Für eine "echte" parlamentarische Kontrolle der Geheimdienste sowie eine Verbesserung des Informationszugangsrechts!
27.03.2009: Anlässlich der ersten Beratung des von ihm und weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Verbesserung der parlamentarischen Kontrolle der Geheimdienste sowie des Informationszugangsrechts erklärte Christian Ströbele in der 215. Plenarsitzung des Bundestages:
"Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hier sitzen eine ganze Reihe von Mitgliedern des Parlamentarischen Kontrollgremiums. (Jerzy Montag [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geheimnisträger! - Klaus Uwe Benneter [SPD]: Jetzt keine Geheimnisse!)
Wir alle haben gemeinsam in den letzten Jahren die Erfahrung gemacht, dass man alle paar Wochen - manchmal ist es auch jede Woche - von Journalisten angerufen wird. Dann heißt es: Herr Abgeordneter, da steht doch im Ticker oder in der Zeitung wieder etwas von einem neuen Skandal beim Bundesnachrichtendienst oder beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Sagen Sie doch einmal etwas dazu. - Dann erkundigt man sich und stellt fest, dass man davon noch nie etwas gehört hat und dass man sich damit im Parlamentarischen Kontrollgremium beschäftigen muss. Auch danach stellt man aber immer wieder fest, dass offenbar die Lektüre des Spiegels, der Süddeutschen Zeitung, manchmal auch der Berliner Zeitung mehr an Informationen für die Kontrolltätigkeit bringt als die mehr oder weniger langen und anstrengenden Sitzungen im Parlamentarischen Kontrollgremium. Dazu kann ich nur sagen: Damit muss Schluss sein.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der FDP und der LINKEN)
Wir machen jetzt kein Reförmchen, sondern eine Reform des Kontrollgremiumgesetzes, um diesen Zustand für die Zukunft zu ändern. Verehrte Kollegen, ich finde es hervorragend, dass Sie sich in der Koalition noch so kurz vor den Wahlen hin und wieder auf etwas einigen können. Aber angesichts dieser Gesetzentwürfe muss ich sagen: Das, was dabei herausgekommen ist, ist völlig unzulänglich und nicht einmal ein erster Schritt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Zu dem entscheidenden Problem, von bestimmten Vorgängen aus der Zeitung zu erfahren, dazu, die Bundesregierung wirklich veranlassen und zwingen zu können, uns Vorgänge von besonderer Bedeutung - das steht schon heute im Gesetz - zeitnah mitzuteilen, steht in Ihrem Gesetzentwurf null Komma nichts.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)
Darin findet sich nicht einmal der Anschein eines Vorschlages, wie man das in Zukunft ändern könnte. Wir lassen über unseren Gesetzentwurf mit uns reden, ob man nun bestimmte Regelungen so oder anders gestaltet. Aber auch Sie müssen sich in dieser Hinsicht Gedanken machen.
Ein weiterer Punkt. Wir alle leiden unter folgendem Problem: Wir als Abgeordnete haben viele Aufgaben. Die Parlamentarischen Geschäftsführer sind gleichzeitig Mitglieder des Gremiums und schauen in den Sitzungen immer auf die Uhr, wann die Sitzung endlich zu Ende ist, weil sie noch andere Termine haben. Das ist verständlich. Deshalb ist die Forderung ebenfalls verständlich, dass wir besser ausgestattet werden müssen. Es geht um das, was in allen Ausschüssen des Deutschen Bundestages selbstverständlich ist, nämlich die Unterstützung durch Mitarbeiter. Wir alle wissen: Viele Abgeordnete wären in vielen Situationen ohne die Mithilfe von sachkundigen Mitarbeitern in den Ausschüssen nur die Hälfte wert, wenn überhaupt.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Deshalb ist es dringend erforderlich, dass wir in diesem besonders wichtigen Gremium, in dem viel Material anfällt, Mitarbeiter beschäftigen können, die nicht nur - das schlagen Sie vor - Akten lesen und ein Informationsgespräch mit ihren Abgeordneten führen dürfen, sondern die, wie es auch in allen anderen Ausschüssen der Fall ist, in das Gremium mit hineingehen und dort erfahren, was die Bundesregierung berichtet, über was diskutiert wird, bei welchen Punkten man beim nächsten Mal nachbohren muss usw., und die das aufarbeiten, was in diesem Gremium besprochen wird. Auch in diesem Punkt ist Ihr Vorschlag völlig unzulänglich. Alle, die in diesem Gremium sitzen, wissen, dass wir es gar nicht mit so vielen Akten zu tun haben. Es sind ganz wenige Fälle, in denen wir uns mit Akten befassen. Im Wesentlichen geht es um mündliche Berichte, die die Bundesregierung dem Gremium erstattet. Wenn die Mitarbeiter davon nichts erfahren, dann sind sie - verzeihen Sie - kaum die Hälfte wert. Deshalb kann das so nicht enden. Wir schlagen deshalb vor, dass auch die Mitarbeiter an den Sitzungen des Gremiums teilnehmen können. Wir schlagen weiterhin vor, dass endlich ein Protokoll in diesem Gremium geführt wird.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja wohl das Wenigste!)
