Mündliche Frage: Kunduz - Beteiligung des Generals Volker Wieker
27.01.2010: Beteiligung des Generals Volker Wieker als Chef des ISAF-Stabs an der Bewertung des Luftangriffs bei Kunduz in Afghanistan vom 4. September 2009
Frage:
In welcher Weise war der neue Generalinspekteur der Bundeswehr, General Volker Wieker, in seiner vorherigen Funktion als Chef des ISAF-Stabes im ISAF-Hauptquartier in Kabul an der Sachverhaltsfeststellung sowie Bewertung der Bombardierung einer Menschenmenge in Kundus/Afghanistan am 4. September 2009 beteiligt, so wie dies etwa Ausdruck fand in den kritischen Äußerungen seines damaligen Vorgesetzten Stanley McChrystal oder dem erstellten ISAF-Untersuchungsbericht, und wann teilte General Volker Wieker möglicherweise seine diesbezüglichen Feststellungen und Wertungen erstmals Vertretern der Bundesregierung mit?
Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:
Sie fragen nach der Tätigkeit von General Wieker in Kabul als Chef des Stabes ISAF, also als der Stabschef des Kommandeurs General McChrystal. Er hat diesen Dienst am 6. Oktober 2009 angetreten. Herr Kollege, Sie mögen schon daraus schließen, dass eine Befassung mit den Vorfällen vom 4. September 2009 zeitlich unmittelbar nicht stattgefunden hat. General McChrystal hatte zwei Untersuchungsgruppen eingesetzt, deren Selbstständigkeit in der Ermittlung er sehr strikt bedacht und betrachtet hat, nämlich das Initial Action Team, das den ursprünglichen Bericht geschrieben hat, und das Joint Investigation Board, die beide ausschließlich mit der Ermittlung des Sachverhaltes beschäftigt waren. Daher kann ich Ihre Frage, ob General Wieker in seiner Funktion bei ISAF an Sachverhaltsdarstellungen oder Wertungen beteiligt war, mit Nein beantworten.
Ströbele: Herr Staatssekretär, Sie weisen darauf hin, dass er im Hauptquartier von General McChrystal war. General McChrystal hat sich in einem sehr frühen Stadium, wenn ich mich richtig erinnere, schon am 5. September 2009, also sehr zeitnah zum 4. September, auch in der Öffentlichkeit sehr kritisch geäußert, unter anderem anlässlich seines Besuchs eines Krankenhauses in Kunduz, wo er einige Verletzte besucht hat. Nun kam Herr General Wieker im Oktober 2009 dazu. Ich vermute, dass dann auch über die kritische Haltung seines Vorgesetzten zu diesem deutschen Einsatz gesprochen wurde. Können Sie das bestätigen? In welcher Weise hat der deutsche General das dann an die deutsche Bundesregierung weitergegeben?
Schmidt: Herr Kollege Ströbele, Sie gestatten, dass ich das jetzt etwas bildhaft mache. Die militärischen Verhaltensweisen gerade in internationalen Stäben zeichnen sich nicht dadurch aus, dass da einer kommt und sagt: "Hallo, ich bin der Neue. Sag einmal, was hast du eigentlich vor drei Wochen hier gesagt?" - Das ist nicht üblich. Deswegen kann ich nur unterstreichen, dass das kein Thema war. Ich möchte das mit einem anderen Hinweis ergänzen. Der damalige Generalinspekteur, General Schneiderhan, hatte in dieser Funktion einige Tage nach dem 4. September 2009, nach dem Vorfall, eine Reise nach Afghanistan unternommen. Da war bereits das Joint Investigation Board unter der Leitung eines kanadischen Generals von General McChrystal eingesetzt. General Schneiderhan berichtete von einem zufälligen Zusammentreffen mit ihm auf dem Gang - offensichtlich haben sich da zwei Raucher getroffen - und einem deutlichen Hinweis von General McChrystal, man möge jede Kontaktaufnahme und jegliche Gespräche bitte unterlassen. Das war also sehr strikt.
Ich denke - das ist eine Vermutung; das ist keine Kenntnis, die ich durch Befragung gewonnen habe -, dass sich auch General Wieker seinem Chef gegenüber entsprechend verhalten hat. An einer Stelle habe ich allerdings nicht vermutet, sondern befragt: Herr General Wieker hat zu diesem Thema keine Beiträge geliefert.
Ströbele: Eine zweite Zusatzfrage, Frau Präsidentin, wenn Sie gestatten. - Mir leuchtet Ihre Argumentation nicht ganz ein. Es handelte sich ja nicht um irgendeinen Stabswechsel, dass jemand dorthin kommt und Hallo sagt, wie Sie es gerade zu bagatellisieren versuchten, sondern es kommt ein deutscher General in einen Kommandostab. Der Chef dieses Kommandostabs hat vor ein paar Wochen einen deutschen Einsatz getadelt - das hat er vorher noch nie getan; jedenfalls ist das mir und der Öffentlichkeit nicht bekannt -, dass dieser nicht seinen Befehlen entsprochen habe, dass seine Befehle also missachtet worden seien. In dieser Situation kommt der neue deutsche General dorthin. Dass darüber nicht gesprochen worden ist, ist für mich schwer nachvollziehbar. Haben Sie das mit dem deutschen General erörtert?
Schmidt: Ich habe nicht mit ihm erörtert, ob das für Sie schwer nachvollziehbar ist oder nicht. Ich habe mit ihm erörtert, dass es so ist.