Ströbele erinnert an Völkermord in Namibia
28.04.2004: Interview mit Hans-Christian Ströbele (Stachel Friedrichshain-Kreuzberg)
Ströbele erinnert an Völkermord in Namibia
Zum einhundertsten Male jährt sich dieses Jahr der Aufstand der Herero im damaligen Deutsch-Südwestafrika gegen ihre Enteignung und Versklavung durch das Reich - und damit auch die Auslöschung von mehr als drei Vierteln aller Hereros durch deutsche Kolonialtruppen. Hans-Christian Ströbele, MdB, Mitglied des Ausschusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, fordert uns dazu auf, auch aus diesem dunklen Kapitel deutscher Geschichte unsere Konsequenzen zu ziehen.
Der Aufstand begann am 11. Januar 1904, als einige Gruppen von Herero-Kriegern unter Führung von Samuel Maherero damit begannen, deutsche Farmen, Handelsstationen, Bahnhofsgebäude und Streckenwärterhäuschen im Umkreis des Ortes Okahandja im Norden der Kolonie Deutsch-Südwestafrika anzugreifen und sich gegen die Landnahme durch die deutsche Kolonialverwaltung zu wehren. Die Bilanz jenes Tages war blutig: Schätzungsweise 150 deutsche Siedler, Bahnarbeiter und Händler waren erschossen oder erschlagen worden. Bald schon weitete der Aufstand sich dermaßen aus, dass die Reichsregierung sich gezwungen sah, Verstärkung für die so genannte "Schutztruppen" nach Deutsch-Südwest, wie es gern preußisch-knapp genannt wurde, zu entsenden.
Auf deutscher Seite, insbesondere im deutschen Generalstab, setzte sich die Auffassung durch, dass man sich in einem generellen Rassenkrieg zwischen schwarz und weiß befinde und daher die vollständige Vernichtung aufständischer Volksgruppen das beste Abschreckungsmittel hinsichtlich anderer Stämme und Völker sei. Die Anlandung ausreichender Kräfte für eine vollständige Vernichtung war allerdings schwierig und zog sich über Monate hin. Erst im Juli 1904 war der Truppenaufmarsch der Deutschen beendet. Die deutsche Truppe ging nun rasch und rücksichtslos gegen die Herero vor und am 11. August 1904 kam es zur Entscheidungsschlacht am Waterberg. Dort standen mit leichten Waffen gerüstete Herero-Krieger dem mit Kanonen und Maschinengewehr-Kompanien ausgerüsteten deutschen Kolonialheer gegenüber. Obwohl zahlenmäßig überlegen und strategisch besser positioniert, waren die Hereros der deutschen Waffentechnik gnadenlos unterlegen und erlitten eine entscheidende Niederlage, die "Schutztruppe" hatte 65 Tote zu beklagen. Einem Großteil der Herero gelang es jedoch, in das wasserlose Gebiet der Omaheke-Halbwüste fliehen und sich so scheinbar in Sicherheit zu bringen. Die deutsche Generalität gab sich aber mit dem militärischen Erfolg nicht zufrieden, sondern verfolgte ihr umfassenderes Ziel weiter. Mit deutscher Gründlichkeit riegelten die deutschen Soldaten den Wüstensaum ab und besetzten systematisch alle Wasserstellen im Gebiet. Über den Erfolg dieses Vorgehens spricht der Bericht des Generalstabes von 1906/07 über "Kämpfe der deutschen Truppen in Südwestafrika", vom Reichskanzler von Bülow dem Reichstag als Denkschrift vorgelegt, eine deutliche Sprache: "Die Kadaver lagen (…) zu Hunderten dicht neben und übereinander. An vielen Stellen war in 15-20 m tief aufgewühlten Löchern vergeblich nach Wasser gegraben. Alles lässt darauf schließen, dass der Rückzug ein Zug des Todes war und nur ein kleiner Teil der Hereros nach Nordosten entkommen ist. (…) Diese kühne Unternehmung zeigt die rücksichtslose Energie der deutschen Führung bei der Verfolgung des geschlagenen Feindes in glänzendem Licht. Keine Mühen, keine Entbehrungen wurden gescheut, um dem Feinde den letzten Rest seiner Widerstandskraft zu rauben; wie ein halb zu Tode gehetztes Wild ward er von Wasserstelle zu Wasserstelle gescheucht, bis er schließlich willenlos ein Opfer der Natur seines eigenen Landes wurde. Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten: Die Vernichtung des Hererovolkes. Die mit eiserner Strenge durchgeführte Absperrung des Sandfeldes vollendete das Werk der Vernichtung... Das Strafgericht hatte sein Ende gefunden. Die Herero hatten aufgehört, ein selbständiger Volksstamm zu sein." (Drucksache 11/559 Deutscher Reichstag)
Schon damals geschah das nicht unwidersprochen. So nannte der Reichtagsabgeordnete August Bebel den Aufstand einen berechtigten Befreiungskampf. In seiner Reichstagsrede vom 17. März 1904 führt er an: (Es)"…könne kein Zweifel darüber bestehen, dass der Aufstand der Hereros gegen das deutsche Regiment ein Verzweiflungsakt sei, dadurch hervorgerufen, dass sie sichere Aussicht haben, über kurz oder lang ihre gesamte Existenz, ihren Grund und Boden und damit die Möglichkeit, sich als freie Leute noch fühlen zu können noch einbüßen. Meine Herren, wenn aber ein Volk in einer solchen verzweifelten Lage sich einmal befindet, dann ist auch selbstverständlich, dass es alles aufbietet, um seinem Untergang zu entgehen, dass es eventuell den Tod der Auswanderung oder der Sklaverei, die in letzter Instanz übrig bleibt, vorzieht." Die sozialdemokratischen Abgeordneten und auch das Zentrum stimmten dann 1907 der Gewährung von weiteren Kriegskrediten für die "Schutztruppe" nicht mehr zu und der Kaiser löste den Reichstag auf. Bei dem darauf folgenden Wahlkampf der sogenannten "Hottentottenwahlen" konnten die Sozialdemokraten zwar Stimmen hinzugewinnen, büßten aber aufgrund des Wahlrechts Abgeordnete ein und mussten sich auch noch den Vorwurf, sie seien "vaterlandslose Gesellen" gefallen lassen. Das wiederum veranlasste sie zumindest teilweise, im Jahre 1914 der Gewährung von Kriegsanleihen für den ersten Weltkrieg durch die Reichsregierung zuzustimmen, was wieder zur Abspaltung der USPD führte und Silvester 1918/19 die Gründung der KPD durch Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht und andere nach sich zog.
Wie genau es bei diesem Vernichtungsfeldzug zugegangen ist, schildert die eidesstattliche Erklärung von Jan Cloete aus Omaruru, damals burischer Fährtenleser bei der 4. Feldkompanie unter Hauptmann Richardt: "Ich war dabei in Hamakari beim Waterberg, wo die Herero geschlagen wurden. Nach der Schlacht wurden alle Männer, Frauen und Kinder, die in die Hände der Deutschen gefallen waren, ob verwundet oder nicht, ohne Mitleid umgebracht. Die Deutschen verfolgten die anderen. Alle Versprengten am Wege oder im Feld wurden niedergeschossen oder mit dem Bajonett erstochen. Die große Mehrheit der Herero-Männer waren ohne Waffen und nicht mehr fähig zu kämpfen. Sie versuchten nur noch, mit ihrem Vieh zu entkommen. Nicht weit von Hamakari kampierten wir an einem Wasserloch. Ein deutscher Soldat fand dort im Busch einen kleinen Jungen, etwa neun Monate alt. Das Kind schrie. Er brachte es ins Lager, wo ich war. Die Soldaten bildeten