Wahlkampf 2013

Untersuchungsausschussgesetz

21.01.2000: Gesetz zur Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse des Deutschen Bundestages (Untersuchungsausschussgesetz) - Gültigkeit der GO BT bei Verfahren im Untersuchungsausschuss - Regelung des Rechts der Untersuchungsausschüsse auf der Grundlage der sog. IPA-Regeln

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mit einem Zitat des Kollegen Bachmaier anfangen. Er sprach davon, dass es Aufgabe dieses Ausschusses, für den wir jetzt die gesetzliche Grundlage schaffen, ist, "lästig" zu werden. Ich denke, es ist eine der wesentlichen Aufgaben von Untersuchungsausschüssen, für die jeweiligen Regierungen lästig zu werden; denn viele Regierungen - das ist zwar nicht richtig; es ist aber der Fall - finden eine eingehende Kontrolle durch das Parlament durchaus lästig. Das heißt, wir müssen Regeln schaffen, die es uns und natürlich der Opposition ermöglichen - Untersuchungsausschüsse sind ja in der Vergangenheit im Wesentlichen auch Instrumente der Opposition gewesen und werden es auch bleiben -, der jeweiligen Regierung lästig zu werden.

Herr Kollege Schmidt, ich verstehe nun gar nicht, dass Sie als ein Vertreter der Opposition irgendetwas dagegen haben können, dass wir Ihnen jetzt auch für die Arbeit dieses Untersuchungsausschusses, über den alle Welt redet, zusätzliche Rechte geben. Sie können ja darüber streiten, ob es genug Rechte sind. Über diesen Punkt können wir uns in den Ausschüssen unterhalten. Aber dass Sie etwas dagegen haben, dass wir jetzt eine gesetzliche Grundlage schaffen, mit der wir Ihnen zusätzliche Rechte zu den schon bestehenden Rechten aufgrund der IPA-Regeln geben, ist für mich nur schwer nachvollziehbar.

Wir haben in der Bundesrepublik Deutschland in den letzten Wochen und Monaten Diskussionen über Befugnisse von Untersuchungsausschüssen in einer Intensität gehabt, wie das seit Jahrzehnten nicht der Fall gewesen ist. Darf ein Untersuchungsausschuss beispielsweise einen Zeugen zwingen? Wenn ja, wie? Wer hat das zu bestimmen und wie weit kann das gehen? Wer in welcher Reihenfolge darf sein Fragerecht ausüben? Eine ganz wesentliche Frage, Herr Kollege Schmidt, über die wir uns im nächsten Obleutegespräch und in den nächsten Sitzungen des Untersuchungsausschusses verständigen und abstimmen müssen, ist die Frage: In welcher Reihenfolge werden Zeugen gehört? In den IPA-Regeln findet sich dazu nichts. Müssen Sie als Oppositionfraktion nicht ein wesentliches Interesse daran haben - ich hätte an Ihrer Stelle ein Interesse daran -, den einen oder anderen Zeugen vor Ablauf von einem oder zwei Jahren zu hören?

Auf all diese Fragen soll das Gesetz, das wir jetzt vorlegen, Auskunft geben. Es ist richtig, dass wir diesem Untersuchungsausschuss, über den wir alle reden, der für dieses Land eine große Bedeutung hat und auf den sich viele Hoffnungen richten, nun vernünftige gesetzliche Grundregeln geben.

Dabei ist eine zentrale Frage, welche Art von Beweisaufnahme ein Untersuchungsausschuss durchführen kann. Wichtigstes Mittel der Beweisaufnahme ist in allen Verfahren - in Gerichtsverfahren wie in Verfahren vor Untersuchungsausschüssen - das Recht, Zeugen zu hören. Es war schon immer klar, dass Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss erscheinen müssen. Sie müssen aber auch wahrheitsgemäß und vollständig aussagen. Um dieses auf die gegenwärtige Situation zu übertragen: Der Abgeordnete Dr. Helmut Kohl ist verpflichtet - natürlich auch heute schon -, vor einem solchen Untersuchungsausschuss vollständig und umfassend auszusagen.

