Wahlkampf 2013

Veränderung im Berufsbild des Rechtsanwalts

02.12.1999: Änderungsgesetz zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechtsanwälte und der Patentanwälte - Aufhebung von Beschränkungen bei der Postulationsfähigkeit - Vereinheitlichung der Gebühren für Rechtsanwälte in Ost und West

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Wir erleben jetzt eine etwas verspätete Anwaltsstunde. Ich möchte zuerst ein paar kritische Worte sagen, bevor ich auf das Gesetz zu sprechen komme. Ich bin seit über 30 Jahren als Anwalt tätig und habe festgestellt, daß sich das Berufsbild des Rechtsanwalts in Deutschland vor allen Dingen in den letzten fünf bis zehn Jahren sehr stark verändert hat, und zwar für mein Gefühl und für meine Begriffe nicht nur zum Vorteil. Anwälte dürfen jetzt auch werben. Bald wird in Werbespots für Anwaltskanzleien und für Anwaltsfirmen geworben werden. Anwälte dürfen sich Fachanwälte nennen, das heißt, sie dürfen sagen: Ich bin Fachanwalt für Strafrecht oder für Arbeitsrecht. Sie dürfen sich also von den anderen abheben. Das Dramatischste ist: Anwälte dürfen jetzt auch Firmen gründen, so wie es in den USA schon seit langem gang und gäbe ist. Riesige Anwaltsfirmen entstehen in der Bundesrepublik, die nahezu alle Großstädte abdecken und den kleinen, gemütlichen Anwaltspraxen, die ganz nahe am Mandanten agieren, das Wasser abgraben. Dies ist ein Problem. Aber diese Entwicklung können wir - von meinem Standpunkt aus betrachtet: leider - nicht zurückdrehen. Es gibt auch im Anwaltsbereich eine Markt- und Konkurrenzwirtschaft. Es geht darum, wer sich auf dem Markt mit seinen materiellen und finanziellen Mitteln am besten durchsetzt. Die Anwälte, die Einzelpraxen oder kleine Praxen haben, werden zumindest in den Großstädten langfristig auf der Strecke bleiben. Ich finde diese Entwicklung nicht besonders begrüßenswert.

Das heutige Gesetz bringt in diesem Bereich eine Vervollständigung. Ich glaube, es wäre falsch, zu sagen, wir können und wollen diese Entwicklung zurückdrehen. Wir müssen natürlich auch zur Kenntnis nehmen, daß auch die Anwälte, die Anwaltsvereinigungen und die Anwaltskammern diese Entwicklung sehr stark forciert haben, zum Beispiel weil in den entsprechenden Vereinigungen die großen Anwaltsfirmen das Sagen haben oder aus praktischen oder irgendwelchen anderen Gründen. Jedenfalls durfte bis vor einigen Jahren ein Anwalt nur vor einem Landgericht oder einem Familiengericht, zum Beispiel in Berlin, in Stuttgart oder in Tübingen, auftreten. Dadurch wurde erreicht, daß die großen Firmen auch Platz für die kleinen Anwälte lassen mußten. Dies ist bereits aufgeweicht, und mit diesem Gesetz soll diese Entwicklung weitergeführt und die Ungerechtigkeiten beseitigt werden, die durch diese Aufweichung entstanden sind. In Zukunft soll jeder Anwalt - darauf ist schon richtig hingewiesen worden - an jedem deutschen Landgericht und an jedem deutschen Familiengericht tätig werden können. Dies wird natürlich bedeuten, daß ein Anwalt aus München, Hamburg oder Berlin in Zukunft in Erfurt, Leipzig, Essen, Düsseldorf oder Köln engagiert werden kann und vor dem entsprechenden Landgericht auftreten kann. Das halte ich - auch vor dem Hintergrund meiner Berufserfahrungen als Anwalt - für außerordentlich problematisch, aber es ist nicht mehr zurückzudrehen. Es geht uns jetzt darum, einheitliches Recht für ganz Deutschland zu schaffen. Dazu ist dieses Gesetz sicherlich der richtige Weg. Es schafft Ungerechtigkeiten, die bisher zwischen alten und neuen Bundesländern bestanden haben, ab und vereinheitlicht das Recht. Das ist richtig; ich wollte trotzdem einige kritische Anmerkungen zu dieser Entwicklung nicht unterlassen.

In der Frage, ob Anwälte aus Stuttgart, Berlin (West) oder München, die in Erfurt oder Leipzig tätig werden, dasselbe verdienen sollen, was sie in Stuttgart oder Köln verdienen, teile ich die Auffassung meiner Vorredner, daß das völlig unvertretbar wäre. Ich bin zwar selber Anwalt und weiß, daß die Kollegen auf mich schauen und viele von ihnen dieses fordern. Sie sehen nämlich nicht ein, daß sie für dieselbe Arbeit in einem der östlichen Länder weniger Geld bekommen, da sie, wenn sie in Köln oder Berlin wohnen, auch höhere Lebenshaltungskosten bestreiten müssen. Dabei treten jetzt sicherlich Ungerechtigkeiten auf.

Eine andere Überlegung halte ich aber für wichtiger und durchschlagender: Solange die Gehälter und Einkommen, auch die der Arbeiter, Angestellten und Beamten im öffentlichen Dienst, im Osten geringer sind als im Westen, wäre es überhaupt nicht zu vertreten und zu vermitteln, daß die Menschen für Anwaltstätigkeiten in Zukunft das gleiche wie bei Anwälten im Westen zahlen sollen. Das kann erst dann kommen, wenn auch die Löhne und Gehälter angeglichen werden.

Wir tragen also die Änderung des § 78 der Zivilprozeßordnung mit, lehnen aber alle Bestrebungen ab, die dahin gehen, daß die Anwälte im Osten die gleichen Sätze wie die im Westen erhalten. Das wäre ungerecht; deshalb müssen wir den Antrag der F.D.P. ablehnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)