Heute dürfen sich die Abgeordneten nicht einmal Aufzeichnungen machen, die sie mitnehmen können, um etwas nachzuarbeiten oder sie als Erinnerungsstütze zu nutzen, in denen sie nach einem Vierteljahr, nach einem halben Jahr, nach zwei Jahren oder nach fünf Jahren nachschauen können, was damals besprochen wurde und was ihnen gesagt wurde. Null Komma nichts. Wenn man in das Sekretariat geht und fragt, ob es dort ein Protokoll über die Sitzung gibt, dann erfährt man, dass das Sekretariat nur einige Stichpunkte zu diesem Thema aufgeschrieben hat. So kann das nicht weitergehen. Gerade weil das Gremium so abgeschlossen arbeitet, muss es möglich sein, sich darüber zu informieren, wie die Situation vor zwei Monaten, vor einem Jahr oder vor zwei Jahren war und ob die Bundesregierung wirklich auf den und den Punkt hingewiesen hat, wie sie es heute behauptet. Auch in dieser Hinsicht ist Ihr Gesetzentwurf völlig unzureichend.
(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Lassen Sie mich nun auf den letzten Punkt kommen, der bei Ihnen ganz am Anfang steht; der Kollege Röttgen hat damit ja auch angefangen. Es geht darum, dass das ganze Parlament die Kontrollaufgabe wahrnimmt.
(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn, bitte?)
Unter dem ganzen Parlament verstehe ich nicht nur neun Abgeordnete. Das Parlament besteht aus mehr als 600 Abgeordneten.
(Beifall des Abg. Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Diese anderen über 600 Abgeordneten können doch nicht völlig dadurch von dieser Kontrolltätigkeit ausgeschlossen werden, dass sie überhaupt keine Informationen bekommen, auch wenn sie beispielsweise im Rechtsausschuss, im Innenausschuss, im Verteidigungsausschuss oder wo auch immer sitzen, wo ähnliche Themen angetippt werden. Ihr Gesetzentwurf sieht in § 1 eine Regelung vor - ich hoffe, das ist nicht beabsichtigt -, die die Beschäftigung anderer Abgeordneter und vor allen Dingen anderer Ausschüsse mit den Themen, die im Parlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden, geradezu ausschließt."
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: "Herr Kollege Ströbele."
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
"Das halten wir nicht für richtig. Der Passus muss gestrichen werden. Damit ist Ihr Gesetzentwurf auf gar keinen Fall praktikabel. Ich mache Ihnen einen einfachen Vorschlag: Unser Gesetzentwurf war eher da. Das ergibt sich aus der Drucksachennummer."
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: "Herr Kollege Ströbele."
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
"Er ist besser, er ist besser ausgearbeitet, und er kann sich sehen lassen. Mit ihm würden wir unsere Probleme wirklich in den Griff bekommen. Deshalb: Stimmen Sie ihm zu!"
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Weitere Informationen zur Reform der Geheimdienst-Kontrolle
Der Gesetzentwurf ist in Kürze zu finden auf den Seiten des Bundestages als Drucksache 16/12189 oder kann vom Bundestagsbüro angeordert werden