Wenn er das nicht tut, stellt sich die Frage: Was machen wir in diesem Fall? Dafür soll es eine Regel geben, die wir festlegen wollen und die besagt, dass wir einen solchen Zeugen - und zwar jeden Zeugen; - alle Zeugen sind gleich - auch mit den im Strafprozess üblichen Mitteln zu Aussagen veranlassen können, es sei denn, es gibt ein Aussage- oder ein Zeugnisverweigerungsrecht. Es gibt natürlich die Mittel des Zwangsgeldes und der Beugehaft. Die Frage aber ist: Wer verhängt dies? Entscheidet darüber der Ausschuss? Wir wollen eine vernünftige gesetzliche Neuregelung, die mit der von Ihnen vorgeschlagenen Regelung ähnlich oder identisch ist. Demnach soll dies - nicht mehr vom Richter am Amtsgericht Bonn bzw. vom Richter am Amtsgericht Berlin- Moabit - das ist hier gleich um die Ecke - entschieden werden, sondern vom Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof. Sollte dieser Richter möglicherweise eine problematische Entscheidung fällen, wird es ein Rechtsmittel dagegen geben. Der Bundesgerichtshof, in dieser Frage das höchste deutsche Gericht, hätte also über einen die gesamte Öffentlichkeit interessierenden Sachverhalt zu entscheiden.

Eine weitere Frage, die uns unmittelbar beschäftigt, ist: In welcher Reihenfolge sollen die Zeugen gehört werden? Wird der Zeuge Kohl, wie von der CDU in der Öffentlichkeit verlangt, im Januar, Februar oder März 2000 oder aber erst im Jahr 2001 oder 2002 gehört? Dies zu entscheiden, ist ganz wesentlich - nicht nur für die Öffentlichkeit, sondern für alle, die an der Wahrheitsfindung interessiert sind.

Wir haben eine Regelung vorgeschlagen, die Ihnen sehr entgegenkäme. Danach sollen, wenn sich der Ausschuss nicht einigt, die Regeln der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages gelten. Das heißt - das können Sie in der Kommentierung nachlesen -: Auch Sie als Oppositionsfraktionen haben die Möglichkeit, darauf zu bestehen, dass die von Ihnen benannten Zeugen gemäß der Geschäftsordnung in angemessener Reihenfolge gehört werden. Das ist ein Recht, das wir in der Vergangenheit als Oppositionsmitglieder in den Untersuchungsausschüssen sehr gerne gehabt hätten.

Sie sollten uns auf die Schulter klopfen und sagen: Prima, dass sowohl die SPD als auch Bündnis 90/Die Grünen nicht vergessen haben, welche Probleme sie in der Vergangenheit hatten, und sich nicht auf ihren Koalitionssesseln ausruhen, sondern eine Regelung

schaffen wollen, die gerecht und für Oppositionsfraktio- nen akzeptabel ist und die notwendigen Grundlagen schafft.

(Dr. Max Stadler [F.D.P.]: Sie denken eben an die Zukunft!)

Wir denken an die Zukunft der F.D.P., solange es sie noch gibt. Wir denken auch an die Interessen der CDU, die immer vor sich herträgt, eine rückhaltlose, umfassende Aufklärung auch dieser Affäre zu erreichen. Wenn wir dann den Zeugen vor dem Untersuchungsausschuss haben, muss entschieden werden, ob er ein Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht hat. Ganz Deutschland redet darüber. Was kann man also dagegen haben, wenn wir eine gesetzliche Regelung schaffen wollen, wie, in welcher Form und von wem das entschieden wird? Ich denke daher, die CDU wäre gut beraten, sich unseren Anträgen anzuschließen, den Gesetzentwurf wohlwollend mit uns zu beraten und ihm so, wie wir ihn vorgelegt haben, zuzustimmen.

Herr Kollege Schmidt, Sie können doch nicht immer sagen, darüber habe die Rechtsprechung in der Zwischenzeit entschieden. Zu Recht macht das Bundesverfassungsgericht dem Deutschen Bundestag immer wieder den Vorwurf, dass er nicht in der Lage sei, seine Arbeit zu leisten, sich nämlich über die gesetzlichen Grundlagen politisch auseinander zu setzen und dann zu einer Regelung zu kommen, und die eigentliche politische Tätigkeit, nämlich die Entscheidungen, dem Bundesverfassungsgericht aufdrückt.

