Wahlkampf 2013

Rechenschaftsbericht zur Halbzeit

22.08.2011: Hans-Christian Ströbele berichtet mit einem BürgerInnenbrief zur "Legislatur-Halbzeit" über seine Arbeit in Bundestag und im Wahlkreis.

Liebe Bürgerinnen und Bürger,

mit diesem Brief berichte ich wie zu jeder Halbzeit der Legislaturperiode über meine politische Arbeit als Bundestagsabgeordneter Ihres Wahlkreises. Die Bundestagswahl ist fast zwei Jahre her. Sie hatten mich 2009 mit deutlicher Mehrheit von 46,8 Prozent der Erststimmen zum dritten Mal zu Ihrem Vertreter im Parlament gewählt. Für das große Vertrauen danke ich sehr.

Zu den Problemen in Berlin gehören maßlose Mieterhöhungen und als Folge davon die Verdrängung von Menschen mit geringem Einkommen. Die Bezirke können die Entwicklung nicht stoppen, aber Alarm schlagen. Der Senat hat nichts gegen steigende Mieten oder die Umnutzung von Miet- in Touristenwohnungen getan. Das kritisiere ich. Es ist ein Skandal, dass Menschen aus Sozialwohnungen wegen exorbitanter Mietsteigerungen ausziehen müssen. Der Senat hat viel zu spät und unzulänglich reagiert, um das zu verhindern. Ich habe mich für Betroffene - zum Beispiel in der Kreuzberger Kochstraße - eingesetzt. Ich habe auch versucht, Mietparteien gegen rabiate Eigentümer und Luxussanierungen beizustehen. Aber der Bundestag muss unsozialen Mieterhöhungen Grenzen setzen. Ich habe dort Änderungen des Baugesetzes und des BGB angemahnt, damit die Bezirke zum Milieuschutz Mieterhöhungen begrenzen können.

Nicht nur in Berlin bin ich viel auf Demonstrationen unterwegs - meist mit dem Fahrrad. Ich beobachte, informiere mich, diskutiere und unterstütze viele Anliegen, so etwa Demos gegen Rechtsradikale und für alternative Lebensformen und Kulturen. Zuweilen kann ich helfen zu deeskalieren. Aber es gelingt nicht immer. So war ich an den Sitzungen des Runden Tisches für die Liebigstraße 14 dabei, am Ende leider vergeblich. Das Hausprojekt wurde mit einem riesigen Polizeieinsatz geräumt, statt eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Hauptsächlich befasse ich mich im Bundestag mit Außenpolitik. Während der Sommerferien habe ich, wie angekündigt, Klage gegen die Bundesregierung beim Bundesverfassungsgericht eingereicht. Sie weigert sich grundlos und beharrlich, Auskunft über den Verkauf von 200 deutschen Panzern LEO 2A7 an Saudi-Arabien zu geben. Wie soll das Parlament kontrollieren, ob alles mit rechten Dingen zugegangenist, wenn die Regierung solche Geschäfte strikt geheim hält? Gerade in Saudi-Arabien werden die Menschenrechte systematisch und andauernd mit Füßen getreten. Schlimmer noch: Der saudische König hat dem Despoten im Nachbarland Bahrain mit Panzern geholfen, Demonstrationen blutig niederzuwalzen. Die deutsche Regierung ist unglaubwürdig, wenn sie den "arabischen Frühling" und die Revolutionen in Ägypten oder Tunesien lobt und feiert, aber gleichzeitig an die Helfer der Unterdrücker Panzer liefert. Die Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern und deren Erfolg habe ich begrüßt und immer wieder mehr zivile Unterstützung gefordert. Ich habe die militärische und polizeiliche Hilfe der letzten Jahre für die Diktaturen verurteilt und gefordert, Demokratie und Menschenrechte endlich zur Leitlinie unserer Außenpolitik zu machen. Den derzeitigen Militäreinsatz der NATO im libyschen Bürgerkrieg halte ich für falsch, viel zu sehr ausgeweitet und durch die UNO-Resolution nicht gedeckt. Mit der Beteiligung deutscher Soldaten an der Zielauswahl für die Bomben der NATO hätte der Bundestag befasst werden müssen.

