Wahlkampf 2013

Rede zum Lateinamerika-Karibik-EU-Gipfel

06.05.2010: Anlässlich des EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfels am 18.Mai in Madrid hat die Bundestagsfraktion von Bündnis90/Die Grünen einen Antrag eingebracht. Christian hat diesen mit folgender Rede begründet: die EU muss mit Südamerika auf gleicher Augenhöhe einen Dialog über Klimaschutz, Armutsbekämpfung, Menschenrechte und Demokratie führen statt reine Freihandelsabkommen für multinationale Großkonzerne abzuschließen, die die Existenz für die breite Bevölkerung in Südamerika bedrohen.

  
 

Christian in Posoltega (Nicaragua) auf seiner Dienstreise Mitte April

"Der Lateinamerika-Gipfel übernächste Woche in Madrid bietet die Chance für einen Neuanfang der Beziehungen zu den Ländern Südamerikas, einem Kontinent im Wandel, eine gute Gelegenheit, den Dialog über Klimaschutz, Armutsbekämpfung, Menschenrechte und Demokratie zu intensivieren und die Ergebnisse der Diskussion in die Verhandlungen einfließen zu lassen.

Wichtig ist, dass der Dialog nicht hochnäsig und belehrend geführt wird, sondern mit Respekt gegenüber den Gesprächspartnern und auf gleicher Augenhöhe. Zu Recht fordern dies Botschafter oder andere Gesprächspartner aus Lateinamerika immer wieder ein, wie zuletzt in der Fachkonferenz der Grünen gestern Nachmittag hier im Bundestag oder bei meinem Treffen mit Abgeordneten in Nicaragua Mitte April oder in Kolumbien im vergangenen Jahr.

Zutreffend sind ihre Hinweise auf eigene Leistungen, die sich sehen lassen können. Nicht wenige Völker des Kontinents haben sich von Militärmachthabern und Diktaturen befreit. Einige haben in einem mühsamen Diskussionsprozess Verfassungen erarbeitet, die in vielen Punkten vorbildlich sind wie etwa die Sicherung der Rechte der indigenen Völker und der kulturellen Diversität der Gesellschaft in Ecuador oder Bolivien. Jetzt geht es um die Fortentwicklung und den Ausbau demokratischer Strukturen und die Intensivierung der wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit der Länder hin zu Gemeinschaften in Mittelamerika, dem Anden-Raum oder ganz Südamerika.

In diesem Dialog sind häufig unsere europäischen Erfahrungen bei der Entwicklung von der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zur Europäischen Union gefragt. Armutsbekämpfung geschieht nicht nur durch Notprogramme. Das kann wichtig sein nach Naturkatastrophen wie Erdbeben in Haiti oder Verwüstungen durch Wirbelstürme wie "Mitch". Gerade habe ich in Posoltega in Nicaragua ein erfolgreiches Projekt besucht, bei dem 1.000 Menschen ein Dach über dem Kopf und Staatsland zur Eigenversorgung mit deutscher Hilfe verschafft wurden.

Viel wichtiger sind faire und gerechte Handelsbeziehungen. Mit absolutem Freihandel, wie dies der große Bruder USA und europäische Länder immer wieder verlangen und zum Teil auch durchgesetzt hatten, haben die Völker schlechte Erfahrungen gemacht. Vor allem in der Landwirtschaft wurden eigene Ökonomien zur Selbstversorgung und bescheidenen Export zu Tode konkurriert. So lohnte sich der Anbau von Mais in Mexiko bald nicht mehr. Subventionierte Agrarprodukte machen noch heute die lokalen Märkte kaputt, wie jetzt noch 5.000 Tonnen Milchpulver aus Europa. Den Bauern bei uns mag es gefallen, aber die Bauern in Lateinamerika müssen eigene Produktion mangels Rentabilität aufgeben. Anbau von Genprodukten, Palmöl und Biosprit ruinieren die Landwirtschaft zur Selbstversorgung und die biologische Vielfalt.

Freihandelsabkommen mit einzelnen Ländern wie jetzt mit Kolumbien und Peru sind nicht der richtige Weg. Regionale Abkommen sind die sinnvolle Alternative zur umfassenden WTO-Liberalisierungsagenda. Damit ist eine sanfte Heranführung an den Weltmarkt möglich.

Nicht nur ökologische Landwirtschaft braucht vor allem in der Anfangszeit häufig gezielte Förderung und Schutz. Dies gilt für die Landwirtschaft insgesamt. Am ökologischen Anbau und fairen Handel haben wir als Verbraucher und die Produzenten in den Ländern Lateinamerikas ein gemeinsames Interesse. Dies muss in den Handelsabkommen zu finden sein.

