Wahlkampf 2013

Erklärung zur Abstimmung über die EU-Verfassung

12.05.2005: Erklärung von Hans-Christian Ströbele zur Abstimmung über- ein Gesetz zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa 15/4900; 15/4939; - ein Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten Gesetz zur Ausweitung der Mitwirkung 15/4925; - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU.

Erklärung des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele zur Abstimmung über- ein Gesetz zu dem Vertrag vom 29. Oktober 2004 über eine Verfassung für Europa 15/4900; 15/4939; - ein Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten Gesetz zur Ausweitung der Mitwirkung 15/4925; - Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für die Angelegenheiten der EU.

Ich will keinen Zweifel aufkommen zu lassen und betone deshalb: Auch ich halte die Europäische Union für unverzichtbar. Auch ich befürworte den Europäischen Zusammenschluss und die Einführung einer EU-Verfassung.

Aber die Kritik, wie sie aus der Friedensbewegung in Deutschland und der französischen Linken an Teilen der EU-Verfassung geäußert wird, ist schwerwiegend und berechtigt. Zu den Kritikpunkten gehört, dass die EU-Verfassung die Staaten Europas zur militärischen Aufrüstung verpflichte, militärische Missionen ohne UN-Mandat zulasse und eine neoliberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für Europa festschreibe.

Ich meine, eine EU-Verfassung sollte nicht verabschiedet werden, ohne dass die Mitwirkung des Bundestages bei der zukünftigen Rechtssetzung in Europa umfassend und vollständig durch ein Gesetz geregelt wird. So war es ursprünglich vorgesehen. Gesetzentwürfe von Opposition und Regierung lagen vor, wenn sie auch noch unzulänglich waren. Jetzt gibt es nur noch eine Beschlussempfehlung zum einen Teil eines solchen Begleitgesetzes, das der Bundestag bis Ende des Jahres verabschieden soll. Ich fürchte, nach der Verabschiedung der EU-Verfassung wird der Druck nachlassen, ein ausreichendes Gesetz zu machen. Die demokratische Legitimation der zukünftigen EU-Rechtssetzung, die nur die Parlamente der Mitgliedsstaaten schaffen können, solange und soweit die Befugnisse des Europäischen Parlaments noch nicht ausreichend sind, droht, auf der Strecke zu bleiben.

Ich bedauere, dass in Deutschland keine Volksabstimmung über die Verfassung und keine ausführliche Debatte in der Bevölkerung wie in Frankreich stattfindet.

Die EU-Verfassung hat es nicht verdient und ist mir zu wichtig, als dass ich akzeptieren kann, dass über die Kritikpunkte nicht ausführlich auch im Bundestag - im Plenum - geredet wird.

1. Ich halte es nicht für richtig, dass unter den Zielen der Verfassung eine Verpflichtung der Staaten genannt ist, "ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern" (Art. I - 41 Abs. 3). Der Satz kann als Pflicht zur Aufrüstung verstanden werden. Dies insbesondere auch deshalb, weil in der Verfassung gleich danach die Einrichtung einer "Europäischen Verteidigungsagentur" folgt, deren Aufgabe es auch sein soll, "zur Ermittlung von Maßnahmen zur Stärkung der industriellen und technologischen Basis des Verteidigungssektors beizutragen und diese Maßnahmen durchzuführen". Einen ebenso ausführlichen Abrüstungstext für Europa sucht man vergeblich in der EU-Verfassung.

2. Außerdem kann die EU militärische Missionen einschließlich Kampfeinsätzen in Drittländern "in Übereinstimmung mit Grundsätzen der Charta der Vereinten Nationen" durchführen. Es gibt aber in der Verfassung keine ausdrückliche Festlegung, dass solche Missionen nur mit einem Mandat der UN zulässig sind.

3. In die EU-Verfassung wurde eine "Charta der Grundrechte" aufgenommen. Diese enthält als Grundrecht die "unternehmerische Freiheit" und das Eigentumsrecht, aber ohne soziale Verpflichtung, und es fehlt auch die Sozialstaatsklausel des Grundgesetzes. Der Eindruck der einseitigen Ausrichtung auf die Bedürfnisse der kapitalistischen Wirtschaft wird verstärkt durch die Festschreibung des "Grundsatzes einer offenen Markwirtschaft mit freiem Wettbewerb" und des "Vorranges der Preisstabilität". So weit, so schlecht.

Aber ich übersehe auch nicht: Die EU-Verfassung enthält keine Sozialstaatsklausel, fordert aber die Einhaltung sozialer Grundrechte weit mehr und konkreter als das Grundgesetz. Sie benennt als Ziel "soziale Markwirtschaft", die Förderung von "sozialer Gerechtigkeit" und "sozialem Schutz" und die Verbesserung der "Lebens- und Arbeitsbedingungen." Sie lässt die Einschränkung und den Entzug des Eigentums im öffentlichen Interesse zu und eine gesetzliche Regelung zu dessen Nutzung "für das Wohl der Allgemeinheit". Sie zählt zu den Aufgaben der gemeinsamen Sicherheitspolitik mit zivilen und militärischen Mitteln gleichwertig nebeneinander auch "Abrüstungsmaßnahmen", "humanitäre" und "Rettungseinsätze" und die "Konfliktverhütung und Erhaltung des Friedens".

Und was wäre die Folge, wenn die EU-Verfassung nicht die notwendige Zustimmung findet?

  • Dann gelten die EU-Verträge von Maastricht bis Nizza fort. Sie sind nicht besser, sondern dramatisch schlechter als der EU-Verfassungsvertrag. Sie enthalten keine Grundrechtscharta und weit geringere Rechte für das Europäische Parlament. Militärische Aufrüstung und gemeinsame Militäreinsätze der EU-Staaten wären möglich, wie sie ja auch jetzt schon stattfinden und darüber hinaus sogar die Beteiligung einzelner EU-Staaten an Angriffskriegen ohne UN-Mandat.
  • Dann ist das nicht das Ende der EU oder der Verfassungsgebung, aber die Chancen zur Vereinbarung einer besseren Verfassung sind nicht besser, sondern schlechter. Den Verbesserungen müssten jetzt nicht 15, sondern 25 Regierungen der EU zustimmen, und zwar einstimmig - auch der Streichung der "unternehmerischen Freiheit". Verschlechterungen etwa in den umstrittenen Bereichen des Datenschutzes oder der Nichtdiskriminierung wären nicht unwahrscheinlich.
  • Dann gilt das Grundgesetz. Auch dieses garantiert mit der Berufsfreiheit die unternehmerische Freiheit. Das Grundgesetz erklärt die allgemeinen Regeln des Völkerrechts zum Bestandteil des Bundesrechts, aber benennt auch nicht das UN-Mandat als Voraussetzung eines Bundeswehrkampfeinsatzes.

Für meine Entscheidung ist ausschlaggebend: Ich habe eine Stellungnahme des wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages eingeholt. Danach bedarf ein EU-Beschluss über den Einsatz von Streitkräften nicht nur der Zustimmung aller nationaler Regierungen im Rat, sondern für dessen Umsetzung gilt in Deutschland auch der Parlamentsvorbehalt. Eine Regierung kann also einen solchen Beschluss verhindern - und der Deutsche Bundestag nach wie vor den Einsatz der Bundeswehr in einer Mission mit Kampfeinsatz.

Ich lehne also den EU-Verfassungsvertrag nicht ab.