So ist es in der Vergangenheit auch gewesen, als es darum ging, welche Akten wer zur Verfügung zu stellen hat. Wir wollen regeln, dass es grundsätzlich die Verpflichtung der Bundesbehörden, Staatsanwaltschaften und Gerichte ist - das steht sogar im Grundgesetz -, Akten zur Verfügung zu stellen. Wir wollen auch regeln, wie es ist, wenn die Bundesregierung oder ein einzelnes Ministerium die Akten nicht zur Verfügung stellt. Das ist kein theoretischer Fall, sondern war in der Vergangenheit mehrfach ein großes Problem, über das sich der Deutsche Bundestag und die Öffentlichkeit intensiv auseinander gesetzt und mit dem sich auch die Gerichte befasst haben.

Jetzt soll eine Regelung getroffen werden, nach der grundsätzlich eine Verpflichtung besteht, es sei denn, der jeweilige Kernbereich des aktuellen politischen Handelns der Bundesregierung ist betroffen. Diese Formel ist einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts entnommen. Auch dies ist ein trauriges Anzeichen dafür, dass wieder das Gericht entscheiden musste und nicht der Deutsche Bundestag in seiner Souveränität entschieden hat.

Für den Fall, dass wir uns darüber im Ausschuss nicht einig werden, was sicher auch in Zukunft in wichtigen zentralen Fragen der Fall sein wird, oder dass sich die Regierung weigert, haben wir ein Gremium geschaffen, das darüber entscheidet. Wir haben eine klare Regelung, dass das Bundesverfassungsgericht in einem solchen Streit das einzig richtige Verfassungsorgan ist, eine so wichtige Frage zu entscheiden, wenn die Legislative in die Rechte der Exekutive, möglicherweise in den Geschäftsbereich der Exekutive, eingreift. Das ist eine durchaus richtige und vernünftige Regelung, die uns vielleicht lange Auseinandersetzungen erspart, weil wir nach diesem Gesetz eine schnelle Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes herbeiführen können. Lassen Sie mich den letzten Punkt nennen. Wir haben eine grundsätzliche Herausgabepflicht aller Stellen und der Untersuchungsausschuss hat die Möglichkeit zu beschlagnahmen - zum Beispiel bei Thyssen, um bei einem aktuellen Fall zu bleiben -, Akten aus anderen Archiven herbeizuziehen oder sogar diese durch Beschlagnahmeanordnungen dem Untersuchungsausschuss vorlegen zu lassen. Der Untersuchungsausschuss soll das entscheiden, aber ausführen und letztlich entscheiden soll das wieder ein Richter, nämlich der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof. Das ist eine durchaus faire Entscheidung. Gerade die PDS, die gestern noch Probleme in dieser Hinsicht hatte, wird ein großes Interesse daran haben müssen, dass hier Rechte geschaffen werden, um auch bei Privaten, nicht nur bei Behörden, an Akten herankommen zu können, um sich die notwendigen Beweismittel beschaffen zu können, so wie es heute bei Staatsanwaltschaften und Gerichten der Fall ist. Ein Untersuchungsausschuss soll in seinen rechtlichen Möglichkeiten nicht schlechter gestellt werden als zum Beispiel ein Amtsgericht in Moabit oder anderswo. Ich denke, das ist ein umfassendes, ein richtiges, ein gutes Gesetz, das von der Opposition mitgetragen werden sollte, weil wir das eingelöst haben, was wir früher als Opposition zugesagt, versprochen und auf den Weg gebracht haben. Wir lassen wieder einmal unsere früheren Versprechungen als Opposition nicht rechts oder links liegen, nur weil wir jetzt eine Regierungskoalition bilden.

Lassen Sie uns das Gesetz für die nächsten Legislaturperioden des Deutschen Bundestages erlassen und das Gesetz praktizieren. Dann kann man hin und wieder überprüfen, ob sich die eine oder andere Regelung bewährt hat oder ob nachgebessert werden muss. Ich glaube, mit der Überweisung in die Ausschüsse sind wir auf dem richtigen Wege. Ich hoffe, dass wir in wenigen Wochen dieses Gesetz in zweiter und dritter Lesung verabschieden, damit der 1. Untersuchungsausschuss des 14. Deutschen Bundestages sehr bald nach diesen Regeln vorgehen kann.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)