Wahlkampf 2013

Anschlag des Anis Amri in Berlin war vermeidbar: Sicherheitsbehörden von Bund +Ländern versagten, Bund blockierte die Aufklärung

12.05.2017: Zu der Untersuchung des Anschlags vom 19.12.2016 in Berlin durch eine TaskForce des Parlamentarischen Kontrollgremiums des Bundestags hat dessen Mitglied Christian Ströbele der (Mehrheits)-Bewertung am 29. März 2017 nachdrücklich widersprochen mit folgender, hier ergänzter Begründung:

Sondervotum MdB Ströbele gemäß § 10 Absatz 2 PKGr-Gesetz zum Bericht der Task Force des Parlamentarischen Kontrollgremiums zum Vorgang Anis Amri:

Meine Bewertung ist schrecklich schlimm, besonders für die Angehörigen der Ermordeten und die Verletzten. Die Sorge um Sicherheit ist berechtigt. Der bisher schwerste Terroranschlag in Deutschland am 19.12.2016 hätte nicht nur verhindert werden können, sondern auch verhindert werden müssen. Aber die Sicherheitsbehörden haben versagt. Die Bundesregierung ist verantwortlich für das Versagen der Bundesbehörden. Es gibt eine neue Dimension der Gefährlichkeit, die die Bundesregierung uns und der Öffentlichkeit systematisch verheimlicht hat. Diese folgt aus der Überwachung der geschützten Telegram-Chat-Kommunikation des Gefährders Amri schon seit Dezember 2015. Am 2. Februar 2016 spricht er dort über seinen Wunsch einer "Heirat" und benutzt das persische Wort "Douqma". Beide Worte werden vom IS als Bezeichnung für einen Selbstmordanschlag benutzt. Der Chat-Partner, mutmaßlich ISIS-Kämpfer oder Kommandeur im libyschen Kampfgebiet, rät ihm, sich an einen zuständigen Bruder zu wenden und zu sagen, daß er der "Religion Gottes dienen wolle" Er wünscht, daß beide im "Paradies vereint werden". Die Chatverläufe lassen sich dahin deuten, eine n geneigten Selbstmordattentäter in blumiger Sprache auf seinen Weg zu führen und zu bestärken Darauf deuten auch die Worte "auf den Knopf drücken" und das Codewort "Dugma".(So der Bericht des der "Sachverständige der NRW-Landesregierung, Prof. Dr. Kretschmer, in seinem Bericht vom 27.3.17, S. 8, 40 ; s.a. zugehörige Chronologie S. 7 [https://mbem.nrw/de/node/4138 ]). Das Gespräch führte Amri im Chatprogram Telegram unter libyschen Telefonnummern. Er bittet um Hilfe, um einen Selbstmordanschlag in Deutschland zu begehen. Der Chat-Partner, von dem die Ermittler vermuteten, daß es sich um einen tunesischen Verwandten Amris im Kampfgebiet in Libyen handelte, rät, sich an den "Bruder" zu wenden, der das Nötige bereitstellen und ihn dirigieren werde. Allah werde sie im Paradies vereinen. (Die Welt 28.3. 2016) Ich habe keinen Grund an diesen Angaben zu zweifeln. Der Chat-Verkehr liest sich wie ein Stück aus dem Lehrbuch der Kriminalistik über konspirative Kommunikation des IS. Wenn ein bekennender Islamist wie Anis Amri, der die Anschläge des IS gutheißt und immer wieder versucht Unterstützer für Attentate zu finden, sich "Schnellfeuergewehre" für einen Anschlag zu beschaffen, dann mit IS-Kämpfern im Kampfgebiet in Libyen höchst konspirativ unter Nutzung islamischer Formulierungen telefoniert, um Rat und Hilfe für einen "Duqma", also einen Selbstmordanschlag, nachsucht, dann hat Amri nicht nur eine ausländische terroristische Vereinigung unterstützt. Vielmehr lagen dann konkrete Tatsachen aus mehreren verschiedenen Quellen für den dringenden Verdacht einer Mitgliedschaft im IS vor. Die Einleitung eines Verfahrens wegen des Verdachts nach § 129 b StGB war geboten. Zumindest aber hätte dieser Top-Gefährder ständig beobachtet und unter Kontrolle gehalten werden müssen.

Vor allem wegen dieser Erkenntnisse wurde Amri zu Recht als Gefährder eingeschätzt. Aber in der von der Bundesregierung am 11. und 19. Januar 2017 vorgelegten Chronologie findet sich zum höchstbrisanten Inhalt des Chat-Verkehrs nichts. Die Bundesregierung tat gegenüber Parlament und den zuständigen Ausschüssen und Gremien so, als lege sie dieses Mal alle ihre Erkenntnisse zum Fall Amri rückhaltlos vor. Aber die Chats werden nicht erwähnt, sondern komplett verschwiegen. Allen befaßten Sicherheitsbehörden waren die "Chats" als Grund bekannt, warum 17.2. 16. Amri als "Gefährder" eingestuft wurde. Für die Täuschung von Parlament und Öffentlichkeit ist die Bundesregierung verantwortlich. Unwahrheit ist auch, wenn man nicht die ganze Wahrheit sagt, ohne darauf hinzuweisen, daß etwas Wichtiges fehlt. Die zuständigen Minister in NRW und im Bund müssen die Verantwortung übernehmen für die eklatanten Fehler im Fall Amri.

