Wahlkampf 2013

Erklärung zu den Geheimdienstaffären

31.01.2006: Liebe Bürgerinnen und Bürger,

Es gibt Zeiten, da klaffen Realität und das Bild von der Realität in der Öffentlichkeit weit auseinander. Jetzt ist so eine Zeit.

Fast alle Medien berichten, Die Grünen seien zum Bettvorleger geworden, hätten ihre Grundsätze verraten, weil sie die Geheimdienstaffären nicht aufklären und den Untersuchungsausschuss beerdigen wollen. Beides ist falsch.

Der Beschluß der grünen Fraktion vom 17. Januar 2006, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, gilt nach wie vor. Der Untersuchungsausschuss ist also keineswegs tot. Aber er ist auch kein Selbstzweck. Es geht doch um Aufklärung. Das ist das Wichtige: Aufklärung der Vorwürfe gegen Geheimdienste und Bundesregierung, schonungslos, vollständig und öffentlich.

Realität ist, dass sieben Abgeordnete der bündnisgrünen Fraktion seit Wochen heftig dabei sind, die Vorwürfe gegen CIA, BND (Bundesnachrichtendienst), BKA (Bundeskriminalamt) und die Bundesregierung aufzuklären.

Meine Realität als einzigem grünen Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium der Geheimdienste ist, dass ich seit Mitte Januar kaum noch etwas anderes tue. Ich lese Akten, befrage Bundesregierung und BND-Mitarbeiter, werte aus, stelle neue Fragen zusammen, suche Zeugen auch im Ausland und bereite mich in vielen Gesprächen mit Fachleuten auf weitere Akten und Befragungen vor. An manchen Tagen acht bis zehn Stunden lang. Und das alles nicht als bloße Trockenübung, sondern inzwischen habe ich zu den meisten Komplexen bereits ein halbwegs klares Bild.

Wir, Abgeordnete aus der grünen Fraktion, haben Fragen an die Bundesregierung gestellt einzeln und als Fraktion, in vier Ausschüssen Berichte verlangt und Nachfragen gestellt, zudem zwei Plenumsdebatten herbeigeführt, die Ergebnisse bewertet und weitere Fragen zusammengestellt.

Gerade im Innenausschuss ist es den KollegInnen gelungen, schon eine sehr weitgehende Sachverhaltsaufklärung zu der Entführung des deutschen Staatsangehörigen El Masri und der Vernehmung des deutschen Staatsangehörigen Zammar im Damaskus zu erreichen. Ein Untersuchungsausschuss hätte in der doppelten Zeit nicht mehr herausgefunden!

Denn die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses führt keineswegs zur sofortigen und umfassenden Aufklärung. Zwei bis drei Monate werden nach der Einleitung des Einsetzungsverfahrens vergehen, bis ein solcher Untersuchungsausschuss zur ersten richtigen Sachverhandlung kommt. So lange hatte es gedauert beim Visa - Untersuchungsausschuss und auch beim Spenden - Untersuchungsausschuss. Unter dem Druck des drohenden Untersuchungsausschusses zeigt sich die Bundesregierung außergewöhnlich aufklärungsbereit und hat zugesagt, die Fakten zu allen sechs Geheimdienstaffären auf den Tisch zu legen. Es wäre nicht zu verantworten, diese Aufklärungschance nicht zu nutzen.

Das Parlamentarische Kontrollgremium (PKG) wird jetzt, wie eine Art kleiner Untersuchungsausschuss, jede Woche tagen und versuchen, Sachverhalte zu klären und Erklärungen zu überprüfen. Die Bundesregierung hat zugesagt, rechtzeitig vor der letzten Sitzung am 22. Februar einen abschließenden Bericht vorzulegen. Grundlage dieses Berichts ist die Beantwortung der Fragen, die die bündnisgrüne Fraktion bereits am 17. Januar beschlossen hatte und die von den beiden anderen Oppositionsfraktionen übernommen wurden, sowie die 67 Fragen, die die Grünen jetzt ergänzend angemeldet haben.

Den Bericht soll die PKG dann bewerten. Minderheitenvoten, also auch eine Stellungnahme von mir, sollen möglich sein. Soweit wie vertretbar soll dieses Ergebnis dann dem Parlament und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht und zur Diskussion gestellt werden.

Danach werden wir entscheiden, was noch in einem Untersuchungsausschuss aufgeklärt werden muss. Zeit geht damit nicht verloren, weil das Ergebnis der bisherigen Aufklärung ja die Arbeit eines Untersuchungsausschusses erheblich fördern und beschleunigen würde. Die Aufklärung, die wir jetzt von der Bundesregierung „freiwillig“ erhalten, müssten wir im Untersuchungsausschuss mühsam erkämpfen gegen Sperrvermerke und Verweigerungen von Aussagegenehmigungen der Bundesregierung wegen der angeblich notwendigen Geheimhaltung und gegen eine übergroße Mehrheit der Großen Koalition im Untersuchungsausschuss.

Niemand bei uns ist so blauäugig, Zusagen der Bundesregierung umfassend auf zu klären, einfach so als bare Münze zu nehmen oder die Informationen der Bundesregierung ungeprüft zu glauben und zu übernehmen. Aber wir wären doch mit dem Klammerbeutel gepudert, wenn wir nicht die angebotene Möglichkeit, über alle Geheimdienstaffären (CIA-Flüge, El Masri, Zammar, Guatanamo, BKA-Befragungen Beirut und die Tätigkeit der beiden BND-Mitarbeiter in Bagdad während des Luftkrieges) vollständig aufzuklären, nutzen würden, rasch Licht in das Dunkel dieser Geheimdienste zu bringen. Ich bin guter Hoffnung, dass es zu einem wichtigen Teil auch gelingt.

Nachfolgend finden Sie ein Dokument zum Download, wo Sie 67 Fragen von der bündnisgrüne Bundestagsfraktion nachlesen können - diese wurden am 26. Januar 2006 an die Bundesregierung gestellt.

Hans-Christian Ströbele

Zugehörige Dateien:
gruene_fragen_geheimdienste.pdfDownload (74 kb)