Wahlkampf 2013

Mündliche Frage: Was wusste die Bundesregierung vom Kunduz-Angriff

02.12.2009: Kenntnis und Informationspolitik zum Luftangriff bei Kunduz in Afghanistan

Frage:

Inwieweit treffen Medienberichte zu (unter anderem Stuttgarter Nachrichten, 7. November 2009), wonach am 3. September 2009 in Afghanistan Oberst Georg Klein im Bundeswehrstandort Kunduz - "Red Baron 20" - den Piloten eines US-Kampfflugzeugs - "Dude" - anwies, außer auf zwei Tanklastzüge dort auch auf umstehende Personen zu feuern, und inwiefern trifft ferner zu (unter anderem Kölnische Rundschau, 4. November 2009, Der Spiegel, 21. September 2009), dass dieser Pilot vor dem Bombenabwurf fünfmal vergeblich vorschlug, zuvor die Personen am Boden mit Zeigen von Stärke zu warnen, zumal wichtige Einsatzregeln - ISAFHauptquartier umgangen, keine Bodentruppen an Tankern und keine Gefahr im Verzug - nicht eingehalten worden seien? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung:

Herr Kollege Ströbele, Sie haben Medienberichte genannt, die auf Details der Umstände der Angriffe auf die Tanklastzüge und des Bombenabwurfs hinweisen. Diese Medienberichte sind dem Bundesministerium der Verteidigung natürlich zur Kenntnis gelangt. Der Vorgang, den Sie explizit angesprochen haben, wird derzeit von der Bundesanwaltschaft bearbeitet. Sie prüft, ob eine Straftat nach dem Völkerstrafgesetzbuch vorliegt. Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Ich möchte dem Ergebnis der Prüfung, also nicht unserer internen Prüfung, sondern der maßgeblichen Prüfung der Bundesanwaltschaft, nicht vorgreifen. Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir dies so strikt halten wollen. Die Bundesanwaltschaft ist bereits mit allen Informationen, die uns zur Verfügung stehen und die sich in den letzten Tagen ergeben haben, versorgt worden.

Ströbele:

Herr Staatssekretär, ich muss an mich halten, um nicht aus der Haut zu fahren. Wollen Sie damit sagen, dass die Bundesanwaltschaft so etwas wie eine Art Hilfsbeamter des Bundesverteidigungsministeriums ist? Ich habe letzte Woche eine klare Frage gestellt. Diese Pressemeldungen sind vom 21. des vergangenen Monats, die Pressemeldung aus dem Spiegel ist sogar vom 21. September. Es müsste Ihrem Hause und Ihnen - ich spreche Sie ganz persönlich an - doch in den Zeiträumen seit letzter Woche, seit dem 21. September bzw. dem 21. November bis heute möglich gewesen sein, sich die Protokolle bzw. die Tonbandaufzeichnungen über den Funkverkehr zwischen dem Oberst Klein und dem Piloten durchzulesen bzw. anzuhören; das dauert vielleicht eine halbe oder eine ganze Stunde. Sie müssten doch meine Frage beantworten können- ich frage ja nicht nach dem ganzen Sachverhalt -, ob an der skandalösen Behauptung etwas dran ist, dass ein deutscher Oberst einem amerikanischen Piloten die Anweisung gibt, nicht nur auf Tanklastwagen Bomben zu werfen, sondern auch auf sich dazwischen befindliche Personen. Das müsste doch in Ihrem eigenen Interesse, im Interesse des Verteidigungsministeriums und im Interesse der gesamten Bundesregierung zu klären sein. Sie müssten mir doch sagen können, ob das stimmt oder nicht stimmt. Dazu müssten Sie nur das Protokoll lesen. Vielleicht können Sie auch den Oberst fragen, ob er so etwas gesagt hat und wie er dazu kommt. Aber dazu brauchen Sie keine umfangreichen Ermittlungen und schon gar nicht die Bundesanwaltschaft. Noch einmal ganz dringlich die Frage an Sie: Ist an diesen Berichten etwas dran, oder ist nichts daran, ist es also ein Fantasieprodukt? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Herr Präsident, wenn Sie mir gestatten, möchte ich dem Kollegen Ströbele empfehlen, in seiner Haut zu bleiben.

Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse: Vor allem im Sakko.

Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Eine ruhige und nüchterne Bewertung muss auch in solch aufgeregten Situationen möglich sein. Kollege Ströbele, ich darf Sie auf unsere gemeinsame Profession, die des Rechtsanwaltes, hinweisen. Bei Sachvorträgen und Berichten, die vielleicht auch widersprüchlich sind, gilt das Prinzip: audiatur et altera pars. (Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es gibt ein Dokument, das Sie sich nur angucken müssen!)- Wenn das einer ermittelnden Behörde, in diesem Falle der Bundesanwaltschaft, vorliegt und ich mich an die Stelle der ermittelnden Bundesanwaltschaft setzen würde, indem ich nicht allein die Tatsache, ob es diese Berichte gibt, sondern auch, ob sie zutreffen und wie daraus eine Rechtsfolgenbewertung zu machen ist, darlegen würde, dann würde ich mich in meiner Funktion verheben. Das würde in den Bereich gehen, den Grundsatz der Gewaltenteilung hintanzustellen.- Das mag Sie nicht befriedigen; aber ich denke, es ist der richtige Weg, hier so vorzugehen. Ich kann Ihnen nicht nachrichtlich sagen, wann sich die Bundesanwaltschaft, geschweige denn wie, zu dem Vorhalt einlässt. Dass die entsprechenden Berichte und Informationen der Bundesanwaltschaft zur Verfügung gestellt worden sind, ist der Fall. Ich kann Ihnen persönlich nicht sagen, ob die Medienberichte zutreffen oder nicht.

Ströbele: Herr Staatssekretär, wollen Sie damit allen Ernstes die Behauptung aufstellen, dass ich mich als Abgeordneter des Deutschen Bundestages und sich auch die anderen Kolleginnen und Kollegen, also der ganze Bundestag als Institution, so lange nicht mit einem Sachverhalt beschäftigen können und dürfen, solange er bei einem Gerichtsorgan, bei der Bundesanwaltschaft oder der Staatsanwaltschaft anhängig ist? Ich kann Ihnen sagen: Dann hätten wir uns mehrere Untersuchungsausschüsse sparen können, die sich sehr intensiv mit Sachverhalten beschäftigt haben, die gleichzeitig von der Justiz bearbeitet worden sind. Wieso weichen Sie gerade in diesem Fall der Frage aus mit der Begründung, dass sich die Bundesregierung aufgrund eines einzigen Dokumentes, das Sie wahrscheinlich in einer halben Stunde durchlesen können, keine eigene Meinung bildet? Sie könnten doch sagen: "Das steht da drin" oder "Das steht nicht da drin"? Hat ein solches Gespräch stattgefunden, in dem ein deutscher Oberst einem amerikanischen Piloten gesagt hat: "Wirf Bomben zwischen die Tanklastwagen", wo sich eine ganze Reihe von Menschen aufgehalten hat? Ja oder Nein?

Schmidt: Mit dem nochmaligen Versuch der Präzision weise ich in aller Deutlichkeit zurück, Kollege Ströbele, dass ich dem Bundestag oder Ihnen eine Bewertung nicht zugestehe. Aber Sie müssen bitte auch mir zugestehen, dass ich mich gerade im Hinblick darauf, dass dieser Vorgang nicht nur für den von Ihnen angesprochenen Befehlsgeber rechtliche Konsequenzen haben kann, dem Prinzip der Zurückhaltung, nur das zu sagen, was ich weiß, verpflichtet fühle. Dass es diesen Bericht gibt, weiß ich. Ich will noch einmal sehr deutlich sagen: Dieser Bericht liegt vor. Die Qualität des Berichts wird gegenwärtig von der Bundesanwaltschaft bewertet. Wenn die Bewertung vorliegt, werden wir hören, wie das rechtlich zu verstehen ist.