Wahlkampf 2013

Gesetz zur Neuregelung von Beschränkungen des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses

29.03.2001: Neuregelungen zum Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (G10-Gesetz)

Der vorliegende Änderungsentwurf zum so genannten G 10 ist ein vertretbarer Kompromiss zwischen Sicherheits- und Datenschutzinteressen.

Gegenüber dem geltenden Recht bringt die Novelle deutliche Verbesserungen, gestaltet die bestehenden Abhörbefugnisse der Dienste grundgesetzkonform und stärkt den Schutz des Grundrechts der Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung erheblich. Die Koalition kommt damit einer Verpflichtung nach, die das Bundesverfassungsgericht dem Parlament aufgegeben hatte, weil die bisherigen gesetzlichen Regelungen verfassungswidrig sind.

Die Gesetzesnovelle schafft in der Sache keine entscheidend neuen Abhörbefugnisse. Teilweise wurde jetzt kritisiert, der Entwurf ermögliche dem Verfassungsschutz eine Überwachung Einzelner nun auch anlässlich von Straftaten jenseits der Staatsschutzdelikte, insbesondere beim Verdacht der Volksverhetzung. Dies war jedoch - leider - ganz überwiegend bereits nach geltendem Recht möglich. So kann der Verfassungsschutz die Kommunikation Einzelner schon heute anlässlich des Verdachts sogar irgendeines Delikts bei vermutetem Gemeinschaftsbezug überwachen, wenn durch die befürchteten Straftaten die demokratische Grundordnung oder die staatliche Existenz gefährdet sind. Nur unter dieser einschränkenden Voraussetzung einer konkreten Gefahr, die in der Praxis nur bei gemeinschaftlichem Handeln mehrerer erfüllt sein wird, ermöglicht nun auch die Gesetzesnovelle Überwachungsmaßnahmen im Falle einiger Kapitaldelikte und der Volksverhetzung: Diese muss aber schwerwiegend und geeignet sein, den öffentlichen Frieden zu stören, was bloßes Kneipengeläster und Ähnliches als Anlass ausschließt.

Die Datenschutzregelungen und die Kontrollbefugnisse der G-10-Kommission sowie des Parlamentarischen Kontrollgremiums wurden über das vom Bundesverfassungsgericht geforderte Maß hinaus erheblich ausgeweitet. Wir Grünen empfinden als sehr befriedigend, dass auch die Bundesländer ihre Kontrollregelungen diesem Standard anpassen müssen.

Erstaunlich finden wir die aus der F.D.P. - unter anderem von der ehemaligen Bundesjustizministerin - nun geäußerte Kritik, die Grünen gäben mit ihrer Zustimmung zu der Novelle ihre rechtsstaatlichen Überzeugungen auf. Bei aller Hochachtung für den seinerzeitigen Rücktritt von Frau Leutheusser-Schnarrenberger als persönlichen Protest gegen den Großen Lauschangriff muss an Folgendes erinnert werden: Es war ausgerechnet ihre F.D.P., die jenen Erweiterungen der G-10-Abhörbefugnisse 1994 im Bundestag zu der Mehrheit verhalf, welche das Bundesverfassungsgericht fünf Jahre später als verfassungswidrig aufgehoben hat. Die F.D.P. hat daher das in Teilen verfassungswidrige Gesetz zu verantworten, welches Rot-Grün nun verfassungskonform gestalten muss. In der F.D.P. wird offenbar auf ein sehr kurzes Gedächtnis der Öffentlichkeit gebaut.

Soweit der Bundesrat nun auf den Entwurf draufsatteln will und die Überwachungsbefugnisse sowie Datenverwertungsbefugnisse erheblich auszuweiten verlangte, haben wir diesen Angriff auf das informationelle Selbstbestimmungsgrundrecht zurückweisen müssen. Die Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses muß die seltene Ausnahme bleiben und darf nicht zur Standardmaßnahme der Sicherheitsbehörden mutieren.

Die Anwendung des überarbeiteten Gesetzes muss genau beobachtet und kritisch begleitet werden. Eine Erhöhung von Zahl und Umfang der Telekommunikationsüberwachung darf nicht sein. Die G-10-Kommission kann ihre Aufgabe, die Anlässe und die Ergebnisse der Überwachung genau zu überprüfen, nun viel besser erfüllen. Sich daraus etwa ergebende Korrekturen müssen zeitnah erfolgen. Bündnis 90/Die Grünen unterstützen den Vorschlag des Bundesbeauftragten für Datenschutz, die neugefassten Befugnisse zunächst auf kurze Dauer befristet zu erproben.

Dieser und weitere Verbesserungsforderungen insbesondere der Datenschutzbeauftragten von Bund und Ländern werden in den Ausschussberatungen ernsthaft weiter zu prüfen sein. Dazu gehören die Vorschläge: die Benachrichtigungspflicht gegenüber Betroffenen noch strikter zu gestalten; dem Bundestagsplenum und dem Parlamentarischen Kontrollgremium noch detaillierter über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der angeordneten Überwachungsmaßnahmen sowie über die Benachrichtigung der Betroffenen zu berichten; Überwachungen von mutmaßlichen Einzeltätern und losen Gruppierungen jenseits der Staatsschutzdelikte im engeren Sinne noch deutlicher auszuschließen; eine Übermittlung von G-10-Erkenntnissen nur dem erhebenden Geheimdienst selbst unter strikterer Zweckbindung zu gestatten und Ausnahmen der dabei vom Bundesverfassungsgericht geforderten Kennzeichnung der G-10-Erkenntnisse zu streichen; die Voraussetzungen sowie Befristungen für die Überwachung in Geiselnahmefällen zu verengen und noch deutlicher von der Einhaltung zwischenstaatlicher Regelungen abhängig zu machen; die Obergrenze der strategischen Fernmeldeüberwachung von höchstens 20 Prozent der internationalen Fernmeldebeziehungen herabzusenken.

Bei der Neugestaltung all dieser Detailregelung besteht die grüne Grundüberzeugung fort, dass generell Existenz und Tätigkeit der Geheimdienste laufend auf dem Prüfstand bleiben muss, um die Freiheit der Bürger und Transparenz der Gesellschaft zu wahren.