Wahlkampf 2013

Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter- Opfer-Ausgleichs

03.12.1999: Wegfall der Kronzeugenregelung - Voraussetzungen für den Täter-Opfer-Ausgleich - Fortgeltung des § 12 Fernmeldeanlagengesetz

Heute hören Sie von mir nur Gutes.

(Jörg van Essen [F.D.P.]: Sie meinen, es geschehen noch Wunder, Herr Kollege?)

Wir sammeln die guten Tage in diesem Jahrtausend. Ich denke, heute ist ein guter Tag für die Justizpolitik in diesem Lande. Wenn ich es richtig sehe, werden auch Sie gleich zustimmen.

(Norbert Geis [CDU/CSU]: Aber nur in dem Punkt! Das wissen Sie doch!)

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Unter dem Täter-Opfer-Ausgleich, dem sogenannten TOA, können sich nicht viele Leute etwas vorstellen. Durch den Täter-Opfer-Ausgleich - das ist richtig und wichtig - können in Zukunft Strafprozesse vermieden oder verkürzt werden, können im voraus Schlichtungen herbeigeführt werden, nämlich dann, wenn sich der Täter bemüht - das steht nach wie vor im Gesetz, Herr Kollege -, sich mit dem Opfer zu einigen und die Tat sowie die Folgen der Tat wiedergutzumachen. Das Bemühen allein ist wesentlich, auch wenn es nicht immer zum Erfolg führen wird.

Richtig ist, daß das niemals gegen den Willen des Opfers geschehen soll. Ich halte das für völlig in Ordnung, weil zum Beispiel die Vorstellung, daß eine Frau, die von einem Mann verprügelt worden ist, gegen ihren Willen dazu gezwungen wird, sich mit dem Täter zusammenzusetzen, Händchen zu halten und zu sagen:

"Wir sind uns wieder einig." grauenhaft ist. Das wollen wir nicht Wirklichkeit werden lassen, und aus diesem Grund haben wir dies im Gesetz klargestellt. Das Wort "soll" bedeutet für den Richter und auch für den Staatsanwalt, daß eine Einigung in solchen Fällen überhaupt nicht in Betracht kommt. Es handelt sich also lediglich um eine Klarstellung der Intention der Koalitionsfraktionen, Herr Kollege Geis.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD - Jörg van Essen [F.D.P.]: Peinlich! - Norbert Geis [CDU/CSU]: Herr Ströbele, Sie können ruhig zugeben, daß Sie gescheiter geworden sind! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Späte Einsicht ist besser als gar keine!)

Wir haben dies getan, weil wir dachten, daß diejenigen, die diesen Text lesen und keine Juristen sind, vielleicht Irrtümern unterliegen könnten.

In Zukunft also wird der Staatsanwalt, wird der Richter zu jeder Zeit des Verfahrens zu prüfen haben: Ist das ein Fall für einen Täter-Opfer-Ausgleich? Trifft dies zu, wird er die Initiative zu ergreifen haben. Das kann in Verfahren wegen Diebstahls, in Verfahren wegen Sachbeschädigung, etwa beim Sprayen an Hauswänden, in Verfahren wegen Körperverletzung, eigentlich bei allen Taten, die als Vergehen zu qualifizieren sind, geschehen. Wir erhoffen uns dadurch erstens eine verbesserte Situation für die Opfer. Für viele ist es wichtiger, daß der Täter erscheint und sagt: "Es tut mir leid!" oder: "Ich habe eingesehen, das war nicht in Ordnung! Wie kann ich das wiedergutmachen?" und den Schaden tatsächlich materiell oder ideell wiedergutmacht.

Zweitens wäre es für den Täter besser: Er braucht keine Geldstrafe zu zahlen. Er ist nicht vorbestraft. Er muß unter Umständen nicht in das Gefängnis. Auch für die Gesellschaft wäre es besser; denn der Rechtsfrieden wird eher dadurch hergestellt, daß jemand einsieht, daß er etwas falsch gemacht hat, und sich bemüht, dies wiedergutzumachen, als daß er in das Gefängnis geht, dem Staat Kosten verursacht und möglicherweise die Konfrontation nach der Entlassung aus dem Gefängnis oder nach der Zahlung der Geldstrafe ansteht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.)