Vor der Wahl habe ich gesagt, ich kandidiere auch, um mich für die Beendigung des Afghanistankrieges einzusetzen. Deshalb bin ich Mitglied im Auswärtigen Ausschuss geworden. Ich habe mich für die Aufklärung des Bombenangriffs auf Tanklaster nahe Kunduz eingesetzt, den ein Bundeswehr-Oberst im September 2009 befohlen hatte. Dabei wurden über 100 Zivilisten getötet. Im Frühjahr 2010 bin ichselber nach Afghanistan gereist. Ich habe mit Angehörigen der Opfer gesprochen, mit Bundeswehrsoldaten aller Dienstgrade, aber auch mit Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft. Seither bin ich noch mehr als zuvor davon überzeugt, dass dieser Krieg unverantwortlich und nicht zu gewinnen ist. Die Kriegslage verschlechtert sich trotz Aufstockung der NATO-Truppen von Jahr zu Jahr dramatisch. Dieses Jahr gibt es schon wieder 15 Prozent mehr Tote als im vergangenen Jahr. Notwendig sind Verhandlungen und ein Waffenstillstand. Aber dafür müssen die Militäroffensiven und die gezielten Tötungen vermeintlicher Aufständischer beendet werden. Im Plenum des Bundestages habe ich mich als Vertreter der Mehrheitsmeinung der Bevölkerung zu Wort gemeldet und das Kriegsende gefordert. In zahlreichen Anfragen an die Bundesregierung habe ich versucht, die gezielten Tötungen bzw. extralegalen Hinrichtungen durch Sonderkommandos und Drohnen aufzuklären. Inzwischen will auch USPräsident Obama den Abzug der NATO und Verhandlungen. Er hält dennoch an seiner militärischen Strategie fest. Das passt nicht zusammen. Die Bundesregierung zögert und will sich auf einen Termin fürden Truppenabzug nicht festlegen. Aber dieser Krieg darf nicht bis 2014 oder länger dauern, sonst werden ihm noch viele Tausend Menschen zum Opfer fallen. Das will ich immer wieder öffentlich und im Bundestag anmahnen. Leider gibt mir die Fraktion keine Redezeit.

Außenpolitik ist immer mehr Militärpolitik. Der Einsatz militärischer Mittel, also Krieg, ist nicht allerletztes Mittel, sondern zuweilen sogar das erste. Wie in Libyen, als die Kampfbomber von NATOStaaten unmittelbar nach dem Beschluss des UN-Sicherheitsrat starteten, ohne dass vorher ernsthaft versucht wurde, einen Waffenstillstand im Bürgerkrieg zu erreichen. Die Neuausrichtung der NATO und der Bundeswehr ist auch eine außenpolitische Frage. Wir haben in der Fraktion eine Fachtagung dazu durchgeführt. Für mich ist entscheidend: NATO und Bundeswehr dürfen nicht zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen eingesetzt werden, auch nicht zur Sicherung der Handelswege und der Energieversorgung. Die Pläne dafür aber liegen in der Schublade der NATO.

Vor der Wahl habe ich auch gesagt, dass ich mich für eine gerechte Lösung der Finanzkrise engagieren will. Ich habe deshalb die Beteiligung des Bundestags an den Entscheidungen über Milliardengarantien für deutsche Banken und EU-Länder gefordert. Es kann nicht sein, dass die Regierung allein über so viele Steuergelder entscheidet. Ich habe die Bundesregierung auch gefragt, unter welchen Bedingungen die Milliardenhilfen zur Verfügung gestellt wurden - leider, ohne eine Antwort zu erhalten. Ich meine, die EU sollte Griechenland helfen, indem dessen Schulden bei den Privatbanken zumindest teilweise gestrichen werden. Diese haben die Krise durch Risikospekulationen verschuldet und sollten jetzt auch das Risiko tragen. Die griechische Regierung trägt auch Schuld an der Misere. Dennoch sollte die Wirtschaft durch gezielte Hilfen angekurbelt werden, statt sie kaputtzusparen. Sonst gibt es keine Chance auf Besserung.

