Frage an Bundesregierung zur Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan
06.06.2013: Am 05.06. befragt Hans-Christian Ströbele die Bundesregierung nach entsprechenden Medienberichten zur aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan.
Frage: Sicherheitslage in Afghanistan
Hans-Christian Ströbele: Warum sprach die Bundesregierung gegenüber der Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag unzutreffend von einer Verbesserung der Sicherheitslage in Afghanistan sowie der Kampfbereitschaft der afghanischen Sicherheitskräfte ANSF, während der Konteradmiral Rainer Brinkmann gegenüber Journalisten nun eingestand, dass 2012 die Zahl "sicherheitsrelevanter Zwischenfälle" allein in der Nordregion gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent auf 1 228 rapide angestiegen sei (Spiegel Online vom 29. Mai 2013), und obwohl der Generalinspekteur Volker Wieker einige Bundestagsabgeordnete vertraulich darüber unterrichtete, bei dem tödlichen Angriff auf deutsche KSK-Soldaten am 4. Mai 2013 seien die zuvor von Deutschen ausgebildeten begleitenden 25 afghanischen Elitepolizisten, PRC, zweimal "unkoordiniert" geflüchtet (FAZ vom 28. Mai 2013), was zuvor das Bundesministerium der Verteidigung in seiner offiziellen Unterrichtung des Parlaments 19/13 vom 7. Mai 2013 dem Deutschen Bundestag verschwiegen hatte,
und
ist die Bundesregierung endlich bereit, der deutschen Öffentlichkeit nun die volle Wahrheit über die Sicherheitsentwicklung in Afghanistan da hin gehend einzugestehen, dass vermeintliche Fortschritte in der Nordregion zumindest nicht mehr bestehen, die Bemühungen darum während der letzten Jahre alles in allem vergeblich waren und die ausgebildeten afghanischen Sicherheitskräfte nun in "Absetzbewegungen" zu den Taliban überlaufen (FAZ am angegebenen Ort)?
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Danke schön, Frau Präsidentin. - Herr Kollege Ströbele, Ihre Frage beantworte ich wie folgt: Die Sicherheitslage in Afghanistan muss nach wie vor sehr differenziert betrachtet werden. Sie bietet weiterhin ein extrem heterogenes Bild, das sich in jedem Regionalkommando von Provinz zu Provinz und von Distrikt zu Distrikt unterschiedlich darstellt. Deshalb ist eine landesweit einheitliche Bewertung kaum möglich. Maßgeblich ist aber: Trotz der Neuzählung der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle und der daraus resultierenden Ergebnisse ergibt sich für uns keine Änderung der Einschätzung der Gesamtlage in Afghanistan.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Herr Ströbele, eine Nachfrage? - Bitte schön.
Hans-Christian Ströbele: Danke, Frau Präsidentin. - Ich bin ja Kummer gewöhnt. Ich hatte schon heute Morgen im Auswärtigen Ausschuss das zweifelhafte Vergnügen, eine ähnliche Antwort zu bekommen. Ich habe aber ziemlich konkret gefragt. Deshalb frage ich Sie hier noch einmal: Will die Bundesregierung nach wie vor behaupten, dass es sich bei den von der deutschen Polizei ausgebildeten Einheiten der Sicherheitskräfte in Afghanistan um zuverlässige Verteidiger der Sicherheit der Bevölkerung handelt? Was schließt die Bundesregierung aus dem Vorfall vom 4. Mai 2013 - auf diesen nehme ich hier Bezug -, bei dem 25 Elitepolizisten, die von Deutschen ausgebildet worden sind, beim Beginn eines Schusswechsels fluchtartig das Gelände verlassen und sich etwa 700 Meter entfernt haben und die deutschen Soldaten offenbar alleingelassen haben? Später soll sich ein ähnlicher Vorfall ereignet haben. Nehmen Sie doch konkret Stellung dazu! Erstens. Stimmt das so? Zweitens. Was schließt die Bundesregierung hinsichtlich der Ausbildung und der Zuverlässigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte daraus?
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Ströbele, selbstverständlich sind die afghanischen Sicherheitskräfte noch nicht ausreichend im Sinne von abschließend - befähigt und ausgebildet. Wir haben beim Aufbau handlungsfähiger, zuverlässiger und wirklich starker und rechtsstaatlich handelnder afghanischer Sicherheitskräfte immer noch große Aufgaben zu bewältigen. Aber wir sollten trotz punktueller Rückschläge sehen, dass große Fortschritte erzielt worden sind. Die afghanischen Sicherheitskräfte - ANSF, wie man es so schön offiziell abkürzt - sind natürlich noch nicht mit den Kräften, die sie ausbilden, Bundeswehr, Bundespolizei oder Landespolizei, vergleichbar. In einer Vielzahl von Bereichen werden die Fähigkeiten weiter verbessert. Vor diesem Hintergrund haben wir uns klar dazu bekannt - ich möchte nicht darum herumreden, Herr Kollege Ströbele, und hoffentlich keine enttäuschende Antwort geben -, dass die afghanischen Sicherheitskräfte auch nach 2014 unsere Hilfe in Form von Ausbildung, Beratung und Unterstützung brauchen und dass wir bereit sind, ihnen weiterhin zur Seite zu stehen.
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Sie haben eine weitere Nachfrage? - Bitte schön.
Hans-Christian Ströbele: Herr Staatssekretär, Sie haben meine Frage in der Sache immer noch nicht beantwortet. Stimmt der Vorfall, so wie ich ihn in meiner Frage schildere, und hat die Bundesregierung daraus konkrete Schlussfolgerungen gezogen? Ich will das erweitern - auch das steht in der Frage; auch dazu habe ich noch keine Silbe von Ihnen gehört -: Stimmt es, dass von den afghanischen Sicherheitsbehörden erhebliche Verluste, viel größere als früher, zu tragen sind und dass sich die Zahl der Getöteten im Jahr 2012 von vier auf sechs pro Tag, also um 50 Prozent, erhöht hat? Will die Bundesregierung daraus nicht endlich Schlussfolgerungen ziehen?
Michael Link, Staatsminister im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Ströbele, einer der Hauptgründe für die Zunahme der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle ist aus unserer Sicht in der Zunahme der Tätigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte im Regionalkommando Nord zu sehen. Wenn man die ersten zwei Monate der Jahre 2012 und 2011 vergleicht, stellt man fest, dass sich die Operationstätigkeit erheblich erhöht hat, insbesondere in der Provinz Faryab. Insofern ist der Anstieg der sicherheitsrelevanten Zwischenfälle für uns eine direkte Folge der erweiterten Stabilisierungsbemühungen und der aktiven bewaffneten Einsätze der afghanischen Sicherheitskräfte. Diese verstärkte Einsatzzahl kommt bedauerlicherweise auch in einer messbaren Zunahme von Zwischenfällen zum Ausdruck. Ich möchte aber sagen: Dass der Zwischenfall so, wie Sie ihn in Ihrer Frage beschreiben, stattfand, bestreiten wir.
Anlage: Plenarprotokoll vom 5.6.2013.