"Anklage wegen Mordes" - Interview mit der Frakfurter Rundschau
20.01.2009: Christian Ströbele im Gespräch mit Redakteur Arno Widmann über die Möglichkeiten, George W. Bush vor den Internationalen Gerichtshof zu stellen.
Widmann: "Herr Ströbele, muss der Präsident der USA, George W. Bush, nicht vor den Internationalen Gerichtshof?"
Ströbele: "Ich bin dafür, dass diese Frage jetzt in der Öffentlichkeit gestellt wird, bevor der ehemalige Präsident der Vereinigten Staaten, Bush, sich zu Vorträgen auf Weltreisen begibt, und dabei müssen dann die Möglichkeiten erörtert werden. Die sind zum Teil realistisch, zum Teil sind sie juristisch schwierig."
Widmann: "Über zwei Punkte könnte man sich doch schnell einig werden: Folter und Angriffskrieg."
Ströbele: "Genau so ist es. Der noch heute amtierende US-Präsident Bush ist zentral verantwortlich für den völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Irak. Angriffskriege, schon ihre Vorbereitung, sind sanktioniert, nicht nur etwa im Grundgesetz oder im Deutschen Strafgesetzbuch, also auch mit Strafe bedroht, sondern auch international. Das heißt, durch internationale Regeln, insbesondere auch die Regeln, die für den internationalen Strafgerichtshof in Den Haag gelten. Man darf nicht vergessen, bei diesem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg sind ja vermutlich Hunderttausende gestorben. Iraker, aber auch sehr viele US-Soldaten, und deshalb besteht auch eine direkte Verantwortlichkeit für die Tötung von Menschen. Das kann vor Gerichten in den USA, das könnte sogar vor Gerichten in Deutschland und das kann auch vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verhandelt werden. Genauso gibt es den Vorwurf der Beteiligung an der Folter, an der Anwendung von Folter. Der Noch-Präsident Bush hat mehrfach erklärt, dass die, so wurde das genannt, außergewöhnlichen Vernehmungsmethoden, die durch die US-Militärs und die CIA angewandt worden sind, dass die von ihm nicht nur gedeckt und gebilligt wurden, sondern in seiner Administration geradezu erdacht worden sind."
Widmann: "Wer kann einen Antrag stellen?"
Ströbele: "Beim Internationalen Strafgerichtshof gibt es die Zuständigkeit des Chefanklägers. Der kann selber ein Verfahren einleiten, wenn ihm ein Sachverhalt angezeigt wird. Das ist bereits geschehen, durch mehrere Personen, unter anderem durch den ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Todenhöfer. Ich weiß nicht, ob der Chefankläger schon etwas veranlasst hat, ob er etwas veranlassen wird. Diese Zuständigkeit ist schwierig, weil die USA ja die Zuständigkeit dieses Gerichtshofes für die USA und für US-Angehörige nicht nur abgelehnt haben - sie haben das Abkommen nicht ratifiziert -, sondern sie haben sich sogar vorbehalten, dass, wenn ein Amerikaner dort vor Gericht gestellt wird, sie sogar militärisch intervenieren können."
Widmann: "Auch vor deutschen Gerichten kann darüber verhandelt werden?"
Ströbele: "Ja. Hier könnte ein Verfahren eingeleitet werden. Die Bundesanwaltschaft kann dieses Verfahren führen. Die Bundesanwaltschaft und die Staatsanwaltschaft haben allerdings auch die Möglichkeit, eine Einstellung des Verfahrens anzuordnen, wenn sie der Auffassung sind, dass kein Deutscher als Täter in Betracht kommt oder kein Deutscher als Opfer in Betracht kommt, die Sache mit Deutschland also nichts zu tun hat."
Widmann: "Und die von der damaligen rotgrünen Bundesregierung gewährten Überflugrechte würden dabei keine Rolle spielen?"
Ströbele: "Wohl eher nicht. Das ist ja allenfalls eine mittelbare Beteiligung, das schafft auch nicht die direkte Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofes."
Widmann: "Nehmen wir an, es käme zu einem Verfahren an anderer Stelle gegen Bush.Wäre dann nicht ein Verfahren wegen Beihilfe zu der Herbeiführung eines Angriffkrieges möglich?"
Ströbele: "Das wird immer wieder gefordert. Ob die juristischen Voraussetzungen da gegeben sind, ist fraglich. Die damalige Bundesregierung war bekanntlich gegen den Krieg und hat viel getan, um ihn zu verhindern. Auch ist offen, ob sie damals wusste, dass Kriegsgründe und Rechtfertigung des Krieges eine Lüge waren."
Widmann: "Das sagen Sie jetzt nicht, weil damals Rot-Grün regierte?"
Ströbele: "Nein. Die Zustimmung zu diesen Überflugrechten war ja parteiübergreifend damals. Außer der "Linken" und mir haben nur wenige Einwände erhoben. Allerdings ist das immer wieder problematisiert worden, unter anderem auch von mir. Aber eine dritte Möglichkeit ist die juristisch wahrscheinlichste: Dass nämlich der US-Präsident in den Vereinigten Staaten vor Gericht gestellt wird. Da gibt es ja durchaus Druck. Eine Reihe von Strafanzeigen wurde gestellt. Zum Beispiel hat Vincent Bugliosi, ein berühmter Staatsanwalt in Kalifornien, auch einen Bestseller dazu geschrieben: "Anklage wegen Mordes gegen George W. Bush" (auf deutsch bei dtv). Jeder Staatsanwalt der USA kann ein solches Verfahren einleiten. Hinzu kommt, dass, wenigstens was den Folter-Vorwurf angeht, Barack Obama und sein Vizepräsident immer wieder betont haben, dass sie sich nicht einmischen werden, also kein Amnestie-Gesetz einbringen werden, falls George W. Bush der Prozess gemacht werden sollte."
Widmann: "Aber ist nicht auch die internationale Gerichtsbarkeit gefordert? Egal wie schwierig das ist, macht es das internationale Rechtssystem nicht unglaubwürdig, wenn man die Hinterhof-Diktatoren vor Gericht stellt und die Präsidenten der Großmächte verschont?"
Ströbele: "Sicher, es darf nicht so sein, dass schwerste Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder gegen das Völkerstrafrecht nur verfolgt werden bei politisch Verantwortlichen aus europäischen Kleinstaaten oder bei ehemaligen Potentaten Afrikas. Auch vor dem internationalen Recht, vor dem Völkerrecht müssen alle gleich sein. Ob jemand verfolgt wird, kann nicht davon abhängen, ob es sich um eine Weltmacht handelt oder um einen kleinen Staat."
(Interview: Arno Widmann)