Bundeswehr beteiligt sich wissentlich an gezielten Tötungen in Afghanistan
15.09.2010: Eine kleine Anfrage zur Informationspolitik im Afghanistan-Einsatz an die Bundesregierung hat nun Ströbeles Verdacht bestätigt.
Die Bundesregierung hat nun eingeräumt, dass die in Afghanistan eingesetzte deutsche Spezialeinheit Task Force 47 (TF 47) seit dem Jahr 2007 an Operationen beteiligt ist, bei denen bislang mehr als 50 Zielpersonen festgenommen wurden. Dabei seien bei wiederholten taktischen Überflügen zur Abschreckung auch zweimal Bomben ("Wirkmittel gegen Ziele am Boden") abgeworfen worden, schreibt der Staatssekretär des Bundesverteidigungsministeriums, Thomas Kossendey (CDU), in einer jetzt zugestellten Antwort der Bundesregierung auf eine entsprechende Anfrage der Grünen im Bundestag anlässlich der Veröffentlichungen in ‚wikileaks‘ (BT-Drs. 17/2757, 17/2884).
Ferner gesteht die Regierung ein, auch den unter einem Sonderkommando stehenden US-Spezialkräften Zielpersonen namentlich bekannt zu geben, die daraufhin von den Amerikanern unter "Einsatz tödlich wirkender Gewalt" gejagt werden. Die US-Taskforce 373 agiert völlig autark; die Deutschen wissen also nicht, wie diese ihre Informationen nutzt. Grundsätzlich steht die Bundeswehr in Afghanistan jedoch unter dem Nato-geführten Befehl der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (ISAF).
"Aufklärungsergebnisse deutscher Kräfte tragen im Rahmen des ISAF-targeting zur Auswahl potenzieller militärischer Ziele und zu deren Identifizierung bei." An der Informationsgewinnung, Planung und Durchführung anderer, nationaler Operationen wie jenen der USA "ist die Bundesregierung nicht unmittelbar beteiligt", räumt Kossendey ein. Es sei deshalb nicht auszuschließen, dass Erkenntnisse der Bundeswehr "bei Operationen gegen Zielpersonen in Afghanistan, die nicht unter der ISAF-Kommandostruktur durchgeführt werden, herangezogen werden". Obwohl die Regierung also damit rechnen muss, dass die USA in der Tat für ihre gezielten Tötungen auch Bundeswehr-Erkenntnisse nutzt, beruft sich Kossendey auf eine formelle Trennung der Aufgabenbereiche: Eine offizielle Zusammenarbeit der deutschen bis zu 120 Spezialsoldaten der TF 47 und den Spezialeinheiten unter nationaler Führung der USA finde aber nicht statt. Über deren Einsätze erfahre die Bundeswehr keine Details. "Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr in Afghanistan waren weder an der Vorbereitung und Planung noch an der Durchführung von national durch die USA geführten Operationen beteiligt." Mindestens zwei der 15 von Deutschen bisher benannten Zielpersonen seien durch US- und afghanische Soldaten getötet worden.
Hans-Christian Ströbele dazu: "Damit beteiligt sich die Bundeswehr an den targeting-Operationen der US-Streitkräfte und wissentlich an deren gezielten Tötungen. Ich halte diese Praxis für einen Verstoß gegen Grundgesetz, Völkerrecht und die Menschenrechtskonvention."
Die Antwort der Bundesregierung kann im Büro Ströbele angefordert werden.