Wahlkampf 2013

Ströbele im Interview zur Situation auf der Krim und in der Ukraine

19.03.2014: Die Krise ist und bleibt gefährlich. Der Westen und wohl auch Rußland wollen keine Eskalation und schon gar keine militärische. Aber aus Provokationen und Vorfällen vor allem im Osten der Ukraine kann eine nicht mehr rational beherrschbare Situation entstehen. Dann kann es nicht nur zu einem kalten Krieg kommen, sondern sogar zu einem heißen.

  

Herr Ströbele, wie beurteilen Sie die internationale Krise angesichts der Situation auf der Krim und in der Ukraine. Stehen wir am Beginn eines neuen kalten Krieges?

Die Krise ist und bleibt gefährlich. Der Westen und wohl auch Rußland wollen keine Eskalation und schon gar keine militärische. Aber aus Provokationen und Vorfällen vor allem im Osten der Ukraine kann eine nicht mehr rational beherrschbare Situation entstehen. Dann kann es nicht nur zu einem kalten Krieg kommen, sondern sogar zu einem heißen.

Sind gut und böse in diesem Konflikt so eindeutig verteilt, wie es in vielen Medien dargestellt wird?

Gut und böse paßt nicht. Rußland hat die Vereinbarung von Budapest nicht eingehalten, durch die es mit den USA und England die territoriale Integrität der Ukraine garantiert hatte. Russische Truppen sind auf der Krim. Aber dazu waren und sind sie nach der Stationierungsvereinbarung mit der Ukraine berechtigt. 25 000 Soldaten dürfen es sein. Bisher sind es nicht mehr als 20 000, eine Aggression ist ihre Anwesenheit also nicht. Und Menschen sind noch nicht zu Schaden gekommen. Unklar ist, welche Rechte und Bewegungsmöglichkeit diese Soldaten nach dem Vertrag haben. Aber wohl nicht die, sich in die Innenpolitik der Krim einzumischen.

Aber NATO und USA haben viel getan, um ihre Glaubwürdigkeit beim Einfordern des Völkerrechts zu verspielen. 1999 wurden nach Ende des Luftkrieges gegen Serbien NATO- und russischen Truppen im Kosovo stationiert. Grundlage dafür war eine Vereinbarung, in der auch die NATO die Wahrung der territorialen Integrität Serbiens einschließlich des Kosovo ausdrücklich garantierte. Wohlgemerkt das war nach dem Ende des Krieges, der der Vertreibungen im Kosovo. Neun Jahre später erklärte dann in Anwesenheit der NATO das Kosovo einseitig die Trennung von Serbien und seine Unabhängigkeit. Danach gab es weder von der EU, noch von den USA die Androhung von Sanktionen, sondern Zustimmung, zuweilen sogar Jubel und vor allem Anerkennung des neuen Staates Kosovo.

Nicht nur Serbien, auch Rußland haben vergeblich protestiert gegen den Vertrags- und Völkerrechtsbruch. Aber Rußland wurde schon früher Grund zu Mißtrauen gegeben. In den Verhandlungen zur deutschen Einheit 1990 wurde zugesagt, die NATO werde nicht nach Osten ausgedehnt. Auch diese Vereinbarung wurde nicht eingehalten. Inzwischen wurde das westliche Militärbündnis einige hundert Kilometer gen Osten ausgedehnt und steht im Norden schon an der russischen Grenze. Und die USA planen dort nach Osten gerichtete Raketenstellungen nahe Rußland. Die Ukraine in der NATO und eine US-Raketenstellung auf der Krim in Sichtweite des russischen Militärstützpunkts ist für Rußland sicher gewöhnungsbedürftig.

Alles keine Rechtfertigung für einen Völkerrechtsbruch, aber Vertragsbruch, Mißachtung von Souveränität territorialer Integrität praktiziert der Westen schon lange und immer wieder. .

Wie genau würden Sie die Ereignisse auf der Krim beschreiben? War das Referendum aus ihrer Perspektive unrechtmäßig? Oder sollte man das Votum der Krim-Bevölkerung ernst nehmen?

Das Votum, den Willen der Mehrheit der Bevölkerung sollte man sehr wohl ernst nehmen, selbst wenn die Höhe der Zustimmung zweifelhaft sein kann. Was ist in Zeiten des Umbruchs und einer Revolution schon formal rechtmäßig. Das gilt wohl auch für Entscheidungen in Kiew, die auf Druck des Maidan zustandekamen .

Befürworten Sie jetzt eine harte Reaktion des Westens gegenüber Putin? Was halten Sie von den derzeitigen Beschlüssen?

Na ja, großes Wortgeklingel und nicht viel dahinter. Die Wirkungen von Sanktionen wie Aussetzen der Visa-Verhandlungen, 21 Einreiseverbote oder Kontensperrungen sind doch eher bescheiden und vollends der falsche Weg. Statt solcher haltloser Drohgebärden sollten Verhandlungen ohne Vorbedingungen endlich beginnen.

Aus Ihrer Perspektive: Soll die Politik der EU-Osterweiterung und der NATO-Erweiterung fortgesetzt werden oder sollte der Westen künftig mehr Rücksicht auf die Sicherheitsinteressen Russlands nehmen?

Die Fortsetzung der NATO-Ost-Erweiterung wäre gefährlich und verhängnisvoll. Zu Recht gab es schon mal Forderungen, die NATO zu überwinden oder auch Rußland aufzunehmen. Und die EU sollte zu Assoziations- und Kooperationsvereinbarungen mit allen Staaten im Osten kommen - auch mit Rußland, denn das Land gehört nun mal zu Europa.

Lange erschien es vielen Beobachtern, als habe die NATO ihre Existenzberechtigung verloren. Benötigen wir im Angesicht der derzeitigen Situation ein starkes Verteidigungsbündnis mehr denn je?

Von der NATO habe ich nie etwas gehalten. 1990 war es an der Zeit, sie aufzulösen. Ihre Osterweiterung hat geschadet, wie wir jetzt bitter lernen. Zur gefährlichsten Krise seit Ende des Kalten Krieges kann sie nun wirklich nichts beigetragen. Dazu fehlt ihr wegen eigener Rechtsbrüche die Glaubwürdigkeit. Jetzt muß die UNO ran und ein Verhandlungsmandat erteilen, um unter Berücksichtigung der legitimen Interessen aller Seiten zu einer tragfähigen Lösung zu kommen.

Interview mit dem Journalisten Kuhlmann vom 17.3. 2014