Wahlkampf 2013

"Nein zum Militäreinsatz ATALANTA !"

19.12.2008: Erklärung zum Abstimmungsverhalten nach § 31 der Geschäftsordnung des Bundestages von Hans-Christian Ströbele, Winfried Hermann und anderen bündnisgrünen Abgeordneten.

Erklärung nach § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zu dem Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation ATALANTA zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008 (BT-Drs. 16/11337)

1. Wir sehen einen Einsatz der Bundeswehr keineswegs als letztes äußerstes Mittel. Andere Möglichkeiten wurden nicht ausgeschöpft.

Die Angriffe der Piraten auf Handels- und Passagierschiffe vor der Küste Somalias sind schwerste Straftaten und sie verursachen größte Schäden. Deshalb ist es richtig und notwendig, dagegen vorzugehen. Solche Angriffe müssen verhindert und die Piraten sowie ihre Hintermänner müssen verfolgt und rechtsstaatlich zur Verantwortung gezogen werden. Dies ist in erster Linie die Aufgabe Somalias. In weiten Teilen Somalias gibt es aber keine staatliche Gewalt und Rechtsordnung, keine Polizei und keine Justiz. Deshalb und auch weil die Unterstützung gegen Angriffe von Piraten auf hoher See ohnehin zu den Verpflichtungen internationalen Seerechts gehört, sollten auch die Nachbarländer und die Staatengemeinschaft sich am Kampf gegen die Piraterie beteiligen.

Die Resolutionen des VN-Sicherheitsrats "ermutigen" die Staaten, geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung der Piraterie zu ergreifen bzw. diese zu verstärken. Das heißt aber nicht, dass die Bekämpfung mit Militär erfolgen muß. Und schon gar nicht, dass auf eine militärische Lösung gesetzt wird, bevor alle anderen Möglichkeiten und Mittel ausgeschöpft wurden. Diplomatische und politische Mittel wurden keineswegs ausgeschöpft, um Somalia selbst in die Lage zu versetzen, staatliche Strukturen aufzubauen und den Piraten im Land die Basis zu entziehen und auf dem Meer vor der Küste zu bekämpfen.

Verhandlungsmöglichkeiten etwa unter Einbeziehung von Stammesführern und gemäßigten Vertretern "islamischer Gerichtshöfe" wurden nicht mit dem notwendigen Nachdruck genutzt und vorangetrieben und die Umsetzung bereits erzielten Vereinbarungen nicht genügend unterstützt, um den Bürgerkrieg in Somalia zu beenden. Äthiopische Invasionstruppen stehen nach wie vor im Land und werden von den USA unterstützt. Damit bleiben die Bedingungen für das Entstehen und Anwachsen der Piraterie erhalten. Auch wurden bisher nicht alle andere Möglichkeiten der Gewährung von Schutz vor Piraterie und deren Bekämpfung von den Nachbarstaaten aus genutzt.

2. Wir fürchten, dass der Einsatz auch der Bundeswehr nicht auf das Seegebiet beschränkt bleibt, sondern auch auf Land ausgeweitet wird und die Bundeswehr dann in den Bürgerkrieg in Somalia verwickelt wird.

Eine solche Verwicklung europäischen Militärs in Somalia würde zu einer weiteren Eskalation der Gewalt und Zerstörung im Land führen.

War die Ausdehnung des Einsatzes auch auf das Land bisher nur eine weitgehend abstrakte Befürchtung, ist sie jetzt durch die neue Resolution der UN sehr real und konkret geworden. Die erweiterte Resolution 1851 des VN-SR vom 16.12.2008 erlaubt anderen Ländern nun ausdrücklich, mit Genehmigung der "Provisorischen Regierung" Somalias auch an Land und im somalischen Luftraum gegen die Piraten vorzugehen.

Der Antrag der Bundesregierung beschränkt zwar den Bundeswehreinsatz auf die See. Aber auf Dauer wird dies kaum durchzuhalten sein, wenn mit der Bundeswehr verbundene Einheiten anderer, nicht nur europäischer Staaten auch an Land gegen die Piraten vorgehen. Das Beispiel der kombinierten und parallelen Einsätze im Süden und Osten Afghanistans machen das Problem deutlich. Außerdem enthält dieser Antrag der Bundesregierung offene Formulierungen wie die, dass "Grundlage" des Bundeswehreinsatzes neben verabschiedeten Resolutionen des VN-Sicherheitsrates auch "nachfolgende Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen" sind. Es besteht das Risiko, dass daraus abgeleitet werden, die Bundeswehr könne auch an Land tätig werden.

Die Aussagen der Bundesregierung zur Begrenzung des Einsatzes auf die See sind auch wenig glaubwürdig, weil ein politisches Konzept zur Befriedung der Region auch nicht in Ansätzen erkennbar ist, so dass der innere und äußere Druck zur Ausweitung der Mission ansteigen wird.

3. Wir sind dagegen, Kampfeinsätze der Bundeswehr auf immer mehr Aufgabenbereiche auszudehnen.

Geht es diesmal um die Sicherung von Handelswegen, könnte es in Zukunft Einsätze zur Sicherung von Ressourcen wie Öl oder andere Rohstoffe sein, um schwere Schäden für die deutsche oder andere Volkswirtschaften zu verhindern.

4. Die rechtlichen Grundlagen für den Umgang, die Behandlung von festgenommenen oder festgehaltenen Tatverdächtigen und Gerichtsverfahren gegen diese sind nach wie vor nicht zweifelsfrei geklärt.

Eingriffe deutscher Hoheitsträger in die persönliche Freiheit von Personen dürfen nach dem Grundgesetz nur aufgrund eines ausdrücklichen deutschen Gesetzes erfolgen. Die Aussage des Bundesjustizministeriums, die fehlende Rechtsgrundlage ersatzweise "unmittelbar dem Völkerrecht" entnehmen zu können, ist fragwürdig.

Die Übergabe von Personen an Staaten, in denen Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit nicht gesichert sind, ist nicht akzeptabel.

Aus diesen politischen und rechtlichen Gründen stimmen wir dem Antrag und dem Mandat nicht zu.

Christian Ströbele,

Winfried Hermann,

Bettina Herlizius,

Peter Hettlich,

Anton Hofreiter,

Sylvia Kotting-Uhl,

Monika Lazar,

Irmingard Schewe-Gerigk,

Wolfgang Strengmann-Kuhn und

Harald Terpe