Libyen - Abenteuer ungewissen Ausgangs
29.01.2016: Das Waffenstillstands- und Friedensabkommen in Libyen steht auf wackligen Füßen. Auch die Antwort der Bundesregierung auf die von Hans-Christian Ströbele in der Fragestunde vom 27.01.2016 eingebrachte Frage zur Unabhängigkeit der Parlamentsabgeordneten und Regierungsmitglieder beider Seiten in Libyen vor ausländischen Einflüssen erbrachte keine zufriedenstellende Antwort.
Auszug aus dem Plenarprotokoll 18/151 vom 27.01.2016:
"Welche Angaben macht die Bundesregierung zur Unabhängigkeit der Parlamentsabgeordneten und Regierungsmitglieder beider Seiten in Libyen von ausländischen Einflüssen, die das vom UN-Sonderbeauftragten Martin Kobler ausgehandelte Waffenstillstands- und Friedensabkommen unterzeichnet haben und mittragen, und welche Erkennt-nisse hat die Bundesregierung über Vorwürfe gegen diese Personen und zur Akzeptanz der Vereinbarung zur Bildung einer Einheitsregierung in der Bevölkerung Libyens?
Frau Staatsministerin. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Ströbele, das politische Abkommen wurde 2015 unter Vermittlung des Sondergesandten des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, Léon, im libyschen Dialog genannten Format erarbeitet und unter dem neuen VN-Gesandten Martin Kobler finalisiert. Es wurde am 17. Dezember 2015 von Mitgliedern des libyschen Dialogs in Skhirat/Marokko unterzeichnet. Für die Verhandlungsführung und, damit verbunden, die Einladung der Teilnehmer stützt sich der VN-Gesandte auf ein Mandat des VN-Sicherheitsrates. Mitglieder der verschiedenen Delegationen haben während der von den VN gelei-teten Verhandlungen regelmäßig Kontakt zu den Vertretern vieler Staaten unterhalten. In dem von Konflikten geprägten Umfeld in Libyen gibt es eine Vielzahl von gegenseitigen Vorwürfen. Nach Einschätzung der VN, die von der Bundesregierung geteilt wird, wünscht die libysche Bevölkerung ein Ende der Gewalt und die Wiederherstellung eines sicheren und stabilen Lebensumfeldes. Vor diesem Hintergrund sind die Reaktionen der Bevölkerung zum libyschen Abkommen nach Kenntnis der Bundesregierung ganz überwiegend positiv.
Vizepräsident Peter Hintze: Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter Ströbele?
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, danke. - Frau Staatsministerin, ich habe nicht nach der Geschichte dieses Abkommens gefragt. Diese kann ich nachlesen, darüber bin ich auch informiert. Ich möchte von Ihnen konkret wissen, warum die Annahme im Augenblick gescheitert ist. Sie erzählen hier nur schöne Dinge. Warum ist die Annahme dieses Abkommens im Parlament, und zwar in dem vom Westen unterstützten Parlament, gescheitert? Kann es sein, dass es gegen die Verhandler, also die Abgeordneten und die Regierungsmitglieder von beiden Seiten - dem vom Westen anerkannten und dem vom Westen nicht anerkannten Parlament -, Vorwürfe gibt, zum Beispiel den, dass sie aus dem Ausland finanzielle Zuwendungen erhalten und Ähnliches, welche sie so diskreditieren, dass man dieses Abkommen nicht akzeptiert?
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Herr Kollege Ströbele, ich kann gut nachvollziehen, was Sie umtreibt. Ähnliche Fragen stellt sich, glaube ich, jeder. Sie wissen genauso wie ich und auch jeder andere hier, wie schwierig das Zusam-mentreffen der Konfliktparteien in Libyen ist. Dass es eine Vielzahl von Vorwürfen gibt, habe ich eben in meiner Antwort gesagt. Sie war nicht nur eine Darstellung der Entwicklung und der einzelnen Schritte, vielmehr habe ich ganz bewusst gesagt: Es gibt eine Vielzahl von gegenseitigen Vorwürfen. Sie wissen aber auch - das macht die Sache noch schwieriger -, dass es Personen gibt - wir sprechen hier von sogenannten Hardlinern -, die dieses Aufeinanderzugehen und die Umsetzung des Abkommens zu verhindern trachten. Ich habe mich deshalb noch einmal danach erkundigt, wie die Entscheidung im Parlament ausgefallen ist: In der ersten Sitzung haben von 104 Anwesenden 97 für das VN-vermittelte Abkommen gestimmt, allerdings mit einem Vorbehalt gegen Artikel 8. 89 Abgeordnete haben die vom Präsidialrat vorgelegte Kabinettsliste abgelehnt und die Vorlage einer neuen, kürzeren Liste binnen zehn Tagen gefordert. Das ist der Stand. Es war also keine völlige Ablehnung, aber es zeigt, wie schwierig der Prozess ist, und wir wissen, dass von Tag zu Tag und von Stunde zu Stunde immer wieder um ein Aufeinanderzugehen einer nationalen Regierung der Einheit gerungen wird.
Vizepräsident Peter Hintze: Noch eine Zusatzfrage? - Bitte schön.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau Staatsministerin, ich stelle solche Fragen nicht aus dem Blauen heraus, sondern weil es Informationen gibt. Kann es sein, dass Sie - die Bundesregierung und der Vermittler, vielleicht auch die UN - mindestens zum Teil die falschen Verhandlungs-partner haben, dass es sich dabei um diskreditierte Personen handelt? Deshalb ist meine ganz konkrete Frage: In welchem Maße sind beispielsweise Stammesführer, die in Libyen eine ganz besondere Rolle spielen, in solche Verhandlungen einbezogen? Denn wenn die Vereinbarung akzeptiert werden soll - und ich stimme Ihnen zu: die Bevölkerung will Frieden und ein Ende des Waffenganges -, dann muss man ein Angebot machen, das von vertrauenswürdigen Leuten, die nicht solchen Vorwürfen ausgesetzt sind, ausgehandelt wird. Sonst ist das von Anfang an be-makelt und wird nicht angenommen. Deshalb ist meine klare Frage: Was ist zum Bei-spiel mit den Stammesführern, und ist die Bundesre-gierung Vorwürfen nachgegangen, dass es Leute gibt, zum Beispiel einzelne Abgeordnete, die finanzielle Zuwendungen aus dem Ausland beziehen?
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt: Im Detail kann ich Ihnen das jetzt nicht beantworten. Aber ich will darauf hinweisen - das wissen Sie auch, Herr Ströbele -, dass es für den VN-Sondergesandten Martin Kobler keine einfache Situation ist und dass er sich, wie wir alle auch, Tag für Tag genau diese Frage stellt. Er trifft sich mit einer Vielzahl von Vertretern bis hin zu den sogenannten Hardlinern, um Bewegung in die Sache zu bringen und um sie voranzubringen. Davon, dass Vorwürfe in den Raum gestellt werden, die sich zum Teil erhärten, muss man in dieser Situation ausgehen. Aber ich habe ein deutliches Vertrauen in Herrn Kobler, dass er sich mit seiner Erfahrung dieser Situation sehr dezidiert stellt."
Berlin, 27.01.2016