Es ist also insgesamt eine gute und wichtige Regelung. Diese wollen wir, ich glaube: unisono verabschieden. Wir unterhalten uns heute aber auch über einige andere Gesetze. Richtig und gut ist der Kompromiß - wir haben ihn nach langen Diskussionen gefunden - über die Fortgeltung des § 12 des Fernmeldeanlagengesetzes. Auch darunter kann sich keiner etwas vorstellen. Es handelt sich um die Befugnis des Richters, beim Fernmeldeamt zum Beispiel nachzufragen: Wer hat gestern abend diese Telefonnummer gewählt und eine Frau oder einen Mann beschimpft, beleidigt, oder in sexueller Weise übel belästigt?

Diese Vorschrift gibt es schon lange; wir wollen sie auch grundsätzlich erhalten. Sie leidet aber unter erheblichen datenschutzrechtlichen Mängeln, weil nicht sichergestellt ist, daß von dieser Möglichkeit auch in den Fällen Gebrauch gemacht wird, in denen sich nachher herausstellt, daß nichts war oder daß der Falsche festgestellt wurde, weil jemand anderes das Telefon benutzt hat. Wir wollen deshalb die ersten datenschutzrechtlichen Verbesserungen in das Gesetz aufnehmen und haben nur unter dieser Voraussetzung einer Verlängerung dieser Vorschrift zugestimmt. In Zukunft ist es vor allem wichtig, daß die von solchen Feststellungen durch das Gericht, durch einen Richter, Betroffenen nachträglich unterrichtet werden und sich dagegen zur Wehr setzen können.

Das ist aber nicht genug. Wir haben weiterhin eine nochmalige Befristung bis zum Jahre 2001 abgesprochen. Dies bedeutet, daß die Koalitionsfraktionen - Sie sind aufgerufen, hier mitzumachen -, daß die Regierung bis zum Jahre 2001 - wir haben die Zusicherung, daß es möglichst bis zum Beginn des Jahres 2001 geschehen soll - eine weitere datenschutzrechtliche Regelung in das Gesetz aufnehmen wird und daß eine grundsätzliche Reformierung erfolgt. Das ist wichtig und richtig. Denn wir wollen, daß zum Beispiel die Berufsgeheimnisträger, also Rechtsanwälte, Ärzte, Geistliche, Journalisten, in Zukunft einen Schutz haben, damit sie in ihrer Berufsausübung nicht behindert und belästigt werden, wenn die Telefonnummern festgestellt werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Lassen Sie mich noch etwas zum dritten Gesetzentwurf der Union sagen, der heute beraten werden soll und den wir ablehnen. Wir wollen, daß die Kronzeugenregelung, die von Anfang an ein befristetes Sonderrecht gewesen ist, entstanden aus einem angeblichen Fahndungsnotstand 1989 in der Bundesrepublik Deutschland, zum Ende des Jahres 1999 ausläuft und ersatzlos wegfällt. Diese Kronzeugenregelung war unserem Recht fremd. Sie hat den Zweck, zu dem sie erlassen worden ist, nie erreicht. Es gibt keinen einzigen Fall, in dem das erreicht wurde, was der Gesetzgeber 1989 erreichen wollte, nämlich Menschen aus dem Kern terroristischer Vereinigungen zu lösen, um dadurch für die Zukunft Straftaten zu verhindern oder Straftaten aufzuklären. Das Gesetz ist lediglich in Fällen angewandt worden, in denen auf andere Art und Weise eine Aufklärung möglich gewesen ist und wo sich die Leute aus anderen Gründen zur Aussage bereit erklärt haben. Deshalb ist die Vorschrift nicht nur gefährlich - das war sie auch in der Vergangenheit -, sondern sie hat sich als überflüssig erwiesen. Darum wollen wir sie nicht fortsetzen.

Lassen Sie uns diesen guten Tag am Ende des Jahrtausends damit schließen, indem wir den Täter-Opfer- Ausgleich beschließen, die Fortgeltung des FAG befristet beschließen und die Kronzeugenregelung endlich auslaufen lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)