Im Bundestag bin ich auch Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste (PKG) - sogar das älteste und dienstälteste. Dessen Sitzungen sind geheim. Ich will das ändern. Auf einer USA-Reise habe ich gelernt, dass dort solche Gremien auch öffentliche Anhörungen machen. Das PKG braucht mehr Öffentlichkeit und deren Unterstützung, aber auch mehr Personal und Kompetenzen, um die deutschen Geheimdienste wirksam zu kontrollieren. Der milliardenteure Umzug des Bundesnachrichtendienstes (BND) nach Berlin ist überflüssig. Ein Sachverhalt beschäftigt mich seit langem besonders: der Fall "Curveball". Das ist der Informant des Bundesnachrichtendienstes aus dem Irak. Er hatte erzählt, Saddam Hussein besitze biologische Massenvernichtungswaffen, die in einem fahrbaren Labor auf Lastwagen produziert würden. Er selbst habe daran mitgearbeitet. Jahrelang hatte der deutsche Geheimdienst den Mann gut bezahlt und dem US-Geheimdienst CIA von seiner Erzählung berichtet. Sie diente dann der Bush-Regierung als Grund für den Krieg gegen den Irak, der Zehntausende von Menschen das Leben kostete. Diese Geschichte war frei erfunden, "Curveball" wurde im Nachhinein als Lügner enttarnt. Ich will nun klären, wer davon wusste, wie windig die Geschichte war und ob die Zweifelsgründe auch den USA mitgeteilt wurden? Wer trägt also Mitschuld an dem grausamen Krieg ohne Grund? Ein Beispiel dafür, wie unzuverlässig Geheimdienstinformationen sind.

Im Herbst 2010 hatte die CDU-FDP-Bundesregierung die Laufzeit der Atomkraftwerke verlängert. Ich habe dagegen protestiert, auf großen Demonstrationen zusammen mit Hundertausenden und im Parlament. Zunächst vergeblich. Erst nach der Katastrophe von Fukushima musste die Kanzlerin ihren großen Fehler einsehen und die Politik ins Gegenteil korrigieren. Der von Rot-Grün durchgesetzte Atomausstieg bis 2021 ist jetzt wieder in Kraft. Dagegen war ich natürlich nicht. Dennoch habe ich mich bei der Abstimmung im Bundestag enthalten. Ich wollte nach Fukushima mehr - den Ausstieg bis 2017. Die Experten sagen, das gehe ohne Probleme, die Versorgungssicherheit mit Strom sei garantiert. Alle Grünen waren ursprünglich dafür. Ich bin dabei geblieben.

Viele alltägliche Themen und Probleme bewegen die Menschen im Wahlkreis und damit auch mich: Nach wie vor leidet eine große Zahl von Betroffenen unter den Querelen mit dem Job-Center. In Einzelfällen konnte ich konkret helfen. Im Bundestag habe ich mich für die Erhöhung des ALG II auf 420 Euro, die Abschaffung von Sanktionen und für Mindestlöhne eingesetzt. In Konfliktfällen versuche ich zu vermitteln: So auch im Streit über den Umzug eines "Druckraums" für Drogenabhängige im Kiez oder bei nächtlicher Ruhestörung an der Admiralbrücke. Beim Bezirksamt Pankow habe ich mich für die Renovierung eines Schulhofs eingesetzt. Schon seit längerem unterstütze ich die Umsetzung des Bürgerentscheids zur Bebauung des Spreeufers und die ökologische Sanierung des Landwehrkanals - auch, damit alle Bäume erhalten werden. Ich engagiere mich für die Obdachlosenarbeit der Gemeinde Heilig-Kreuz-Passion und als "Botschafter" für das "Zentrum für Gesundheit und Kultur gegen Ausgrenzung und Armut" G15.

Informieren über meine politische Arbeit können Sie sich auch auf meiner Homepage, und mit mir korrespondieren können Sie über e-mail, Abgeordnetenwatch und neuerdings über mein "Gesichts-Buch" (Facebook) - nach zehn Wochen waren die 5000 Freundesplätze ausgebucht.

Am 18. September wählt Berlin das Landesparlament und die Bezirksverordnetenversammlungen. Ich selber stehe ja nicht zur Wahl, werbe aber im Wahlkampf für die Grünen, Bezirksbürgermeister Franz Schulz und die Kandidatin für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin, Renate Künast. Den direkt Kandidierenden Heidi Kosche, Dirk Behrendt, Turgut Altug, Clara Herrmann, Canan Bayram und Marianne Burkert-Eulitz aus meinem früherenWahlkampfteam helfe ich jetzt in ihrem Wahlkampf.

Herzliche Grüße,

Hans-Christian Ströbele