Alles Lüge! - Rede von Hans-Christian Ströbele zur parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste
13.11.2015: Rede von Hans-Christian Ströbele im Deutschen Bundestag vom 12. November 2015 zur Kontrolle bundesnachrichtendienstlicher Tätigkeit.
Frau Präsidentin! Liebe Freundinnen und Freunde der Geheimdienste und liebe Freundinnen und Freunde der Kontrolle der Geheimdienste!
Jeder kann überlegen, wo er sich da einordnet. Der Vorschlag, den die Linke relativ überraschend gemacht hat - ich habe die Vorlagen trotzdem gelesen - enthält viel Richtiges, vieles von dem, was wir schon seit Jahren fordern, wozu wir Gesetzesvorschläge gemacht haben, die leider noch keine Mehrheit im Deutschen Bundestag gefunden haben. Dazu gehören das stellvertretende Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium - das muss einfach sein; aus unbekannten Gründen wird das verweigert -, die Unterrichtung des Fraktionsvorstandes - es ist völlig absurd, dass man das nicht darf; das war früher schon einmal anders - und natürlich auch die Anwesenheit von Mitarbeitern bei Sitzungen. Auch sie sollten dabei sein dürfen. Aber ich sage Ihnen: Das eigentliche Problem ist ein anderes. Lieber Kollege Binninger, ich schließe mich gern an, wenn wir einmal einen Abend lang Selbstkritik üben. Bei einigem haben Sie ja recht. Viele Abgeordnete haben einfach nicht die Zeit, sich ausreichend zu kümmern. Wir können gerne einen solchen Abend veranstalten; ich mache mit. Heute will ich einmal sagen, woran die Kontrolle der Nachrichtendienste in den letzten Jahren, vor allen Dingen seit der Snowden-Enthüllung, gescheitert ist, nämlich an den Mitgliedern der Bundesregierung, der Geheimdienste, die mich und Sie und andere, die in dem Parlamentarischen Kontrollgremium sitzen, belogen haben, die die Unwahrheit gesagt haben, die verschwiegen haben, die da saßen wie Engel und den Eindruck erweckten: Wir wissen von nichts; keine Ahnung, was der Snowden da will; keine Ahnung, was die USA machen. Wir kümmern uns doch nicht um Freunde. - Sogar hatte die Kanzlerin gesagt, das Abhören von Freunden gehe gar nicht. Was wir jetzt alles an Informationen, an Meldungen bekommen, das zeigt, dass das überwiegend gelogen war, und das darf doch nicht wahr sein.
Da müssen Sie etwas verbessern. Deshalb fordere ich drei Punkte:
Erstens. In solchen parlamentarischen Gremien muss die Opposition die Möglichkeit haben, allein Sachen durchzusetzen. Das heißt, wir brauchen Oppositionsrechte, auch wenn die Opposition noch so klein ist. Denn die Regierungskoalition sieht ihre Hauptaufgabe darin - das ist auch eine Kritik an Ihnen -, sich vor die Geheimdienste zu stellen, sie zu schützen und zu rechtfertigen, was sie tut. So ist die Realität. Nur die Opposition kann das durchbrechen.
Zweitens. Wir brauchen - das fordere ich jetzt seit zehn Jahren - eine wörtliche Protokollierung von dem, was in den Sitzungen dieses Gremiums gesagt wird. Es ist doch ein Unding, dass wir uns jetzt nicht über die, glaube ich, acht oder zehn Sondersitzungen im Jahr 2013 unterhalten können, um der Frage nachzugehen: Was hat da Herr Schindler gesagt? Was hat da Herr Pofalla gesagt? Was hat der Minister gesagt? Wenn wir das nicht nachhalten können, können wir sie nicht überführen, dass sie uns belogen haben; vielmehr sind wir auf unser eigenes Gedächtnis angewiesen. Das, was in anderen Ausschüssen möglich ist, beispielsweise im Auswärtigen Ausschuss - da werden auch geheime Sitzungen mitgeschnitten , muss eingeführt werden. Jeder, der das Kontrollgremium arbeitsfähig machen will, der muss das wollen. Warum wollen Sie das nicht? Haben Sie Angst vor Ihrer eigenen Rede, die dann protokolliert worden ist? Das darf nicht sein.
Drittens. Wir brauchen Sanktionen gegen Mitglieder der Bundesregierung, gegen Mitglieder der Geheimdienste, die uns im Parlamentarischen Kontrollgremium belogen haben. Es reicht nicht, im Gesetz zu verankern, wie es die Linke jetzt will, dass die Mitglieder von Bundesregierung und Geheimdiensten vollständig und wahrheitsgemäß informieren müssen; vielmehr muss es Folgen haben, wenn sie lügen. Wir müssen gesetzlich verankern, dass es mindestens ein Disziplinarvergehen ist, wenn dort falsch ausgesagt wird. Es kann doch nicht angehen, dass zwar Falschaussagen im Untersuchungsausschuss strafrechtliche Konsequenzen haben, während wir Abgeordnete im Parlamentarischen Kontrollgremium nach Strich und Faden belogen werden können, ohne dass das irgendeine Konsequenz hat.
Der letzte Punkt, den ich anfügen will - das ist mein Lieblingspunkt -: Das sind die Whistleblower. Wir brauchen in unseren Gesetzen - wir haben das mehrfach beantragt - Möglichkeiten, dass, wenn unter dem Deckmantel der Geheimhaltung Grundrechte verletzt werden, wenn die Verfassung von Bund oder Ländern gebrochen wird, man das als Abgeordneter frei hier von diesem Podium aus oder auch in den Ausschüssen sagen darf, ohne dass der Staatsanwalt anschließend anklopft. Eine solche Regelung haben wir schon einmal im Strafgesetzbuch gehabt.
Die muss man wieder einführen. Wenn Sie eine wirkliche Kontrolle haben wollen, dann schließen Sie sich mir an.
Die Rede von Hans-Christian Ströbele können Sie hier anschauen!