einen Kreis und warfen das Kind einander zu und fingen es auf, als wäre es ein Ball. Das Kind hatte Angst, war verletzt und schrie immer lauter. Nach einer Zeit waren sie müde, und ein Soldat pflanzte sein Bajonett aufs Gewehr und sagte, er wolle das Baby fangen. Das Kind wurde hoch geworfen, und als es fiel, fing er es auf und spießte es mit seinem Bajonett. Das Kind starb binnen weniger Minuten, und der Zwischenfall wurde mit großem Gelächter der Deutschen begrüßt, die es als einen Spaß zu betrachten schienen.Ich fühlte mich elend und wandte mich voll Ekel ab, auch wenn ich wusste, dass sie den Befehl hatten, alle umzubringen." (Quelle: "Blue Book" der britischen Regierung, 1918)
Aber damit war der Sache noch nicht Genüge getan. Am 2. Oktober 1904 verkündete Generalleutnant Lothar von Trotha, Oberbefehlshaber der deutschen Truppen in Namibia: "Ich, der große General der Deutschen Soldaten sende diesen Brief an das Volk der Herero. Die Herero sind nicht mehr Deutsche Untertanen. Sie haben gemordet und gestohlen, haben verwundeten Soldaten Ohren und Nasen und andere Körperteile abgeschnitten und wollen jetzt aus Feigheit nicht mehr kämpfen. Ich sage dem Volk: Jeder, der einen der Kapitäne an eine meiner Stationen als Gefangenen abliefert, erhält tausend Mark, wer Samuel Maharero bringt, erhält fünftausend Mark. Das Volk der Herero muss jedoch das Land verlassen. Wenn das Volk dies nicht tut, so werde ich es mit dem Groot Rohr dazu zwingen. Innerhalb der Deutschen Grenzen wird jeder Herero mit und ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber oder Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auf sie schießen. Dies sind meine Worte an das Volk der Herero. Der große General des mächtigen Deutschen Kaisers." (Quelle: Bundesarchiv Potsdam, Akten des Reichskolonialamtes, 10.01 2089 Bl.7, Abschrift Kommando Schutztruppe 1 Nr. 3737, Osombo-Windhuk, 2.10.1904) Die Opfer dieser Kolonialpolitik unter den Herero waren gewaltig, nach dem Bericht des deutschen Generalstabes überlebten von ursprünglich ca. 70.000 bis 80.000 Hereros nur 12.280 unter deutscher Herrschaft und 1.275 auf englischem Gebiet.
Nachdem auch im Süden des Landes Volksgruppen, insbesondere die Nama (in Deutschland "Hottentotten" genannt) unter der Führung von Hendrik Witbooi ebenfalls in den Aufstand eintraten, musste die hermetische Abriegelung aufgegeben werden, weil die Truppen im Süden benötigt wurden. Der "Schießbefehl" wurde im Dezember 1904 ersetzt durch die Anordnung, die verbliebenen Herero und auch die Nama-Stämme, in so genannte "Konzentrationslager" zu verbringen. Der Begriff wurde hier geprägt. Bis zum Ende des Kolonialkrieges wurden von den gefangenen Herero noch einmal mindestens 30%, wahrscheinlich eher 50% ermordet. Auch etwa die Hälfte der ca. 20.000 Nama starb in dem Konflikt.
Die Vertreter der Herero haben in den USA Sammelklagen gegen die Bundesrepublik Deutschland, die Deutsche Bank, die Reederei Deutsche Afrika-Linie (früher Woermann) und den Rechtsnachfolger von Orenstein&Koppel, den amerikanischen Baugeräte-Hersteller Terex eingereicht. Alle drei verklagten Firmen beziehungsweise ihre Vorgänger waren im damaligen Deutsch-Südwestafrika aktiv. Die Erfolgsaussichten der Klagen sind äußerst ungewiss und auch bei der Namibischen Regierung findet die Klage zur Zeit wenig Unterstützung.
