Wahlkampf 2013

Mündliche Frage: Kriterien für den Einsatz von Scharfschützen der Bundeswehr gegen Zielpersonen in Afghanistan

18.03.2011: Scharfschützen der Bundeswehr töten in Afghanistan Zielpersonen aus dem Hinterhalt nach oft langem getarnten Warten aus mehreren hundert Metern Entfernung. Dabei ist nicht klar, nach welchen Kriterien diese Zielpersonen ausgewählt werden.

Nach welchen Kriterien, bezugnehmend auf meine Mündlichen Fragen auf Bundestagsdrucksache 17/ 4812 und 17/5015 (vgl. Plenarprotokoll 17/92 und 17/95), wählen Bundeswehr-Scharfschützen in Afghanistan Zielpersonen aus, die sie aus dem Hinterhalt nach oft langem getarnten Warten aus mehreren hundert Metern Entfernung militärisch bekämpfen, also töten, auch wenn diese nicht "unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligt" sind, sondern sich auf Wegen oder Feldern bewegen und nichtsahnend ungedeckt ins freie Schussfeld treten, und wenn somit eine vom Scharfschützen nur durchs Fernglas aktuell beobachtete unmittelbare Beteiligung der einzelnen Personen an Feindseligkeiten als Auswahlkriterium faktisch entfällt, nach welchen sonstigen Kriterien, Fotos, Beschreibungen o. Ä. erkennen die Scharfschützen "ihre Zielperson" sonst und schließen versehentlichen tödlichen militärischen Einsatz gegen nicht unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligte also unbeteiligte, harmlose Zivilpersonen wirkungsvoll aus?