Die EU verlangt dagegen eine weitgehende Öffnung des Dienstleistungsmarktes, aber auch Regelungen zum staatlichen Schutz von Investitionen, die rechtliche Gleichbehandlung ausländischer Investoren und die Durchsetzung von Patenten. In diesen Forderungen spiegeln sich weitgehend die Wünsche der europäischen multinationalen Konzerne wider.

Die Landwirtschaft spielt bei den EU-Forderungen nur eine untergeordnete Rolle. Die EU-Kommission sieht hier bei Milchprodukten gute Chancen für europäische Exporteure. Dabei ist keine Rede vom Abbau oder der Streichung der Agrarsubventionen. Das ist kein fairer Handel.

Stattdessen fordern wir mit vielen lateinamerikanischen NGOs und Verbänden unter anderem einen deutlichen Schuldenerlass sowie eine echte Garantie für die Rechte und Förderung von kleinbäuerlichen Betrieben. Die Menschenrechte sind kein Luxusgut nur für reiche Länder. Gerade in meinen Gesprächen mit Vertretern von Menschenrechtsorganisationen in Nicaragua und Kolumbien wurde dies immer wieder betont. Ohne Menschenrechte gibt es keine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft. Meinungs- und Pressefreiheit, die Möglichkeit, sich frei und ungehindert in Gewerkschaften und politischen Parteien zu organisieren, sind genauso wichtig wie die persönliche Sicherheit für Leib und Leben, persönliches Hab und Gut.

In El Salvador und Guatemala sind tägliche Überfälle, Morde, Straflosigkeit der Täter und das Fehlen öffentlicher Sicherheit das Haupthindernis für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung der Länder.

Deshalb verlangen wir in unserem heutigen Antrag eine verbindliche Menschenrechtsklausel in Abkommen für die Verhandlungen auf dem EU-Lateinamerika-Karibik-Gipfel. Völlig unverständlich ist, wieso dieser Antrag gestern im Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung abgelehnt wurde. Ohne eine solche Klausel sind die Beteuerungen der Bedeutung der Menschenrechte nicht glaubwürdig. Zu einem partnerschaftlichen Verhältnis gehört der Einsatz für die Einhaltung der Menschenrechte. Bedrohte Menschenrechtsaktivisten wie in Kolumbien, die vom Geheimdienst des Präsidenten überwacht und beobachtet wurden, müssen auf unsere Unterstützung bauen können.

Thema auf dem Gipfel sollten durchaus auch Meldungen sein, dass dieser Geheimdienst, DAS, das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte in Genf sowie Abgeordnete des Menschenrechtsauschusses des EU-Parlaments ausspioniert haben und gegen sie gearbeitet haben soll. Der kolumbianischen Wochenzeitung La Semana zufolge unterhielt oder unterhält der kolumbianische Geheimdienst in Brüssel ein Büro, um Informationen über Abgeordnete zu sammeln, die sich kritisch zur Politik in Kolumbien äußern, um sie gezielt zu denunzieren. Wenn das stimmt, ist das ein Skandal und widerspricht der kolumbianischen Selbsteinschätzung, wonach sich die Verhältnisse im Lande rechtsstaatlich entwickelt haben sollen.

Klimaschutz kann nur erfolgreich sein, wenn er weltweit unterstützt wird. Dazu ist ein völkerrechtlich verbindliches Kyoto-Nachfolgeabkommen erforderlich. Wenn Wälder in Lateinamerika zur Lunge der Welt gehören, müssen wir auch gemeinsam dafür sorgen, dass sie weiterlebt und atmet. Die Kosten müssen wir gemeinsam tragen, etwa durch Einrichtung eines Green Fund.

Der Lateinamerika-Gipfel ist der richtige Ort, um diese und weitere Klimaschutzanstrengungen, wie etwa die Emissionen um 15 bis 30 Prozent zu vermindern, auf die Tagesordnung zu setzen, ebenso wie die Forderungen des alternativen Umweltgipfels vom 20. April 2010 in Cochabamba aufzunehmen. Die Bundesregierung hat die Möglichkeit, wenigstens einen Teil des in Kopenhagen Versäumten nachzuholen.

Der Gipfel in Madrid kann erfolgreich sein, wenn er zusammen mit Wirtschafts- und Handelsfragen Armutsbekämpfung, Klima, Menschenrechte und Demokratie zum Thema macht und in allen Bereichen zu substanziellen und nachhaltigen Vereinbarungen kommt."


Christian bereiste vom 12.-16. April viele Kleinbäuerliche und entwicklungspolitische Projekte in Nicaragua: in Kürze finden Sie/findet Ihr seinen Reisebericht auf seiner Homepage.

Zugehörige Dateien:
Der bündnisgrüne Antrag der Fraktion zum DownloadDownload (102 kb)