In der deutschen Öffentlichkeit sind die Vorgänge in den damaligen Kolonien keineswegs durchweg bekannt. Hans-Christian Ströbele hört nicht auf, an diese in deutschem Namen verrichteten Greueltaten zu erinnern. Um seine Solidarität mit den Herero zu symbolisieren, reiste er im Dezember vergangenen Jahres nach Namibia und gab uns im Anschluss daran das folgende Interview:
Christian, Du bist Ende letzten Jahres nach Namibia gereist. Was waren die Motive Deiner Reise?
"Ich wollte gern mich persönlich informieren über das Land, die Leute, die Probleme heute, 15 Jahre nach der Unabhängigkeit. Arm ist überwiegend die farbige Bevölkerung, reich sind die Weißen."
Wie ist die Situation in Namibia zur Zeit?
"Zuerst ist man etwas überrascht: Man kann unbesorgt Wasser trinken, gut ausgebaute Strßsen, Häuser, Hotels dominieren den ersten Eindruck. Hinter dieser Fassade fand ich erhebliche ungelöste Probleme. Allerdings sind heute nicht die Herero oder Nama die am meisten Benachteiligten, die Herero stellen sogar Minister im Kabinett. Andere Volksgruppen sind noch stärker Opfer von Ungleichheiten, die im kolonialen Prozess bis 1989 entstanden sind. Deshalb betont die Regierung die gemeinsame anti-koloniale Kampfgeschichte und möchte nicht einzelne Volksgruppen herausgehoben sehen. Das müssen wir bei Unterstützungen bedenken."
Welche Erfolgsaussichten misst Du persönlich der Klage auf Wiedergutmachung bei?
"Nach drei Generationen wird es wahrscheinlich nicht gelingen, Schuldige juristisch dingfest zu machen. Aber selbstverständlich ist die Bundesrepublik die Rechtsnachfolgerin des Deutschen Reiches. Wir haben moralische Verantwortung zu übernehmen. Ich bin sehr dafür, dass dies auch ohne Rechtsanspruch mit einer materiellen Anerkenntnis verbunden wird, freiwillig, ohne den Erfolg oder Misserfolg der Klagen abzuwarten."
Sind die (schlechten) Aussichten der Herero auch damit zu erklären, dass bei ihrem Erfolg ähnliche Klagen auch auf andere ehemalige Kolonialmächte wie Frankreich, England, Spanien oder Portugal zukommen? Auch die Native Americans in den USA streben ja seit längerer Zeit eine Wiedergutmachung für die Ungerechtigkeit an, die während der "Eroberung des Westens" durch die europäischen Einwanderer verübt worden ist.
"Selbstverständlich gibt es solche Überlegungen und Bedenken. Und da ist was dran. Afrikaner wurden Jahrhunderte ausgebeutet. Deshalb ist jede materielle Unterstützung richtig und notwendig, auch wenn es um die Verbesserung der Situation der African Americans in den USA geht."
Wie sind eigentlich die Aussichten darauf, mit Hilfe einer eventuell durch Deutschland außerhalb eines Gerichtsverfahrens zu leistenden finanziellen Hilfe die aktuellen Ungerechtigkeiten im Lande Namibia effektiv abzumildern?
"Geld allein hilft nicht. Es fehlt eine wirkliche Bodenreform. Das fruchtbare Land muss neu verteilt werden. Dies muss in Namibia demokratisch gelöst werden. Geht es aber bei der Landreform voran, dann hilft unsere Unterstützung sehr wohl. Es geht dabei nicht nur um Landerwerb und Entwicklungszahlungen, sondern vor allem auch um notwendige Investitionen in die materielle und soziale Infrastruktur, die eine Landreform absichern. Die zukünftigen schwarzen Farmer müssen instandgesetzt werden, dass Land ertragreich zu bewirtschaften, durch effektive Ausbildung sowie Geld für Saatgut und Geräte."
Christian, vielen Dank für das Interview!
Alexander Rodis (Stachel)