Wahlkampf 2013

Bundestagsrede von Hans-Christian Ströbele zu Venezuela

12.02.2004: Bundestagsrede von Hans-Christian Ströbele zur Situation in Venezuela

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen.

(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Jetzt kommt der Friedensfreund!)

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich beeile mich, weil es schon sehr spät ist.

Herr Kollege Hedrich, Sie verlangen von der Bundesregierung, die böse Regierung in Venezuela, die Sie gerade in die Nähe einer Diktatur gestellt haben,

(Claudia Nolte [CDU/CSU]: Zu Recht!)

zu bewegen, zu ermahnen, zu etwas zu drängen, ihr etwas zu verdeutlichen und was sonst noch alles. Soweit ich gehört habe, war Herr Kollege Hedrich, waren Sie vor ein paar Monaten, nämlich im Oktober vergangenen Jahres, hier in Berlin zu einer Konferenz des Ibero-Amerikanischen Instituts eingeladen. Dort waren sowohl Anhänger von Herrn Chávez als auch der gesamten Opposition in Venezuela vertreten. Sie, Herr Hedrich, haben dort Ihre Vorstellungen vorgetragen. Daraufhin ist der Wortführer nicht der Regierung in Venezuela, sondern der venezolanischen Opposition, Teodoro Petkoff, aufgestanden und hat unter mächtigem Applaus der gesamten Versammlung erklärt, dass die Sichtweise der Situation in Venezuela, wie Sie sie dargestellt haben, eine Beleidigung für alle Versammelten und das Volk in Venezuela darstellt.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Sehr interessant! Oberlehrer Hedrich! - Dr. Reinhard Loske [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und hier tritt er auf wie ein Fürsprecher!)

Sie sollten sich das einmal hinter die Ohren schreiben und einen Antrag einbringen, der der Situation in Venezuela gerecht wird.

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Sagen Sie doch mal, was Sie meinen!)

Ich bestreite nicht, dass die Lage dort problematisch und besorgniserregend ist. Ich bestreite auch nicht, dass Herr Chávez ein Populist ist,

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Aha!)

der es mit der Pressefreiheit in weiten Bereichen nicht so genau nimmt

(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Und mit Menschenrechten!)

und für deutsche Demokraten wahrlich kein Sympathieträger ist. Das ist völlig richtig. Sie aber argumentieren einseitig. Sie kritisieren zum Beispiel in Ihrem Antrag, dass der Präsident an vielen Sonntagen mehrere Stunden lang im staatlichen Fernsehen redet und wie ein Conférencier oder ein Star die ganze Sendezeit für seine Zwecke missbraucht. Sie erwähnen jedoch nicht, dass es in Venezuela vier private Kanäle und zehn Zeitungen gibt. Von den zehn Zeitungen stehen neun und von den vier privaten Kanälen alle auf Seiten der Opposition und sind Chávez-kritisch. Deshalb kann von einem Meinungsmonopol überhaupt nicht die Rede sein. Natürlich gibt es dort eine sehr kräftige und lautstarke Opposition.

Was ich Ihnen aber am meisten vorwerfe, ist, dass Sie sich mit der Opposition überhaupt nicht auseinandersetzen. Chávez konnte seine großen Wahlsiege nur erzielen, weil die Opposition im ökonomischen und demokratischen Sinne völlig versagt hat. Herr Chávez hat nach seiner ersten Wahl zunächst einmal eine Verfassung in diesem Land installiert, die von allen anerkannt und nicht einmal von der Opposition kritisiert wird. Das Referendum, das jetzt angestrebt wird, steht zum ersten Mal in dieser Verfassung. Herr Chávez selbst hat es möglich gemacht, dass ein Referendum über die Präsidentschaft stattfinden kann.

Die Opposition in Venezuela hat genauso versagt wie die Regierung selber. Deshalb können Sie sich nicht einseitig auf die Seite der Opposition stellen, ohne auch dort Kritik anzuwenden. Sie sollten es mit dem ehemaligen US-Präsidenten Carter halten, der deutlich gesagt hat, das Referendum und Chávez’ sofortige Machtentziehung sei in der gegenwärtigen Situation wahrscheinlich das Falsche. Sie dürfen nicht vergessen, wie die Situation nach dem Putsch im April letzten Jahres gewesen ist. Damals hat sich die Opposition ganz deutlich diskreditiert. Nachdem sich der Vorsitzende der Arbeitgebervereinigung selbst zum Präsidenten ernannt hatte, war seine erste Amtshandlung die Auflösung des Parlaments.

Die Behauptung, dass Chávez’ selber auf sein Präsidentenamt verzichtet habe, war gelogen. Die Massen sind damals auf die Straße gegangen und haben die Rückkehr Chávez’ in die Regierung erzwungen. Das heißt, er hat nach wie vor eine sehr breite Unterstützung im Land. Nach Umfragen beträgt sie etwa 30 Prozent. Der Führer der Opposition, der Präsident werden will, hat vielleicht 1 Prozent der Stimmen hinter sich. Das muss doch Gründe haben.

Die Opposition, die vorher an der Regierung war, hat total versagt, gerade im sozialen Bereich. Sie hat das Volk arm gemacht und dazu beigetragen, dass das Einkommen der Bevölkerung im Durchschnitt um 1 Prozent pro Jahr gefallen ist. Deshalb ist die Lösung, die Sie vorschlagen, genau die falsche.

Die sehr angesehene "Neue Zürcher Zeitung" hat vor anderthalb Monaten dazu geschrieben:

Chávez sitzt wohl deshalb noch im Sattel, weil die Opposition nicht als bessere Alternative angesehen wird. Sie ist in den Augen vieler noch immer die Nachhut der alten Kasten, die ihre Unfähigkeit hinreichend bewiesen haben, das Land sozial ausgeglichen voranzubringen.

Immerhin sinkt das Pro-Kopf-Einkommen nicht erst seit Chávez, sondern schon vorher.

(Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Jetzt ist es dramatisch!)

Wenn Sie keine Alternative aufzeigen können, sollten Sie es mit dem ehemaligen amerikanischen Präsidenten halten, der vorgeschlagen hat, dass man die Amtszeit des Präsidenten in Venezuela einschränkt und jetzt kein Referendum macht, sondern der Opposition die Möglichkeit gibt, einen eigenen Kandidaten aufzubauen und ein inhaltliches Profil zu entwickeln. Dann hätten sie auch den sehr populären und von ihnen geschätzten Präsidenten Lula aus Brasilien auf ihrer Seite, von dem sie wissen, -

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, Ihre Redezeit ist überschritten.

Hans-Christian Ströbele(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

  • dass er bei Chávez ein- und ausgeht und zwar nicht diesen Präsidenten, aber eine Dialoglösung in diesem Lande unterstützt. Ihr Antrag ist überhaupt nicht hilfreich. Deshalb werden wir diesen Antrag ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)