Antwort durch

Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Vielen Dank, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ströbele, die Entscheidung zur Bekämpfung eines legitimen militärischen Ziels ist nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls zu bewerten. Ausgangspunkt ist dabei regelmäßig die Beurteilung, ob es sich um eine Person handelt, die sich unmittelbar an Feindseligkeiten beteiligt. Zur Vermeidung der Gefährdung von unbeteiligten Zivilpersonen muss dies vor der Anwendung militärischer Gewalt durch entsprechende Beobachtungen sichergestellt sein. Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan stehen keine Befugnisse zur Anwendung militärischer Gewalt zu, die über die Befugnisse der anderen Kräfte des deutschen Einsatzkontingents ISAF hinausgehen. Auf der Grundlage der völkerrechtlichen Ermächtigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen und des Mandates des Deutschen Bundestages gelten das internationale operative ISAF-Regelwerk und auch die Taschenkarte für den deutschen Anteil an ISAF. Vizepräsidentin Petra Pau: Ihre erste Nachfrage, bitte. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Herr Staatssekretär, das ist die graue Theorie. Ich bedanke mich zunächst einmal bei Ihnen - das ist ja die dritte Frage, die ich zu diesem Thema gestellt habe -, dass Sie mir jetzt noch einmal schriftlich beantwortet haben, wie viele Scharfschützen die Bundeswehr in den letzten Jahren bis heute in Afghanistan eingesetzt hat. Ich habe zur Kenntnis genommen, dass sich die Anzahl von 2008 bis 2010 verdreifacht hat. Dadurch wird diese Anfrage, die ich hier jetzt noch einmal gestellt habe, besonders dringlich. Sie wissen - darauf habe ich mich ja bezogen -, dass der Stern von einem Scharfschützen berichtet hat, der in Afghanistan eingesetzt ist, und er hat auch darüber berichtet, dass noch mehrere solcher Scharfschützen mit einem solchen Auftrag dort sind. Der Auftrag soll darin bestehen, dass sich der Scharfschütze an einer Durchgangsstraße postiert und möglicherweise ein bis zwei Tage im Gras liegt und wartet, bis ein vermutlicher, feindlicher Kämpfer auftaucht, um ihn dann aus großer Entfernung - 800 Meter oder ähnlich weit entfernt - zu bekämpfen, das heißt, zu erschießen. Alle meine Fragen zielen darauf hin: Nach welchen Kriterien entscheiden Scharfschützen - nicht allgemein; das könnte ich auch nachlesen -, wenn sie alleine dort warten, sich also nicht in einer Kampfhandlung befinden- sie warten dort, bis jemand kommt -, ob es sich bei der Person, die sie an bzw. auf der Straße sehen - meinetwegen einen jungen Mann, der sich vielleicht an der Straße zu schaffen macht -, um eine Person handelt, gegen die sie militärisch, das heißt, durch Töten, vorgehen? Ich habe besonderen Anlass zu dieser Frage: Ich habe den Spiegel von dieser Woche gelesen, dessen Lektüre ich Ihnen dringend empfehlen kann. Er enthält einen längeren Artikel über US-amerikanische NATO-Soldaten, die sich geradezu einen Spaß daraus gemacht haben, dort Unschuldige, also Nichtkämpfer, zu töten und sich anschließend, indem sie die Köpfe der Getöteten hochhalten, als Trophäenjäger zu präsentieren. Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Wie kann man ausschließen, dass durch diese Scharfschützen auch Unschuldige getroffen werden, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Sehr geehrter Kollege Ströbele, diesen Spiegel-Artikel haben sicherlich viele Kollegen im Haus gelesen. Wir alle teilen die Abscheu gegenüber dem, was an völlig inakzeptablen und auch rechtlich in keiner Weise zu rechtfertigenden menschenverachtenden Handlungen dort stattgefunden hat. Wenn ich richtig informiert bin, bezieht sich der Artikel auf ein Gerichtsverfahren gegen weiß, hat sich die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bereits entschuldigt und davon distanziert. Ob schon eine Verurteilung erfolgt ist, ist mir nicht bekannt. Im Zusammenhang mit der Frage der Völkerrechtsmäßigkeit von militärischen Handlungen, die Sie angesprochen haben, gehe ich davon aus, dass wir sehr scharf zwischen Angelegenheiten trennen müssen, die die amerikanische Armee innerhalb ihrer Verantwortlichkeiten zu behandeln hat, und dem nach Recht und Gesetz abgesicherten Verhalten von Soldaten der Bundeswehr. Falls hier ein Zusammenhang hergestellt werden sollte, würde ich ihn in aller Schärfe zurückweisen. Die von Ihnen gestellte Frage hat auch damit zu tun, inwieweit man das Völkerrecht in extenso nutzt. Das Völkerrecht sieht vor, dass bei einer direkten Beteiligung an Feindseligkeiten eine Person, die aufgrund ihrer Rolle und Funktion bei den gegnerischen Kräften dauerhaft an den Feindseligkeiten beteiligt ist - das ist mit "continuous combat function" gemeint -, auch außerhalb der Teilnahme an konkreten Feindseligkeiten ein legitimes militärisches Ziel ist. Landläufig heißt das, dass die Anführer, die Rädelsführer auch dann bekämpft werden können, wenn es keine unmittelbaren Kampfhandlungen und Gefechte gibt. Das ist eine der Grundlagen im Zusammenhang mit dem sogenannten Targeted Killing. Wir haben bei anderer Gelegenheit in diesem Hause darüber gesprochen, dass sich die Bundeswehr an dem Targeted Killing nicht beteiligt. Ziel und Auftrag der Bundeswehr ist es nicht, die auf der Liste genannten Personen - sie ist als "JPEL list" bekannt - zu töten, sondern sie zu verhaften und festzusetzen. Scharfschützen haben - das habe ich bereits angedeutet- über Aufgaben und Funktion der Bundeswehr insgesamt im ISAF-Einsatz und innerhalb des nationalen und völkerrechtlichen Regelwerkes hinaus keine Befugnisse. Sie haben deshalb nur die Befugnis, bei einer unmittelbaren Verknüpfung mit Kampfhandlungen tätig zu werden. Ich weiß nicht, wo die Bilder, die Sie im Zusammenhang mit dem Artikel im Stern ansprechen, entstanden sind und wer dafür verantwortlich ist. Ich kann Ihnen aber versichern, dass es nach Ausbildung, Ausrüstung und Befehlslage Scharfschützen, die in schwierigen Gefechtssituationen durchaus zum Einsatz kommen und die auch benötigt werden, nicht erlaubt ist, nur dazuliegen und so lange zu warten, bis einer vorbeikommt, der ein Gegner sein könnte. Dies ist nach dem nationalen Regelwerk für die deutschen Soldaten ausgeschlossen. Vizepräsidentin Petra Pau: Kollege Ströbele, bevor Sie Ihre zweite Nachfrage stellen, erlaube ich mir den Hinweis, dass wir noch zwei Minuten in der Fragestunde haben. Es wäre also schön, wenn wir es schafften, Frage und Antwort in ein angemessenes zeitliches Verhältnis zu stellen. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Meine zweite Nachfrage ist noch kürzer. - Herr Staatssekretär Schmidt, die Scharfschützen, von denen ich rede - die Tätigkeit eines Scharfschützen ist im Stern beschrieben -, befinden sich nicht in aktuellen Kampfhandlungen, sondern liegen friedlich oder nicht friedlich im Gras - genau so, wie ich es beschrieben habe -, ohne dass um sie herum Kampfhandlungen stattfinden, und warten so lange, bis Personen auftauchen. Über diese Personen wissen sie nichts. Sie kennen weder ihre Herkunft noch ihre Tätigkeit. Allein von der visuellen Feststellung her gehen sie gegen diese vor. So wird das von einem der Scharfschützen beschrieben. Wollen Sie ausschließen, dass solche Scharfschützen auch gegen Unschuldige, an Kampfhandlungen nicht Beteiligte mit militärischen Mitteln vorgehen bzw. diese töten? Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär beim Bundesminister der Verteidigung: Frau Präsidentin, im Rahmen der nationalen Regularien ist es den Scharfschützen der Bundeswehr in Afghanistan untersagt, Personen, die sich dauerhaft an bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligen, also die genannte "continuous combat function" innehaben, außerhalb einer Situation, an der sie an konkreten Feindseligkeiten teilnehmen, durch gezielte Waffenwirkung zu bekämpfen.