sogar einen Antrag an den Parlamentspräsidenten auf Genehmigung einer Dienstreise nach Moskau gestellt. Dieser wurde allerdings abgelehnt. Die Möglichkeit im Juli hatte sich dann aber zerschlagen, weil kein Kontakt mehr bestand. Jetzt plötzlich - Ende letzter Woche - kam der Kontakt wieder zu Stande. Diese Gelegenheit habe ich dann sogleich am Schopfe gepackt. Begleitet haben mich zwei Ihrer Kollegen -Georg Mascolo und John Götz - verdiente Journalisten und vor allem mit dem Thema Geheimdienste sehr vertraut.
Dann wurde einige Tage verhandelt, wer denn alles mitfahren kann und mitfahren soll. Da gab es von der anderen Seite Wünsche aber auch Probleme. Übrig geblieben sind schließlich von denen, die ins Auge gefasst waren, ich selber, die beiden Journalisten sowie der französische Kollege Yannick Jadot. Letzterer sollte eigentlich zu uns stoßen, nämlich als Vertreter des Europäischen Parlaments in dieser Angelegenheit. Das war ein ausdrücklicher Wunsch. Dann hat es allerdings unter anderem mit dem Visum nicht geklappt, sodass wir während der Reise feststellten, dass wir uns alleine mit Snowden treffen würden.
Gestern waren wir dann in Moskau auf dem Weg zu Herrn Snowden. Wir saßen in einem Auto, das uns an unseren Zielort gebracht hat. Es hat einige Zeit gedauert, bis wir ankamen. Dort trafen wir Herrn Snowden mit einer Mitarbeiterin. Das Gespräch - oder besser die Diskussion - war sehr interessant. Wir haben über einige Themen intensiv diskutiert. Und: Herr Snowden ist gesund. Nach äußerem Anschein ein junger Mann, kerngesund, gut drauf, munter. Aber auch wohl überlegt und vor allen Dingen, wenn es um die Gründe geht, warum er die Veröffentlichungskampagne möglich gemacht hat, hat er sehr ernst und gefasst gesprochen. Er hat immer wieder selber darauf hingewiesen, dass ihm bewusst ist, welches große Risiko er damit eingeht. Ich habe ihm nicht versucht, das auszureden, sondern habe ihn darin bestätigt. Denn ich denke, dieser Mann hat nicht nur sehr große Verdienste erworben, sondern er hat auch ein Risiko auf sich genommen, das wahrscheinlich kaum ein anderer auf sich nehmen würde.
Jetzt zu dem Inhalt, den wir dort besprochen haben: Ich habe hier keinen Brief, der eindeutig an Bundeskanzlerin, Bundesanwaltschaft oder den Deutschen Bundestag adressiert ist. Der Brief ist ohne Anrede, aber von Herrn Snowden und mir unterschrieben - ich stehe als Zeuge drunter. Diesen Brief habe ich von Herrn Snowden gestern bekommen. Darin hat er einige Überlegungen angestellt. Der wichtigste Satz steht dann ziemlich am Ende: Da ist die Bereitschaft zu erkennen, zur Aufklärung der Spionage-Affäre beizutragen. Wichtig ist mir die Anmerkung, dass Herr Snowden sich mir gegenüber nicht als Anti-Amerikaner oder Amerika-Feind dargestellt hat. Ganz im Gegenteil: Er hat immer wieder betont, dass er bereit sei, vor dem Deutschen Bundestag zur Aufklärung beizutragen. Doch hat er auch eingeräumt, am liebsten würde er vor einem Komitee des US-Kongress die Fakten auf den Tisch legen. Er sieht seine Botschaft darin, in den USA nicht nur Fehlentwicklung, sondern möglicherweise schwere Straftaten aufzuklären. Er sagt, er kann das und habe auch das Wissen dazu. Außerdem könne er die Dokumente, die immer wieder veröffentlicht werden, erklären. Er passt auf, dass das US-amerikanische Volk keinen Schaden nimmt. Stattdessen will er die Institutionen, die sich völlig fehlentwickelt haben und vermutlich an Straftaten beteiligt sind - vor allem die Geheimdienste, aber auch die Administration - zu einem Ausschluss solcher Entwicklungen in der Zukunft bewegen. Mit großem Interesse beobachtet er die Entwicklungen in den USA, aber auch die Entwicklungen in Deutschland.
Dann habe ich ihn gefragt, ob er zur Aufklärung auch tatsächlich beitragen kann. Er hat dann darauf hingewiesen, dass er in den Geheimdiensten der USA nicht nur als Administrator tätig war, sondern auch als Handelnder an Operationen beteiligt gewesen ist: Von 2005 bis 2008 bei der CIA und von 2008 bis 2013 bei der NSA. Er hat darauf hingewiesen, dass er viel über die inneren Strukturen weiß - vor allem nachdem er diese Fehlentwicklung festgestellt hat, hat er sich besonders kundig gemacht. Er kann vor allen Dingen auch die geheimen Dokumente, die ans Licht kommen, interpretieren. Wenn ich diese Dokumente lese, sehe ich nur Buchstaben und Symbole, die mir nichts sagen. Das könnte er alles authentisch erklären, wie es nur ein NSA-Mann könnte. Das heißt, er ist ein bedeutender Zeuge auch für Deutschland.
Nun kommen wir zur entscheidenden Frage, ob er sein Wissen zur Verfügung stellen würde. Eine Anmerkung: Es gibt keinen Widerspruch zu dem, was er mir gesagt hat und was der Anwalt jetzt sagt. Es ist klar, Herr Snowden könnte nicht nach Deutschland reisen, hier aussagen und anschließend nach Russland zurück fahren und wäre dann wieder sicher. Das Asyl, das er dort bekommen hat, gilt ein Jahr. Das Asyl gewährt ihm Aufnahme und Sicherheit in Russland, aber nicht in Deutschland. Er könnte, wenn er eine Einreise nach Deutschland versuchen würde, nicht zurückkommen. Er kann sich vorstellen, nach Deutschland zu kommen, wenn gesichert ist, dass er danach in Deutschland oder einem anderen vergleichbaren Land bleiben kann und dort sicher ist. Juristisch gesprochen: Freies Geleit, anschließend Asyl oder Aufenthaltsrecht. Das könnte der Bundesinnenminister ihm in Aussicht stellen. Und natürlich haben wir auch eine moralische Verpflichtung zu erfüllen, diesem Menschen Sicherheit hier in Deutschland zu gewähren. Unter diesen Voraussetzungen wäre Snowden bereit, hierher zu kommen. Die andere Variante wäre, dass ein Ermittlungsbeauftragter des Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages, ein Bundesanwalt oder ein Richter nach Moskau fährt und ihn dort befragt - da hat Snowden aber bisher erhebliche Vorbehalte. Denn: Ein solcher Staatsakt, eine Unterstützung staatlicher Organe in Russland auf russischem Boden könnte vielerlei Probleme mit sich bringen.
Das heißt zusammenfassend: Dieser Zeuge hat mich befugt, hier und heute in der Pressekonferenz das vorzutragen. Er hat mir auch gestattet, aus dem gestrigen Gespräch mitzuteilen, dass er im hohen Maße an der Aufklärung der Geschichte interessiert ist. Nicht um sich selber zu helfen, sondern um wichtige Rechte - Menschenrechte, Rechte auf informationelle Selbstbestimmung und Privatheit von Millionen Menschen in Deutschland, Europa und den USA - um diese Rechte in Zukunft gesichert zu wissen.