Ich stelle fest:

> GBA und BKA haben ihre Aufgaben und Pflichten zur Verhinderung und Verfolgung terroristischer Straftaten nicht erfüllt, als sie die Übernahme des Falles Amri in federführende Zuständigkeit ablehnten. Entscheiden sie sich gegen die Übernahme eines Falles, sollten sie - wenn mehrere Bundesländer betroffen sind - zumindest darauf hinwirken, daß eine Länderbehörde Strafverfolgung und Gefahrenabwehr in einem Land in einem Sammelverfahren federführend übernimmt. BFV und Länderpolizeien müssen dem übernehmenden Land dann ihre Erkenntnisse in jedem Fall der Übernahme GBA/BKA bzw. StA/LKA unverzüglich und vollständig zur Verfügung stellen.

> Im September/Oktober gingen beim BKA vier Meldungen aus Marokko ein. Neben Erkenntnisanfragen enthielten sie bekannte aber auch den deutschen Behörden nicht bekannte Fakten zu Amri. So teilten sie mit, er halte Deutschland für ein Land der Ungläubigen, die seine Brüder erpressen, und er führe ein Projekt aus, über das er nicht sprechen wolle. Namen von Dschihadisten in Berlin werden genannt, bei denen Amri unterkommt und wohnt. Unternommen wird nichts. Keine Schutz- und Aufklärungsbemühungen. Viel später - am 2.11. 16 - keine sieben Wochen vor dem Anschlag - übernimmt BfV im GTAZ die Aufgabe, bei den marokkanischen Behörden wegen weiterer Erkenntnissen nachzufragen. Bis heute ist dies nicht geschehen, ohne daß das BfV die anderen Teilnehmer im GTAZ von diesem Fehler unterrichtet.

> Das BfV ist von Anfang an im GTAZ dabei und voll informiert. Auch über die Chats und darüber, daß Amri in sechs Bundesländern in der Islamistenscene ständig unterwegs ist. Das BfV hatte genug Anlaß die ND-Überwachung "zentralauswertend" und "koordinierend" zu übernehmen. (§ 5 Abs. 2. 3 BVerfSchGsetz) Denn es soll nach eigenen Regeln die VS-Befassung federführend übernehmen, wenn mehr als zwei Bundesländer betroffen sind. BfV tut nichts dergleichen, obgleich es früh die Gefährlichkeit Amris und das Vorhaben eines Anschlags bejahte. Gleichwohl wurden Maßnahmen zur konsequenten Beobachtung und Kontrolle Amris nicht unternommen.

> Das GTAZ als war nur eine Runde organisierter Verantwortungslosigkeit. Es muß durch anregende und koordinierende Tätigkeit des BKA ergänzt werden. Auch braucht es eine verfassungsfeste Rechtsgrundlage.

> Es fehlt nicht an neuen Befugnissen und Gesetzen zum Schutz vor Gefährdern, sondern an der konsequenten Anwendung geltenden Gesetzes und Rechts.

Die deutschen Sicherheitsbehörden in Bund und den betroffenen Länder haben bis zum Anschlag gewußt, daß Amri äußerst gefährlich war. Er war in der Terrorscene verankert und Plante einen Selbstmordanschlag. Die zuständigen Fachleute vom Staatsschutz der Kripo im LKA Berlin haben im Juni 2016 analysiert, die Gefährlichkeit des Amri und Gewaltbereitschaft seien inzwischen sogar angestiegen, und haben einen Gerichtsbeschluß seine Überwachung erwirkt. Doch getan haben alle nichts, keine Fahndung, obwohl sie Adressen z.B. aus Marokko hatten, keine Festnahme (wegen Tatverdachts nach § 89 a, § 129 b StGB), keine Observation, kein Warnung vor Anschlägen. Nicht gehandelt zur Gefahrenabwehr haben BKA, BfV sowie LKAs und LfVs in Berlin und NRW. Das Totalversagen der Sicherheitsbehörden erinnert an das beim NSU.

Stattdessen Tarnen und Täuschen nach dem Anschlag. Die Bundesregierung wollte alles auf den Tisch legen, aber sie hat eine zentrale Gefährdungserkenntnis verheimlicht, eine ganz wichtige, zentrale aus der Chronologie rausgehalten: Die Chats mit libyschen Telefonnummern Amris. Bis heute hat diese auch dem PKGr nicht im Wortlaut vorgelegen. Der gesamte überwachte Chatverkehr Anis Amris ist dem Bundestag und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Es gibt überhaupt keinen Grund, diese Erkenntnisse aus der Chronologie heraus- und geheim zu halten. Ich fordere die Bundesregierung auf, diese Erkenntnisse sofort in die Öffentlichkeit geben.